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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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noch eine neue gekommen: Korrespondenten, Schachaufgabenlöser, Gelehrte
und andere "vom Leben abgewandte" Idealisten foltern Dich mit der Ein¬
sendung von Neichspoft marken, mit welchen Du die Antwortbriefe an
alle diese lästigen Frager frankiren sollst! Vergieb ihnen; denn sie wissen
nicht was sie thun, und was die königliche Hauptbriefpostexpedition in Stutt¬
gart von solchen "Ignoranten" denkt.

Nun haben wir denn nicht die Neichspost wiedererlangt? Ist sie nicht
auferstanden in dem glorreichen Jahr 1870, kein Epigone der alten Taxisschen
Feudalpost, sondern die deutsche Reichspost in echtem Sinne? Gewiß, sie
ist erstanden, sie ist da, von Rechtswegen; und ein Postrecht gilt von Memel
bis Constanz, von Aachen bis Passau, -- aber die königlich bayrische Post
und die königlich württembergische Post sind ebenfalls von Rechtswegen da.
Artikel 48 der Verfassung des neuen deutschen Reichs garantirt die einheit¬
liche Staatsverkehrsanstalt für das gesammte Gebiet des
deutschen Reichs, Artikel 52 dieser Verfassung garantirt das Fortbestehen
der Territorial-Jnstitute in Bayern und Württemberg.

Was Recht ist, muß eben Recht bleiben, so lange es nicht gesetzlich ge¬
ändert wird; daran ist nicht zu zweifeln; -- eine andere Frage ist, wie
lange dieser Zustand noch conservirt werden soll, und ob nicht eine
Beseitigung jener Particülar - Postinstitute im Interesse des Reichs wie
der Bevölkerungen von Bayern und Württemberg nothwendig erscheint.
Die Sache hat ihre politische, wirthschaftliche und ohne Zweifel auch ihre
rein technische Seite.

In politischer Hinsicht stehen die Interessen der Landeshoheit und der
Reichsgewalt sich anscheinend diametral entgegen. Das ersehen wir klar aus
dem Laufe der Verhandlungen wegen Erweiterung der Reichscompetenz auf
dem Gebiete des Civilrechts in Deutschland. Süddeutscher seits will man in
der Praxis den Bestrebungen auf einheitliche Regelung des civilprozessuali-
schen Verfahrens nicht entgegenwirken, vielmehr ihr allen Vorschub leisten,
wenn nur das Princip gewahrt bleibt, daß das Reich in Bayern
und Württemberg keine Proceßordnungen zu erlassen befugt ist. Gleiche An¬
schauungen walten in Bezug auf die Ausdehnung der Reichsgewalt im Post-
wesen ob, wenngleich in dieser Beziehung durch den Erlaß des Reichsgesetzes
vom 28, Oetober 1871, über das PostWesen des deutschen Reichs für die
einheitliche Ausbildung der deutschen Postgesetzgebung bereits Großes
erreicht ist. Immerhin sträubt man sich in München und Stuttgart, den
letzten Schritt zu thun: durch Uebergabe der Territorial-Postinstitute Bayerns
und Württembergs an das Reich die Verheißung des Artikels 48 der deut¬
schen Verfassung, daß das Postwesen für das gesammte Reichsgebiet ein¬
heitlich verwaltet werden solle, wahr zu machen. Sollte die Nation nicht


noch eine neue gekommen: Korrespondenten, Schachaufgabenlöser, Gelehrte
und andere „vom Leben abgewandte" Idealisten foltern Dich mit der Ein¬
sendung von Neichspoft marken, mit welchen Du die Antwortbriefe an
alle diese lästigen Frager frankiren sollst! Vergieb ihnen; denn sie wissen
nicht was sie thun, und was die königliche Hauptbriefpostexpedition in Stutt¬
gart von solchen „Ignoranten" denkt.

Nun haben wir denn nicht die Neichspost wiedererlangt? Ist sie nicht
auferstanden in dem glorreichen Jahr 1870, kein Epigone der alten Taxisschen
Feudalpost, sondern die deutsche Reichspost in echtem Sinne? Gewiß, sie
ist erstanden, sie ist da, von Rechtswegen; und ein Postrecht gilt von Memel
bis Constanz, von Aachen bis Passau, — aber die königlich bayrische Post
und die königlich württembergische Post sind ebenfalls von Rechtswegen da.
Artikel 48 der Verfassung des neuen deutschen Reichs garantirt die einheit¬
liche Staatsverkehrsanstalt für das gesammte Gebiet des
deutschen Reichs, Artikel 52 dieser Verfassung garantirt das Fortbestehen
der Territorial-Jnstitute in Bayern und Württemberg.

Was Recht ist, muß eben Recht bleiben, so lange es nicht gesetzlich ge¬
ändert wird; daran ist nicht zu zweifeln; — eine andere Frage ist, wie
lange dieser Zustand noch conservirt werden soll, und ob nicht eine
Beseitigung jener Particülar - Postinstitute im Interesse des Reichs wie
der Bevölkerungen von Bayern und Württemberg nothwendig erscheint.
Die Sache hat ihre politische, wirthschaftliche und ohne Zweifel auch ihre
rein technische Seite.

In politischer Hinsicht stehen die Interessen der Landeshoheit und der
Reichsgewalt sich anscheinend diametral entgegen. Das ersehen wir klar aus
dem Laufe der Verhandlungen wegen Erweiterung der Reichscompetenz auf
dem Gebiete des Civilrechts in Deutschland. Süddeutscher seits will man in
der Praxis den Bestrebungen auf einheitliche Regelung des civilprozessuali-
schen Verfahrens nicht entgegenwirken, vielmehr ihr allen Vorschub leisten,
wenn nur das Princip gewahrt bleibt, daß das Reich in Bayern
und Württemberg keine Proceßordnungen zu erlassen befugt ist. Gleiche An¬
schauungen walten in Bezug auf die Ausdehnung der Reichsgewalt im Post-
wesen ob, wenngleich in dieser Beziehung durch den Erlaß des Reichsgesetzes
vom 28, Oetober 1871, über das PostWesen des deutschen Reichs für die
einheitliche Ausbildung der deutschen Postgesetzgebung bereits Großes
erreicht ist. Immerhin sträubt man sich in München und Stuttgart, den
letzten Schritt zu thun: durch Uebergabe der Territorial-Postinstitute Bayerns
und Württembergs an das Reich die Verheißung des Artikels 48 der deut¬
schen Verfassung, daß das Postwesen für das gesammte Reichsgebiet ein¬
heitlich verwaltet werden solle, wahr zu machen. Sollte die Nation nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/238>, abgerufen am 22.07.2024.