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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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satten, durch Hunger oder durch körperliche Züchtigung geschärft, auch wird
jedes einzelne dieser Strafmittel für sich allein angewendet. -- Die Einsperrung
in eine finstere Zelle sollte höchstens drei Tage andauern dürfen, wenn man
sie nicht entbehren zu können glaubt, denn sie alterirt mächtig die Phantasie
und kann bei beschränkten, furchtsamen oder anderweitig disponirten Personen
die Entstehung von Geisteskrankheiten begünstigen. Dazu kommt noch der
Umstand, daß die finstere Zelle gewöhnlich keine Ventilation hat und deshalb
von schlechter Luft erfüllt ist. -- Die Latten sind die härteste Strafe, weil
sie ununterbrochen dem Gefangenen Schmerzen bereiten und ihn zu vergeb¬
lichen Abwehrversuchen anreizen. Gleichviel ob er auf dem Fußboden der
Zelle steht oder liegt oder sitzt, -- und eine andere Unterlage als den Fu߬
boden findet er in der Zelle nicht --, immer drücken sich die nach oben ge¬
richteten scharfen Kanten der dreieckigen Latten, aus denen der Fußboden be¬
steht, in die an Empfindungsnerven so reiche Körperoberfläche ein; der Schmerz
nöthigt ihn immerfort, die Lage zu wechseln, ohne daß dies die gewünschte
Erleichterung bringt; hierdurch wird der Gefangene in eine Aufregung ver¬
setzt, welche das Nervensystem mächtig afficirt, und zwar um so mehr dann,
wenn die Lattenzelle finster ist. Wie tief und nachhallend die Einwirkung
der Latten auf die Gesundheit des zu bestrafende Gefangenen sein werde,
läßt sich voraus nicht sicher berechnen, ich glaube deshalb, daß die Dauer
dieser Strafe den Zeitraum eines Tages nicht überschreiten sollte. -- Das
Strafmittel der Kostentziehung wird, wie ich finde, gewöhnlich nicht
richtig gewürdigt, weil die Folgen derselben nicht sofort in das Auge springen.
Gleichwohl kann sie die Gesundheit der Gefangenen in erheblichem Maaße
schädigen, denn jede Herabsetzung der Ernährung verringert bei dem ohnehin
durch die Haft Geschwächten die Kraft des Widerstandes gegen den gesund¬
heitsschädlichen Einfluß der Haft. Wenn man unter den Disciplinarstrafen
die Kostentziehung nicht entbehren zu können glaubt, soll man bei der Be¬
messung derselben die durch Gesundheitsrücksichten gebotene Vorsicht in keinem
Falle außer Acht lassen. -- Bekanntlich will man die körperliche Züch¬
tigung aus dem Gefängnisse verbannen. Unter den Gründen, mit denen
man dieselbe bekämpft, macht man besonders geltend, daß sie das Ehrgefühl
vernichte und als Strafmittel eine zu schnell vorübergehende Wirkung aus¬
übe. Wenn wir die Verhältnisse so nehmen, wie sie in den Strafanstalten
sich gestalten, können wir uns nicht unbedingt für die Abschaffung der kör¬
perlichen Züchtigung in den letzteren aussprechen. Bei Frauen sollte aller¬
dings keine Prügelstrafe zur Anwendung kommen, dies gebieten schon Sitt¬
lichkeitsrücksichten. Bei männlichen Gefangenen hingegen von grobsinnlicher
Natur dürfen wir ein grobsinnliches Abschreckungsmittel, wie die körperliche
Züchtigung, für angemessen erachten; solche Menschen fürchten die drohenden


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satten, durch Hunger oder durch körperliche Züchtigung geschärft, auch wird
jedes einzelne dieser Strafmittel für sich allein angewendet. — Die Einsperrung
in eine finstere Zelle sollte höchstens drei Tage andauern dürfen, wenn man
sie nicht entbehren zu können glaubt, denn sie alterirt mächtig die Phantasie
und kann bei beschränkten, furchtsamen oder anderweitig disponirten Personen
die Entstehung von Geisteskrankheiten begünstigen. Dazu kommt noch der
Umstand, daß die finstere Zelle gewöhnlich keine Ventilation hat und deshalb
von schlechter Luft erfüllt ist. — Die Latten sind die härteste Strafe, weil
sie ununterbrochen dem Gefangenen Schmerzen bereiten und ihn zu vergeb¬
lichen Abwehrversuchen anreizen. Gleichviel ob er auf dem Fußboden der
Zelle steht oder liegt oder sitzt, — und eine andere Unterlage als den Fu߬
boden findet er in der Zelle nicht —, immer drücken sich die nach oben ge¬
richteten scharfen Kanten der dreieckigen Latten, aus denen der Fußboden be¬
steht, in die an Empfindungsnerven so reiche Körperoberfläche ein; der Schmerz
nöthigt ihn immerfort, die Lage zu wechseln, ohne daß dies die gewünschte
Erleichterung bringt; hierdurch wird der Gefangene in eine Aufregung ver¬
setzt, welche das Nervensystem mächtig afficirt, und zwar um so mehr dann,
wenn die Lattenzelle finster ist. Wie tief und nachhallend die Einwirkung
der Latten auf die Gesundheit des zu bestrafende Gefangenen sein werde,
läßt sich voraus nicht sicher berechnen, ich glaube deshalb, daß die Dauer
dieser Strafe den Zeitraum eines Tages nicht überschreiten sollte. — Das
Strafmittel der Kostentziehung wird, wie ich finde, gewöhnlich nicht
richtig gewürdigt, weil die Folgen derselben nicht sofort in das Auge springen.
Gleichwohl kann sie die Gesundheit der Gefangenen in erheblichem Maaße
schädigen, denn jede Herabsetzung der Ernährung verringert bei dem ohnehin
durch die Haft Geschwächten die Kraft des Widerstandes gegen den gesund¬
heitsschädlichen Einfluß der Haft. Wenn man unter den Disciplinarstrafen
die Kostentziehung nicht entbehren zu können glaubt, soll man bei der Be¬
messung derselben die durch Gesundheitsrücksichten gebotene Vorsicht in keinem
Falle außer Acht lassen. — Bekanntlich will man die körperliche Züch¬
tigung aus dem Gefängnisse verbannen. Unter den Gründen, mit denen
man dieselbe bekämpft, macht man besonders geltend, daß sie das Ehrgefühl
vernichte und als Strafmittel eine zu schnell vorübergehende Wirkung aus¬
übe. Wenn wir die Verhältnisse so nehmen, wie sie in den Strafanstalten
sich gestalten, können wir uns nicht unbedingt für die Abschaffung der kör¬
perlichen Züchtigung in den letzteren aussprechen. Bei Frauen sollte aller¬
dings keine Prügelstrafe zur Anwendung kommen, dies gebieten schon Sitt¬
lichkeitsrücksichten. Bei männlichen Gefangenen hingegen von grobsinnlicher
Natur dürfen wir ein grobsinnliches Abschreckungsmittel, wie die körperliche
Züchtigung, für angemessen erachten; solche Menschen fürchten die drohenden


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[0305] satten, durch Hunger oder durch körperliche Züchtigung geschärft, auch wird jedes einzelne dieser Strafmittel für sich allein angewendet. — Die Einsperrung in eine finstere Zelle sollte höchstens drei Tage andauern dürfen, wenn man sie nicht entbehren zu können glaubt, denn sie alterirt mächtig die Phantasie und kann bei beschränkten, furchtsamen oder anderweitig disponirten Personen die Entstehung von Geisteskrankheiten begünstigen. Dazu kommt noch der Umstand, daß die finstere Zelle gewöhnlich keine Ventilation hat und deshalb von schlechter Luft erfüllt ist. — Die Latten sind die härteste Strafe, weil sie ununterbrochen dem Gefangenen Schmerzen bereiten und ihn zu vergeb¬ lichen Abwehrversuchen anreizen. Gleichviel ob er auf dem Fußboden der Zelle steht oder liegt oder sitzt, — und eine andere Unterlage als den Fu߬ boden findet er in der Zelle nicht —, immer drücken sich die nach oben ge¬ richteten scharfen Kanten der dreieckigen Latten, aus denen der Fußboden be¬ steht, in die an Empfindungsnerven so reiche Körperoberfläche ein; der Schmerz nöthigt ihn immerfort, die Lage zu wechseln, ohne daß dies die gewünschte Erleichterung bringt; hierdurch wird der Gefangene in eine Aufregung ver¬ setzt, welche das Nervensystem mächtig afficirt, und zwar um so mehr dann, wenn die Lattenzelle finster ist. Wie tief und nachhallend die Einwirkung der Latten auf die Gesundheit des zu bestrafende Gefangenen sein werde, läßt sich voraus nicht sicher berechnen, ich glaube deshalb, daß die Dauer dieser Strafe den Zeitraum eines Tages nicht überschreiten sollte. — Das Strafmittel der Kostentziehung wird, wie ich finde, gewöhnlich nicht richtig gewürdigt, weil die Folgen derselben nicht sofort in das Auge springen. Gleichwohl kann sie die Gesundheit der Gefangenen in erheblichem Maaße schädigen, denn jede Herabsetzung der Ernährung verringert bei dem ohnehin durch die Haft Geschwächten die Kraft des Widerstandes gegen den gesund¬ heitsschädlichen Einfluß der Haft. Wenn man unter den Disciplinarstrafen die Kostentziehung nicht entbehren zu können glaubt, soll man bei der Be¬ messung derselben die durch Gesundheitsrücksichten gebotene Vorsicht in keinem Falle außer Acht lassen. — Bekanntlich will man die körperliche Züch¬ tigung aus dem Gefängnisse verbannen. Unter den Gründen, mit denen man dieselbe bekämpft, macht man besonders geltend, daß sie das Ehrgefühl vernichte und als Strafmittel eine zu schnell vorübergehende Wirkung aus¬ übe. Wenn wir die Verhältnisse so nehmen, wie sie in den Strafanstalten sich gestalten, können wir uns nicht unbedingt für die Abschaffung der kör¬ perlichen Züchtigung in den letzteren aussprechen. Bei Frauen sollte aller¬ dings keine Prügelstrafe zur Anwendung kommen, dies gebieten schon Sitt¬ lichkeitsrücksichten. Bei männlichen Gefangenen hingegen von grobsinnlicher Natur dürfen wir ein grobsinnliches Abschreckungsmittel, wie die körperliche Züchtigung, für angemessen erachten; solche Menschen fürchten die drohenden Grmzboien N. 1d72. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/305>, abgerufen am 22.07.2024.