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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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berechtigt sein, dasselbe was Sachsen, Hessen, Mecklenburg, Braunschweig,
Oldenburg, Baden u. s. w. bereits gethan haben, auch von den beiden grö߬
ten süddeutschen Regierungen zu verlangen? Denn es handelt sich ja im
Grunde genommen nicht einmal um ein Aufgeben von Souveränetätsrechten;
das Postrecht als jus majestatis, als Bestandtheil der Polizeihoheit, wird
nicht abgetreten, und auch die Nutzbarkeit des Postregals findet ihren Aus¬
druck in der Theilnahme an den PostÜberschüssen, Nur die einheitliche
Organisation der PostVerwaltung steht in Frage.

Wenn die Regierungen von Bayern und Württemberg diesem Postulat
gegenüber an den alten Institutionen festhalten, und wenn, wie geschehen,
auf die bezügliche Jnterpellation des bayrischen Abgeordneten Freiherrn von
Stauffenberg vom Ministertische die Antwort ertheilt worden ist, es läge
"keine Veranlassung" vor, das bayrische Postwesen der Reichsverwaltung zu
übertragen, so möchte es angezeigt sein, zu prüfen, welche Folgen für die
wirthschaftlichen Verhältnisse der Staaten sich an diese stzecissio in mouton
Wernen knüpfen.

Die mächtige Entwickelung des deutschen Wirthschaftslebens nach Be¬
endigung des Krieges von 1870--71 springt so offen in die Augen, daß es
Eulen nach Athen tragen hieße, wollte man darüber weitläufige Betrachtungen
anstellen. Mit dem Aufschwünge der Production auf allen Gebieten steht die
Hebung des Verkehrswesens in inniger Verbindung. Die wichtige Auf¬
gabe, dem Verkehr durch Vervielfältigung und Erleichterung der Verkehrsmittel
neue Bahnen zu ebnen, den wachsenden Bedürfnissen rechtzeitig entgegenzu¬
kommen, erfüllt unsere Reichspost in hohem Maße; sie ist einer der
ersten Pioniere in der Hinwegräumung aller Verkehrshemmnisse. Längst
haben im Postwesen die alten Grundsätze der finanziellen Ausnutzung des
großen Culturinstituts freieren reformatorischen Principien Platz gemacht; der
frische Hauch eines belebenden Geistes hat die alte Zeit mit ihren spanischen
Stiefeln einer verkehrten Staatsökonomie glücklich beseitigt. Kommt nun die
bewährte und längst allseitig anerkannte Fürsorge der Reichspost auch Bayern
und Württemberg zu Gute, werden die Maßregeln, welche von jenem um¬
fassenderen Standpunkte aus zur Vermehrung der Postversendungsobjecte, zur
Erleichterung der Verkehrsbeziehungen und zur Einführung billiger Taxen
u. s. w. getroffen werden, sogleich auch für Bayern und Württemberg nutzbar?
Mit Nichten; an den bayrischen und württembergischen Schlagbäumen prallen
die Decrete der Reichspost ab. Und die Nation? Nun, ihr geschieht Recht,
man copirt in München und Stuttgart die Einrichtungen der Reichspost,
die mun vielleicht aus den Zeitungen kennen lernt, mit gewissenhafter Treue;
nur geht das nicht so schnell, wie an der Quelle. Beispielsweise
gelangte das Postmandatswesen, das im "Reiche" schon seit September 1871


berechtigt sein, dasselbe was Sachsen, Hessen, Mecklenburg, Braunschweig,
Oldenburg, Baden u. s. w. bereits gethan haben, auch von den beiden grö߬
ten süddeutschen Regierungen zu verlangen? Denn es handelt sich ja im
Grunde genommen nicht einmal um ein Aufgeben von Souveränetätsrechten;
das Postrecht als jus majestatis, als Bestandtheil der Polizeihoheit, wird
nicht abgetreten, und auch die Nutzbarkeit des Postregals findet ihren Aus¬
druck in der Theilnahme an den PostÜberschüssen, Nur die einheitliche
Organisation der PostVerwaltung steht in Frage.

Wenn die Regierungen von Bayern und Württemberg diesem Postulat
gegenüber an den alten Institutionen festhalten, und wenn, wie geschehen,
auf die bezügliche Jnterpellation des bayrischen Abgeordneten Freiherrn von
Stauffenberg vom Ministertische die Antwort ertheilt worden ist, es läge
„keine Veranlassung" vor, das bayrische Postwesen der Reichsverwaltung zu
übertragen, so möchte es angezeigt sein, zu prüfen, welche Folgen für die
wirthschaftlichen Verhältnisse der Staaten sich an diese stzecissio in mouton
Wernen knüpfen.

Die mächtige Entwickelung des deutschen Wirthschaftslebens nach Be¬
endigung des Krieges von 1870—71 springt so offen in die Augen, daß es
Eulen nach Athen tragen hieße, wollte man darüber weitläufige Betrachtungen
anstellen. Mit dem Aufschwünge der Production auf allen Gebieten steht die
Hebung des Verkehrswesens in inniger Verbindung. Die wichtige Auf¬
gabe, dem Verkehr durch Vervielfältigung und Erleichterung der Verkehrsmittel
neue Bahnen zu ebnen, den wachsenden Bedürfnissen rechtzeitig entgegenzu¬
kommen, erfüllt unsere Reichspost in hohem Maße; sie ist einer der
ersten Pioniere in der Hinwegräumung aller Verkehrshemmnisse. Längst
haben im Postwesen die alten Grundsätze der finanziellen Ausnutzung des
großen Culturinstituts freieren reformatorischen Principien Platz gemacht; der
frische Hauch eines belebenden Geistes hat die alte Zeit mit ihren spanischen
Stiefeln einer verkehrten Staatsökonomie glücklich beseitigt. Kommt nun die
bewährte und längst allseitig anerkannte Fürsorge der Reichspost auch Bayern
und Württemberg zu Gute, werden die Maßregeln, welche von jenem um¬
fassenderen Standpunkte aus zur Vermehrung der Postversendungsobjecte, zur
Erleichterung der Verkehrsbeziehungen und zur Einführung billiger Taxen
u. s. w. getroffen werden, sogleich auch für Bayern und Württemberg nutzbar?
Mit Nichten; an den bayrischen und württembergischen Schlagbäumen prallen
die Decrete der Reichspost ab. Und die Nation? Nun, ihr geschieht Recht,
man copirt in München und Stuttgart die Einrichtungen der Reichspost,
die mun vielleicht aus den Zeitungen kennen lernt, mit gewissenhafter Treue;
nur geht das nicht so schnell, wie an der Quelle. Beispielsweise
gelangte das Postmandatswesen, das im „Reiche" schon seit September 1871


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/239>, abgerufen am 22.07.2024.