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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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werden." Ohne Zweifel vermindert die Geschicklichkeit der Führer, sich immer
an den Stellen behaupten, welche sie bei Beginn ihres Werkes sich selbst zu¬
gewiesen haben, die praktischen Unbequemlichkeiten, welche steter Wechsel im
Personal des Bundes im Gefolge hat. Aber andererseits sind die Chefs, um
sich in ihren Stellungen zu behaupten, in vielen Fällen genöthigt, sich dem
Einfluß der Massen zu unterwerfen, welche sich schmeicheln, die Leitung in den
Händen zu haben. Wahrscheinlich erklären sich hieraus einige der auffälligsten
Mißgriffe, deren sich einige von ihnen, welche man als die intelligentesten dar¬
gestellt hatte, vor und besonders nach dem 18. März 187 t schuldig machten.
Die demagogische Partei ist immer von allen Parteien diejenige gewesen, wo
der Kopf am häusigsten vom Schwänze seine Richtung bekam. Alle Welt
kennt das berühmte Wort: "Ich muß ihnen wohl folgen, da ich ihr
Führer bin."

In den Statuten der Lyoner Föderation bemerken wir eine scheinbar
kindische, aber lehrreiche Bestimmung. Der siebente Artikel derselben setzt,
nachdem er die Befugnisse des Föderal-Comites geregelt, hinzu: "Das Comite
hat keinen Vorsitzenden, sondern einen besonderen Secretär und einen Schatz¬
meister." Man muß nicht glauben, daß diese Abschaffung des Vorsitzenden
zufällig in den Artikel gerathen. Der wenig furchtbare Titel des Präsidenten
eines Ausschusses genügt, um die stets wache Eifersucht der socialistischen
Partei aufzuregen. Die Frage wegen der Präsidentschaft ist allen Ernstes ge¬
stellt und erörtert worden, nachdem 1869 der Congreß zu Basel zusammenge¬
treten war, welcher dann mit der würdevollsten Miene von der Welt die fol¬
gende Resolution faßte:

"In Anbetracht, daß es einer Arbeitergesellschaft nicht würdig ist, durch
Zulassung von Präsidenten in ihrer Mitte ein monarchisches und autoritatives
Princip aufrecht zu erhalten, da selbst wo diese mit gar keiner Macht bekleidet
find, die rein ehrenden Auszeichnungen eine Verletzung der demokratischen
Grundsätze sind, verpflichtet der Congreß alle Sectionen der Internationale und
alle derselben affiliirte Genossenschaften, das Präsidentenamt in ihrem Kreise
abzuschaffen."

Dieser Aufforderung wurde fast allenthalben pünktlich entsprochen. So
sehen wir z. B. am 21. November im "Initiativ-Ausschuß der Syndicats-
kammer der Bäckergesellen" Varlin, welcher der Versammlung in seiner Eigen¬
schaft als Mitglied der Internationale beiwohnte, "das demokratische Princip
der Wahl des Präsidenten für jede einzelne Zusammenkunft" geltend machen,
indem er sagte, daß dies "ein Act der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit"
wäre. Der Bericht über die Sitzung meldet, "die einmüthige Zustimmung be¬
weist Varlin, daß man ihn verstanden hat."

Man ersieht hieraus, welcher Empfindung das Decret der Commune ent-


werden." Ohne Zweifel vermindert die Geschicklichkeit der Führer, sich immer
an den Stellen behaupten, welche sie bei Beginn ihres Werkes sich selbst zu¬
gewiesen haben, die praktischen Unbequemlichkeiten, welche steter Wechsel im
Personal des Bundes im Gefolge hat. Aber andererseits sind die Chefs, um
sich in ihren Stellungen zu behaupten, in vielen Fällen genöthigt, sich dem
Einfluß der Massen zu unterwerfen, welche sich schmeicheln, die Leitung in den
Händen zu haben. Wahrscheinlich erklären sich hieraus einige der auffälligsten
Mißgriffe, deren sich einige von ihnen, welche man als die intelligentesten dar¬
gestellt hatte, vor und besonders nach dem 18. März 187 t schuldig machten.
Die demagogische Partei ist immer von allen Parteien diejenige gewesen, wo
der Kopf am häusigsten vom Schwänze seine Richtung bekam. Alle Welt
kennt das berühmte Wort: „Ich muß ihnen wohl folgen, da ich ihr
Führer bin."

In den Statuten der Lyoner Föderation bemerken wir eine scheinbar
kindische, aber lehrreiche Bestimmung. Der siebente Artikel derselben setzt,
nachdem er die Befugnisse des Föderal-Comites geregelt, hinzu: „Das Comite
hat keinen Vorsitzenden, sondern einen besonderen Secretär und einen Schatz¬
meister." Man muß nicht glauben, daß diese Abschaffung des Vorsitzenden
zufällig in den Artikel gerathen. Der wenig furchtbare Titel des Präsidenten
eines Ausschusses genügt, um die stets wache Eifersucht der socialistischen
Partei aufzuregen. Die Frage wegen der Präsidentschaft ist allen Ernstes ge¬
stellt und erörtert worden, nachdem 1869 der Congreß zu Basel zusammenge¬
treten war, welcher dann mit der würdevollsten Miene von der Welt die fol¬
gende Resolution faßte:

„In Anbetracht, daß es einer Arbeitergesellschaft nicht würdig ist, durch
Zulassung von Präsidenten in ihrer Mitte ein monarchisches und autoritatives
Princip aufrecht zu erhalten, da selbst wo diese mit gar keiner Macht bekleidet
find, die rein ehrenden Auszeichnungen eine Verletzung der demokratischen
Grundsätze sind, verpflichtet der Congreß alle Sectionen der Internationale und
alle derselben affiliirte Genossenschaften, das Präsidentenamt in ihrem Kreise
abzuschaffen."

Dieser Aufforderung wurde fast allenthalben pünktlich entsprochen. So
sehen wir z. B. am 21. November im „Initiativ-Ausschuß der Syndicats-
kammer der Bäckergesellen" Varlin, welcher der Versammlung in seiner Eigen¬
schaft als Mitglied der Internationale beiwohnte, „das demokratische Princip
der Wahl des Präsidenten für jede einzelne Zusammenkunft" geltend machen,
indem er sagte, daß dies „ein Act der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit"
wäre. Der Bericht über die Sitzung meldet, „die einmüthige Zustimmung be¬
weist Varlin, daß man ihn verstanden hat."

Man ersieht hieraus, welcher Empfindung das Decret der Commune ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/30>, abgerufen am 22.07.2024.