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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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anderes." Und welche glänzenden Resultate die Jesuiten auf diesem Gebiete
glauben erreicht zu haben, welche gewaltigen Redner und Dichter sie erzeugt,
darüber spricht sich ihr Lehrplan von 1833 mit einer jeglicher Bescheidenheit
baaren Naivetät aus, die Frechheit genannt werden müßte, wenn sie nicht
Unwissenheit wäre: "Die Jesuiten und ihre Schüler vermochten beides, zu
reden nämlich und zu schreiben! Viele, sehr viele schrieben Hymnen und Oden
und andere Poemata in lateinischer und griechischer Sprache, wie nur ein
lateinischer und griechischer Lyriker und Poet schreiben kann, so daß diese ihre
Werke, neben die Poesien der alten Griechen und Römer gestellt, von diesen
nicht unterschieden werden möchten. Die Bibliotheken der Societät Jesu
weisen Werke, von Jesuiten verfaßt, auf, welche Reden, Geschichten, epische Ge¬
dichte, z, B. Christiaden, lateinisch und griechisch geschrieben enthalten, die
das classische Gepräge tragen, und deren Verfasser, nach dem Ausdruck und
der Kunst, ganz würdig neben Demosthenes und Cicero, neben Thukydides
und Livius oder Tacitus, neben Homer oder Virgil stehen.*) Anders freilich
urtheilt über die Resultate des Unterrichts der Jesuiten der berühmte Philo¬
loge Jakobs: "Die Menschen abzurichten, das mögen die Jesuiten verstanden
haben, aber zu bilden nimmermehr. Ich habe in München Schüler der
Augsburger und Schweizer Jesuiten zu examiniren gehabt, und nie ist mir
eine crassere Unwissenheit vorgekommen."^) Es kann uns nicht schwer sein,
diese einseitige Betonung des Styls, also der Form gegenüber dem Inhalt,
zu begreifen. Es ist zuvörderst wieder der Geist der Stabilität, der von dem
einmal Anerkannten nicht weichen will, es ist sodann der Geist der Äußer¬
lichkeit, der sich in dieser ausschließlichen Pflege des Kormellen verräth. Der
Katholicismus hat an sich schon einen starken Zug zur Veräußerlichung des
geistigen, religiösen und sittlichen Lebens, aber dieser Zug wird durch einen
andern auf mystische Verinnerlichung gerichteten beschränkt; der Jesuitismus
läßt jenem freien ungehemmten Spielraum, während er diesem den Zutritt
verwehrt. Es ist ganz charakteristisch, daß in den Kirchen der Jesuiten sich
keine wahrhaft werthvollen Kunstwerke finden, während sie durch Schimmer
und Glanz die Sinne zu blenden suchen. Diese Hinzielung des Unterrichts
auf stylistische Tüchtigkeit hat offenbar den Eindruck ins Auge gefaßt, den die
Leistungen der Schüler auf das Publicum ausüben sollen. Welches Staunen,
welche Bewunderung mußte dasselbe ergreifen, wenn es auf dem Katheder der
Aula Jünglinge erblickte, die lange Reden im Style Cicero's zu halten ver¬
mochten, reich geschmückt mit mannichfaltigen rhetorischen Figuren, im Begriff
aus dem Lorbeerkranze, der des Demosthenes und des Cicero Haupt schmückt,




. ') Raumer a. a. O. S. 305-6.
") Wangemann im Artikel Jesuiten, Jesuitcnschulen in Schmid's Encyklopädie des Unter¬
richts- und Erziehungswesens. Bd. III. S. 774.

anderes." Und welche glänzenden Resultate die Jesuiten auf diesem Gebiete
glauben erreicht zu haben, welche gewaltigen Redner und Dichter sie erzeugt,
darüber spricht sich ihr Lehrplan von 1833 mit einer jeglicher Bescheidenheit
baaren Naivetät aus, die Frechheit genannt werden müßte, wenn sie nicht
Unwissenheit wäre: „Die Jesuiten und ihre Schüler vermochten beides, zu
reden nämlich und zu schreiben! Viele, sehr viele schrieben Hymnen und Oden
und andere Poemata in lateinischer und griechischer Sprache, wie nur ein
lateinischer und griechischer Lyriker und Poet schreiben kann, so daß diese ihre
Werke, neben die Poesien der alten Griechen und Römer gestellt, von diesen
nicht unterschieden werden möchten. Die Bibliotheken der Societät Jesu
weisen Werke, von Jesuiten verfaßt, auf, welche Reden, Geschichten, epische Ge¬
dichte, z, B. Christiaden, lateinisch und griechisch geschrieben enthalten, die
das classische Gepräge tragen, und deren Verfasser, nach dem Ausdruck und
der Kunst, ganz würdig neben Demosthenes und Cicero, neben Thukydides
und Livius oder Tacitus, neben Homer oder Virgil stehen.*) Anders freilich
urtheilt über die Resultate des Unterrichts der Jesuiten der berühmte Philo¬
loge Jakobs: „Die Menschen abzurichten, das mögen die Jesuiten verstanden
haben, aber zu bilden nimmermehr. Ich habe in München Schüler der
Augsburger und Schweizer Jesuiten zu examiniren gehabt, und nie ist mir
eine crassere Unwissenheit vorgekommen."^) Es kann uns nicht schwer sein,
diese einseitige Betonung des Styls, also der Form gegenüber dem Inhalt,
zu begreifen. Es ist zuvörderst wieder der Geist der Stabilität, der von dem
einmal Anerkannten nicht weichen will, es ist sodann der Geist der Äußer¬
lichkeit, der sich in dieser ausschließlichen Pflege des Kormellen verräth. Der
Katholicismus hat an sich schon einen starken Zug zur Veräußerlichung des
geistigen, religiösen und sittlichen Lebens, aber dieser Zug wird durch einen
andern auf mystische Verinnerlichung gerichteten beschränkt; der Jesuitismus
läßt jenem freien ungehemmten Spielraum, während er diesem den Zutritt
verwehrt. Es ist ganz charakteristisch, daß in den Kirchen der Jesuiten sich
keine wahrhaft werthvollen Kunstwerke finden, während sie durch Schimmer
und Glanz die Sinne zu blenden suchen. Diese Hinzielung des Unterrichts
auf stylistische Tüchtigkeit hat offenbar den Eindruck ins Auge gefaßt, den die
Leistungen der Schüler auf das Publicum ausüben sollen. Welches Staunen,
welche Bewunderung mußte dasselbe ergreifen, wenn es auf dem Katheder der
Aula Jünglinge erblickte, die lange Reden im Style Cicero's zu halten ver¬
mochten, reich geschmückt mit mannichfaltigen rhetorischen Figuren, im Begriff
aus dem Lorbeerkranze, der des Demosthenes und des Cicero Haupt schmückt,




. ') Raumer a. a. O. S. 305-6.
") Wangemann im Artikel Jesuiten, Jesuitcnschulen in Schmid's Encyklopädie des Unter¬
richts- und Erziehungswesens. Bd. III. S. 774.
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[0258] anderes." Und welche glänzenden Resultate die Jesuiten auf diesem Gebiete glauben erreicht zu haben, welche gewaltigen Redner und Dichter sie erzeugt, darüber spricht sich ihr Lehrplan von 1833 mit einer jeglicher Bescheidenheit baaren Naivetät aus, die Frechheit genannt werden müßte, wenn sie nicht Unwissenheit wäre: „Die Jesuiten und ihre Schüler vermochten beides, zu reden nämlich und zu schreiben! Viele, sehr viele schrieben Hymnen und Oden und andere Poemata in lateinischer und griechischer Sprache, wie nur ein lateinischer und griechischer Lyriker und Poet schreiben kann, so daß diese ihre Werke, neben die Poesien der alten Griechen und Römer gestellt, von diesen nicht unterschieden werden möchten. Die Bibliotheken der Societät Jesu weisen Werke, von Jesuiten verfaßt, auf, welche Reden, Geschichten, epische Ge¬ dichte, z, B. Christiaden, lateinisch und griechisch geschrieben enthalten, die das classische Gepräge tragen, und deren Verfasser, nach dem Ausdruck und der Kunst, ganz würdig neben Demosthenes und Cicero, neben Thukydides und Livius oder Tacitus, neben Homer oder Virgil stehen.*) Anders freilich urtheilt über die Resultate des Unterrichts der Jesuiten der berühmte Philo¬ loge Jakobs: „Die Menschen abzurichten, das mögen die Jesuiten verstanden haben, aber zu bilden nimmermehr. Ich habe in München Schüler der Augsburger und Schweizer Jesuiten zu examiniren gehabt, und nie ist mir eine crassere Unwissenheit vorgekommen."^) Es kann uns nicht schwer sein, diese einseitige Betonung des Styls, also der Form gegenüber dem Inhalt, zu begreifen. Es ist zuvörderst wieder der Geist der Stabilität, der von dem einmal Anerkannten nicht weichen will, es ist sodann der Geist der Äußer¬ lichkeit, der sich in dieser ausschließlichen Pflege des Kormellen verräth. Der Katholicismus hat an sich schon einen starken Zug zur Veräußerlichung des geistigen, religiösen und sittlichen Lebens, aber dieser Zug wird durch einen andern auf mystische Verinnerlichung gerichteten beschränkt; der Jesuitismus läßt jenem freien ungehemmten Spielraum, während er diesem den Zutritt verwehrt. Es ist ganz charakteristisch, daß in den Kirchen der Jesuiten sich keine wahrhaft werthvollen Kunstwerke finden, während sie durch Schimmer und Glanz die Sinne zu blenden suchen. Diese Hinzielung des Unterrichts auf stylistische Tüchtigkeit hat offenbar den Eindruck ins Auge gefaßt, den die Leistungen der Schüler auf das Publicum ausüben sollen. Welches Staunen, welche Bewunderung mußte dasselbe ergreifen, wenn es auf dem Katheder der Aula Jünglinge erblickte, die lange Reden im Style Cicero's zu halten ver¬ mochten, reich geschmückt mit mannichfaltigen rhetorischen Figuren, im Begriff aus dem Lorbeerkranze, der des Demosthenes und des Cicero Haupt schmückt, . ') Raumer a. a. O. S. 305-6. ") Wangemann im Artikel Jesuiten, Jesuitcnschulen in Schmid's Encyklopädie des Unter¬ richts- und Erziehungswesens. Bd. III. S. 774.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/258>, abgerufen am 22.07.2024.