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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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strengung, die sie beanspruchten, auszeichneten. Niemand soll länger als zwei
Stunden hintereinander arbeiten, überhaupt nicht arbeiten, wenn es der Ge¬
sundheit nachtheilig wird, vor allem sich nicht den Schlaf entziehen. Selbst
Spiele, welche den Geist anstrengen, müssen bei allzu langer Dauer unter¬
brochen werden. Freie Tage und Ferien werden zu Ausflügen nach den Land¬
häusern des Ordens verwendet. An Jugendspielen fehlt es nicht, das Ball-
und Ballonspiel, das Billard, das Lieblingsspiel des heiligen Ignatius, wird
geübt, Stoßfechten und Reiten, Schlittenfahrt und Schlittschuhlauf im Winter,
Baden und Schwimmen im Sommer bilden die Freuden der Zöglinge. Die
Musik wird fleißig geübt. Auf feines Benehmen wird sehr viel Werth ge¬
legt. Die Locale sind oft luxuriös ausgestattet, jeder Comfort gewährt.*)
Hier mag den Jesuiten die Anerkennung nicht versagt werden. Es war in
der That ein pädagogischer Fortschritt, daß nicht düstere Strenge, sondern
freundlicher Ernst in die Schulzimmer einzog, daß die Pflege des Körpers
gleichzeitig mit der Pflege des Geistes zur Geltung kam. Aber freilich werden
wir den Jesuiten nicht Unrecht thun, wenn wir voraussetzen, daß es ihnen
darauf ankam, die Welt, zumal die vornehme Welt, für sich zu gewinnen und
der Jugend den Aufenthalt in den Instituten so angenehm wie möglich zu
machen. Aber auch dies wollen wir nicht tadeln. Wenn sich nur nicht in
der Pflege der Eitelkeit der auf äußeren Glanz gerichtete Sinn der jesuiti¬
schen Erziehung verriethe. Aber wie sollen wir es beurtheilen, wenn die Zög¬
linge des LoUegio nodils in Palermo blaue Uniformen, seidene Strümpfe,
kurze weiße mit Gold besetzte Beinkleider, einen dreieckigen Hut trugen, die
ausgezeichnetsten Schüler ein blaues Band, eine Lilie am blauen oder als
höchste Auszeichnung eine Lilie am rothen Band erhielten.**) Der Protestan¬
tismus gestattet der sinnlichen Darstellung überhaupt nur einen geringen
Spielraum, das Innerliche und Geistige seines Wesens verschmäht überflüssigen
Sinnenschein, der Katholicismus breitet sich vielmehr mit selbstgefälligen Be¬
hagen in der Sinnenwelt aus. Und dieser Zug des Katholicismus ist es,
dem der Jesuitismus sich ungehemmt hingiebt. Der Jugend freilich sagt
dieser bunte Schimmer zu. >

Wenn auf jesuitischen Erziehungsanstalten die Eitelkeit gepflegt wird, so
können wir uns nicht darüber wundern, daß auch der Bruder derselben, der
Ehrgeiz, reichliche Nahrung findet. Das Ehrgefühl ist eine Tugend, die
jeder Erzieher wecken und fördern muß. Es muß eine Ehre des Schülers
sein, das höchste Ziel ins Auge zu fassen und alle Kräfte zu seiner Erreichung
anzuspannen. Es muß die Ehre eines Schülers sein, so gut wie möglich




") Welcker a. a. O. S. 2Üg.
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) Wangemann a. ->. O. S. 784.

strengung, die sie beanspruchten, auszeichneten. Niemand soll länger als zwei
Stunden hintereinander arbeiten, überhaupt nicht arbeiten, wenn es der Ge¬
sundheit nachtheilig wird, vor allem sich nicht den Schlaf entziehen. Selbst
Spiele, welche den Geist anstrengen, müssen bei allzu langer Dauer unter¬
brochen werden. Freie Tage und Ferien werden zu Ausflügen nach den Land¬
häusern des Ordens verwendet. An Jugendspielen fehlt es nicht, das Ball-
und Ballonspiel, das Billard, das Lieblingsspiel des heiligen Ignatius, wird
geübt, Stoßfechten und Reiten, Schlittenfahrt und Schlittschuhlauf im Winter,
Baden und Schwimmen im Sommer bilden die Freuden der Zöglinge. Die
Musik wird fleißig geübt. Auf feines Benehmen wird sehr viel Werth ge¬
legt. Die Locale sind oft luxuriös ausgestattet, jeder Comfort gewährt.*)
Hier mag den Jesuiten die Anerkennung nicht versagt werden. Es war in
der That ein pädagogischer Fortschritt, daß nicht düstere Strenge, sondern
freundlicher Ernst in die Schulzimmer einzog, daß die Pflege des Körpers
gleichzeitig mit der Pflege des Geistes zur Geltung kam. Aber freilich werden
wir den Jesuiten nicht Unrecht thun, wenn wir voraussetzen, daß es ihnen
darauf ankam, die Welt, zumal die vornehme Welt, für sich zu gewinnen und
der Jugend den Aufenthalt in den Instituten so angenehm wie möglich zu
machen. Aber auch dies wollen wir nicht tadeln. Wenn sich nur nicht in
der Pflege der Eitelkeit der auf äußeren Glanz gerichtete Sinn der jesuiti¬
schen Erziehung verriethe. Aber wie sollen wir es beurtheilen, wenn die Zög¬
linge des LoUegio nodils in Palermo blaue Uniformen, seidene Strümpfe,
kurze weiße mit Gold besetzte Beinkleider, einen dreieckigen Hut trugen, die
ausgezeichnetsten Schüler ein blaues Band, eine Lilie am blauen oder als
höchste Auszeichnung eine Lilie am rothen Band erhielten.**) Der Protestan¬
tismus gestattet der sinnlichen Darstellung überhaupt nur einen geringen
Spielraum, das Innerliche und Geistige seines Wesens verschmäht überflüssigen
Sinnenschein, der Katholicismus breitet sich vielmehr mit selbstgefälligen Be¬
hagen in der Sinnenwelt aus. Und dieser Zug des Katholicismus ist es,
dem der Jesuitismus sich ungehemmt hingiebt. Der Jugend freilich sagt
dieser bunte Schimmer zu. >

Wenn auf jesuitischen Erziehungsanstalten die Eitelkeit gepflegt wird, so
können wir uns nicht darüber wundern, daß auch der Bruder derselben, der
Ehrgeiz, reichliche Nahrung findet. Das Ehrgefühl ist eine Tugend, die
jeder Erzieher wecken und fördern muß. Es muß eine Ehre des Schülers
sein, das höchste Ziel ins Auge zu fassen und alle Kräfte zu seiner Erreichung
anzuspannen. Es muß die Ehre eines Schülers sein, so gut wie möglich




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[0260] strengung, die sie beanspruchten, auszeichneten. Niemand soll länger als zwei Stunden hintereinander arbeiten, überhaupt nicht arbeiten, wenn es der Ge¬ sundheit nachtheilig wird, vor allem sich nicht den Schlaf entziehen. Selbst Spiele, welche den Geist anstrengen, müssen bei allzu langer Dauer unter¬ brochen werden. Freie Tage und Ferien werden zu Ausflügen nach den Land¬ häusern des Ordens verwendet. An Jugendspielen fehlt es nicht, das Ball- und Ballonspiel, das Billard, das Lieblingsspiel des heiligen Ignatius, wird geübt, Stoßfechten und Reiten, Schlittenfahrt und Schlittschuhlauf im Winter, Baden und Schwimmen im Sommer bilden die Freuden der Zöglinge. Die Musik wird fleißig geübt. Auf feines Benehmen wird sehr viel Werth ge¬ legt. Die Locale sind oft luxuriös ausgestattet, jeder Comfort gewährt.*) Hier mag den Jesuiten die Anerkennung nicht versagt werden. Es war in der That ein pädagogischer Fortschritt, daß nicht düstere Strenge, sondern freundlicher Ernst in die Schulzimmer einzog, daß die Pflege des Körpers gleichzeitig mit der Pflege des Geistes zur Geltung kam. Aber freilich werden wir den Jesuiten nicht Unrecht thun, wenn wir voraussetzen, daß es ihnen darauf ankam, die Welt, zumal die vornehme Welt, für sich zu gewinnen und der Jugend den Aufenthalt in den Instituten so angenehm wie möglich zu machen. Aber auch dies wollen wir nicht tadeln. Wenn sich nur nicht in der Pflege der Eitelkeit der auf äußeren Glanz gerichtete Sinn der jesuiti¬ schen Erziehung verriethe. Aber wie sollen wir es beurtheilen, wenn die Zög¬ linge des LoUegio nodils in Palermo blaue Uniformen, seidene Strümpfe, kurze weiße mit Gold besetzte Beinkleider, einen dreieckigen Hut trugen, die ausgezeichnetsten Schüler ein blaues Band, eine Lilie am blauen oder als höchste Auszeichnung eine Lilie am rothen Band erhielten.**) Der Protestan¬ tismus gestattet der sinnlichen Darstellung überhaupt nur einen geringen Spielraum, das Innerliche und Geistige seines Wesens verschmäht überflüssigen Sinnenschein, der Katholicismus breitet sich vielmehr mit selbstgefälligen Be¬ hagen in der Sinnenwelt aus. Und dieser Zug des Katholicismus ist es, dem der Jesuitismus sich ungehemmt hingiebt. Der Jugend freilich sagt dieser bunte Schimmer zu. > Wenn auf jesuitischen Erziehungsanstalten die Eitelkeit gepflegt wird, so können wir uns nicht darüber wundern, daß auch der Bruder derselben, der Ehrgeiz, reichliche Nahrung findet. Das Ehrgefühl ist eine Tugend, die jeder Erzieher wecken und fördern muß. Es muß eine Ehre des Schülers sein, das höchste Ziel ins Auge zu fassen und alle Kräfte zu seiner Erreichung anzuspannen. Es muß die Ehre eines Schülers sein, so gut wie möglich ") Welcker a. a. O. S. 2Üg. " ) Wangemann a. ->. O. S. 784.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/260>, abgerufen am 22.07.2024.