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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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einige Blätter zu pflücken und als wohlverdienten Lohn um die eigne Stirn
zu flechten. Denn dafür war ja reichlich gesorgt, daß die Welt es erführe,
welche Zierden der Wissenschaft aus den Instituten der Jesuiten hervor¬
gingen.

An Schaustellungen fehlte es nicht. Wurden doch Tragödien und Komö¬
dien aufgeführt, zu denen das Publicum unentgeltlich Zutritt hatte. Solche
Schul schau spiele waren auch sonst wohl aufgeführt worden, besonders die
Dramen des Plautus und Terenz pflegten dazu gewählt zu werden. Der
Zweck war die Fertigkeit in der lateinischen Sprache zu befestigen und zu be¬
weisen. Ursprünglich sollten auch auf den jesuitischen Instituten nur lateinische
Dramen aufgeführt werden, aber freilich nicht Plautus und Terenz, da deren
Schauspiele in der That sich nur selten für die Lectüre von Jünglingen eig¬
nen. Es blieb nichts andres übrig, als eigne Dramen zu erfinden, in la¬
teinischer Sprache; später freilich entschlossen sich die Jesuiten, um auch Frauen
diese Schauspiele zugänglich zu machen, die Muttersprache anzuwenden. Das
müssen nun wundersame Schauspiele gewesen sein, die auf dem Jesuitentheater
gespielt wurden, Zeugnisse einer seltnen Geschmacklosigkeit, wenigstens nach den
Titeln zu schließen, die diese Stücke trugen. Ein Schauspiel hieß: "Coena, oder
der zu Ehren der Mutter Gottes abgeschnittene und derselben von einem
Jüngling zu Trient 1727 zu einer Perrücke verehrte wunderschöne Haarzopf",
ein anderes "Mariä Geburt", noch ein anderes: "Patriarch Jakob wallfahr¬
tet mit feinen Angehörigen nach Kanaan -- wohl ein Druckfehler -- und
gelangt zum egyptischen Joseph." Diese Wallfahrt dauerte fünf Stunden.
Charakteristisch für den >Geist der Milde, der die Gesellschaft Jesu erfüllt, ist
der Titel eines Schauspiels, das noch 1763 aufgeführt wurde. Er lautet:
"Der heilige Eifer.der Jugend von Paraguay, eine Aufmunterung für die
Jugend nach dem Beispiel der jungen Wilden in Paraguay, welche einen aus
ihrer Gesellschaft wegen versäumter heiliger Messe als ein Kind des Teufels
und der Schande der Nation auf ewig aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen
haben, gegen Jrrende und Fehlende hartherzig und unversöhnlich zu bleiben."*)
Andere Schauspiele und öffentliche Schaustellungen waren den Zöglingen ver¬
schlossen, nur das Zuschauen bei Hinrichtungen der Käzer wär gestattet.

Unvermerkt sind wir so zur Erörterung der Erziehungsgrundsätze
der Jesuiten übergegangen. Und schon aus der Pflege des Theaters auf
Jesuiteninstituten haben wir erkannt, daß sie das Nützliche mit dem Ange¬
nehmen geschickt zu mischen wissen. In der That müssen wir anerkennen, daß
die Jesuiten sich von vornherein vortheilhaft vor andern Schulen ihrer Zeit
durch das große Maß der Erholung, das sie zuließen, durch die geringe An-



") Welcker S. 210. Zirngicbl S. 1S7.

einige Blätter zu pflücken und als wohlverdienten Lohn um die eigne Stirn
zu flechten. Denn dafür war ja reichlich gesorgt, daß die Welt es erführe,
welche Zierden der Wissenschaft aus den Instituten der Jesuiten hervor¬
gingen.

An Schaustellungen fehlte es nicht. Wurden doch Tragödien und Komö¬
dien aufgeführt, zu denen das Publicum unentgeltlich Zutritt hatte. Solche
Schul schau spiele waren auch sonst wohl aufgeführt worden, besonders die
Dramen des Plautus und Terenz pflegten dazu gewählt zu werden. Der
Zweck war die Fertigkeit in der lateinischen Sprache zu befestigen und zu be¬
weisen. Ursprünglich sollten auch auf den jesuitischen Instituten nur lateinische
Dramen aufgeführt werden, aber freilich nicht Plautus und Terenz, da deren
Schauspiele in der That sich nur selten für die Lectüre von Jünglingen eig¬
nen. Es blieb nichts andres übrig, als eigne Dramen zu erfinden, in la¬
teinischer Sprache; später freilich entschlossen sich die Jesuiten, um auch Frauen
diese Schauspiele zugänglich zu machen, die Muttersprache anzuwenden. Das
müssen nun wundersame Schauspiele gewesen sein, die auf dem Jesuitentheater
gespielt wurden, Zeugnisse einer seltnen Geschmacklosigkeit, wenigstens nach den
Titeln zu schließen, die diese Stücke trugen. Ein Schauspiel hieß: „Coena, oder
der zu Ehren der Mutter Gottes abgeschnittene und derselben von einem
Jüngling zu Trient 1727 zu einer Perrücke verehrte wunderschöne Haarzopf",
ein anderes „Mariä Geburt", noch ein anderes: „Patriarch Jakob wallfahr¬
tet mit feinen Angehörigen nach Kanaan — wohl ein Druckfehler — und
gelangt zum egyptischen Joseph." Diese Wallfahrt dauerte fünf Stunden.
Charakteristisch für den >Geist der Milde, der die Gesellschaft Jesu erfüllt, ist
der Titel eines Schauspiels, das noch 1763 aufgeführt wurde. Er lautet:
„Der heilige Eifer.der Jugend von Paraguay, eine Aufmunterung für die
Jugend nach dem Beispiel der jungen Wilden in Paraguay, welche einen aus
ihrer Gesellschaft wegen versäumter heiliger Messe als ein Kind des Teufels
und der Schande der Nation auf ewig aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen
haben, gegen Jrrende und Fehlende hartherzig und unversöhnlich zu bleiben."*)
Andere Schauspiele und öffentliche Schaustellungen waren den Zöglingen ver¬
schlossen, nur das Zuschauen bei Hinrichtungen der Käzer wär gestattet.

Unvermerkt sind wir so zur Erörterung der Erziehungsgrundsätze
der Jesuiten übergegangen. Und schon aus der Pflege des Theaters auf
Jesuiteninstituten haben wir erkannt, daß sie das Nützliche mit dem Ange¬
nehmen geschickt zu mischen wissen. In der That müssen wir anerkennen, daß
die Jesuiten sich von vornherein vortheilhaft vor andern Schulen ihrer Zeit
durch das große Maß der Erholung, das sie zuließen, durch die geringe An-



") Welcker S. 210. Zirngicbl S. 1S7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/259>, abgerufen am 22.07.2024.