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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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zu gelangen. Ich darf wohl nicht erst hervorheben, daß die Arbeit die Kräfte
der Gefangenen nicht erschöpfen, also weder zu lange andauern, noch zu schwer
sein darf, und daß gesundheitsschädliche Arbeiten aus den Gefängnissen ver¬
bannt sein müssen, z. B. solche Arbeiten, welche schädlichen Staub absetzen,
wie das Verspinnen von Kuhhaaren u. s. w. Diejenigen Gefangenen, welche
eine in dem Gefängnisse ausführbare professionelle Arbeit früher erlernt haben,
müssen ihr in demselben obliegen,'während die andern, bei denen dies nicht
der Fall ist, in einer solchen hier unterrichtet werden müssen, damit sie aus
ihr später für ihren Erwerb Nutzen ziehen. -- Man hat unter den Arbeiten,
zu denen die Gefangenen angehalten werden sollen, besonders solche empfohlen,
welche außerhalb des Gefängnisses verrichtet werden, z. B. Ackerbau, Straßen¬
reinigung, Bauarbeit u. f. w. Darauf, daß Arbeiten im Freien der Gesund¬
heit der Gefangenen sehr dienlich sind, müssen wir allerdings Gewicht legen,
dies kann uns indeß nicht bestimmen, jene Empfehlung ohne Weiteres zu
unterstützen. Wir können die Erwägung nicht abweisen, daß Arbeiten im
Freien von vielen aus der Haft Entlassener nicht zum Erwerbe verwerthet
werden können. Viel wichtiger aber als diese Erwägung ist eine andere: die
Bedeutung, welche wir der Erziehung der Gefangenen, der sittlichen Einwirkung
auf dieselben durch die Disciplin, durch die Aufsicht u. f. w. beimessen, läßt
uns nicht wünschen, daß die Gefangenen in der ersten Zeit der Strafhaft, be¬
vor diese Erziehung und sittliche Einwirkung ein vertrauenerweckendes Ergeb¬
niß herbeigeführt hat, im Freien beschäftigt werden, denn hier können die der
Erziehung und sittlichen Einwirkung dienenden Maßnahmen theils , nur un¬
vollkommen, theils gar nicht zur Anwendung gelangen.

Die Erziehung, welche den Gefangenen in der Strafanstalt gegeben
wird, gewöhnt dieselben durch die Disciplin an den Gehorsam gegen das
Gesetz, und durch die Hausordnung an Pünktlichkeit und Reinlichkeit, sie
unterdrückt durch die Aufsicht schlechte Beispiele, welche die Gefangenen ein¬
ander geben können, und wendet, wo nöthig, Strafen an, um den ihr ent¬
gegengesetzten Widerstand zu bekämpfen. -- Die Aufgabe, schlechte Beispiele
zu verhüten, ist bei der gemeinsamen Haft von großer Wichtigkeit und er¬
heischt eine sehr vorsorgliche Aufsicht in den Arbeitssälen, Spazierhöfen und
Schlafsälen. Auf die Verhütung des verderblichen Einflusses, welchen bei
gemeinsamer Haft die Gefangenen auf einander ausüben, ist man schon seit
langer Zeit bedacht gewesen, so z. B. war schon im 17. Jahrhundert in ita¬
lienischen Gefängnissen den Gefangenen das Sprechen verboten, im 18. Jahr¬
hundert wurden während der Nacht die Gefangenen von einander abgesondert;
eine Combination dieser beiden Maßregeln wurde in der Strafanstalt zu Au-
burn in dem Staate New-Uork eingeführt und ist unter dem Namen "Au-
burn'sches System" bekannt. Dieses System, welches von sehr vielen Straf-


zu gelangen. Ich darf wohl nicht erst hervorheben, daß die Arbeit die Kräfte
der Gefangenen nicht erschöpfen, also weder zu lange andauern, noch zu schwer
sein darf, und daß gesundheitsschädliche Arbeiten aus den Gefängnissen ver¬
bannt sein müssen, z. B. solche Arbeiten, welche schädlichen Staub absetzen,
wie das Verspinnen von Kuhhaaren u. s. w. Diejenigen Gefangenen, welche
eine in dem Gefängnisse ausführbare professionelle Arbeit früher erlernt haben,
müssen ihr in demselben obliegen,'während die andern, bei denen dies nicht
der Fall ist, in einer solchen hier unterrichtet werden müssen, damit sie aus
ihr später für ihren Erwerb Nutzen ziehen. — Man hat unter den Arbeiten,
zu denen die Gefangenen angehalten werden sollen, besonders solche empfohlen,
welche außerhalb des Gefängnisses verrichtet werden, z. B. Ackerbau, Straßen¬
reinigung, Bauarbeit u. f. w. Darauf, daß Arbeiten im Freien der Gesund¬
heit der Gefangenen sehr dienlich sind, müssen wir allerdings Gewicht legen,
dies kann uns indeß nicht bestimmen, jene Empfehlung ohne Weiteres zu
unterstützen. Wir können die Erwägung nicht abweisen, daß Arbeiten im
Freien von vielen aus der Haft Entlassener nicht zum Erwerbe verwerthet
werden können. Viel wichtiger aber als diese Erwägung ist eine andere: die
Bedeutung, welche wir der Erziehung der Gefangenen, der sittlichen Einwirkung
auf dieselben durch die Disciplin, durch die Aufsicht u. f. w. beimessen, läßt
uns nicht wünschen, daß die Gefangenen in der ersten Zeit der Strafhaft, be¬
vor diese Erziehung und sittliche Einwirkung ein vertrauenerweckendes Ergeb¬
niß herbeigeführt hat, im Freien beschäftigt werden, denn hier können die der
Erziehung und sittlichen Einwirkung dienenden Maßnahmen theils , nur un¬
vollkommen, theils gar nicht zur Anwendung gelangen.

Die Erziehung, welche den Gefangenen in der Strafanstalt gegeben
wird, gewöhnt dieselben durch die Disciplin an den Gehorsam gegen das
Gesetz, und durch die Hausordnung an Pünktlichkeit und Reinlichkeit, sie
unterdrückt durch die Aufsicht schlechte Beispiele, welche die Gefangenen ein¬
ander geben können, und wendet, wo nöthig, Strafen an, um den ihr ent¬
gegengesetzten Widerstand zu bekämpfen. — Die Aufgabe, schlechte Beispiele
zu verhüten, ist bei der gemeinsamen Haft von großer Wichtigkeit und er¬
heischt eine sehr vorsorgliche Aufsicht in den Arbeitssälen, Spazierhöfen und
Schlafsälen. Auf die Verhütung des verderblichen Einflusses, welchen bei
gemeinsamer Haft die Gefangenen auf einander ausüben, ist man schon seit
langer Zeit bedacht gewesen, so z. B. war schon im 17. Jahrhundert in ita¬
lienischen Gefängnissen den Gefangenen das Sprechen verboten, im 18. Jahr¬
hundert wurden während der Nacht die Gefangenen von einander abgesondert;
eine Combination dieser beiden Maßregeln wurde in der Strafanstalt zu Au-
burn in dem Staate New-Uork eingeführt und ist unter dem Namen „Au-
burn'sches System" bekannt. Dieses System, welches von sehr vielen Straf-


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[0303] zu gelangen. Ich darf wohl nicht erst hervorheben, daß die Arbeit die Kräfte der Gefangenen nicht erschöpfen, also weder zu lange andauern, noch zu schwer sein darf, und daß gesundheitsschädliche Arbeiten aus den Gefängnissen ver¬ bannt sein müssen, z. B. solche Arbeiten, welche schädlichen Staub absetzen, wie das Verspinnen von Kuhhaaren u. s. w. Diejenigen Gefangenen, welche eine in dem Gefängnisse ausführbare professionelle Arbeit früher erlernt haben, müssen ihr in demselben obliegen,'während die andern, bei denen dies nicht der Fall ist, in einer solchen hier unterrichtet werden müssen, damit sie aus ihr später für ihren Erwerb Nutzen ziehen. — Man hat unter den Arbeiten, zu denen die Gefangenen angehalten werden sollen, besonders solche empfohlen, welche außerhalb des Gefängnisses verrichtet werden, z. B. Ackerbau, Straßen¬ reinigung, Bauarbeit u. f. w. Darauf, daß Arbeiten im Freien der Gesund¬ heit der Gefangenen sehr dienlich sind, müssen wir allerdings Gewicht legen, dies kann uns indeß nicht bestimmen, jene Empfehlung ohne Weiteres zu unterstützen. Wir können die Erwägung nicht abweisen, daß Arbeiten im Freien von vielen aus der Haft Entlassener nicht zum Erwerbe verwerthet werden können. Viel wichtiger aber als diese Erwägung ist eine andere: die Bedeutung, welche wir der Erziehung der Gefangenen, der sittlichen Einwirkung auf dieselben durch die Disciplin, durch die Aufsicht u. f. w. beimessen, läßt uns nicht wünschen, daß die Gefangenen in der ersten Zeit der Strafhaft, be¬ vor diese Erziehung und sittliche Einwirkung ein vertrauenerweckendes Ergeb¬ niß herbeigeführt hat, im Freien beschäftigt werden, denn hier können die der Erziehung und sittlichen Einwirkung dienenden Maßnahmen theils , nur un¬ vollkommen, theils gar nicht zur Anwendung gelangen. Die Erziehung, welche den Gefangenen in der Strafanstalt gegeben wird, gewöhnt dieselben durch die Disciplin an den Gehorsam gegen das Gesetz, und durch die Hausordnung an Pünktlichkeit und Reinlichkeit, sie unterdrückt durch die Aufsicht schlechte Beispiele, welche die Gefangenen ein¬ ander geben können, und wendet, wo nöthig, Strafen an, um den ihr ent¬ gegengesetzten Widerstand zu bekämpfen. — Die Aufgabe, schlechte Beispiele zu verhüten, ist bei der gemeinsamen Haft von großer Wichtigkeit und er¬ heischt eine sehr vorsorgliche Aufsicht in den Arbeitssälen, Spazierhöfen und Schlafsälen. Auf die Verhütung des verderblichen Einflusses, welchen bei gemeinsamer Haft die Gefangenen auf einander ausüben, ist man schon seit langer Zeit bedacht gewesen, so z. B. war schon im 17. Jahrhundert in ita¬ lienischen Gefängnissen den Gefangenen das Sprechen verboten, im 18. Jahr¬ hundert wurden während der Nacht die Gefangenen von einander abgesondert; eine Combination dieser beiden Maßregeln wurde in der Strafanstalt zu Au- burn in dem Staate New-Uork eingeführt und ist unter dem Namen „Au- burn'sches System" bekannt. Dieses System, welches von sehr vielen Straf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/303>, abgerufen am 22.12.2024.