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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Wir sollten nun sofort zu dem Genfer Congreß übergehen, wollen aber
die Geschichte der vier Concilien, in welchen der neue Glaube sich ausgestattete,
nicht unnöthig zerreißen, und so geben wir dieselbe in einem späteren Ab¬
schnitte und setzen hier, Einiges vorausnehmend, nur die Organisation der
neuen socialdemokratischen Kirche auseinander. Wir sind dazu um so mehr
befugt, als diese Organisation auf dem Genfer Congreß nicht geschaffen, son¬
dern einfach bestätigt wurde.

Bei Betrachtung der Organisation des internationalen Arbeiterbundes
muß man, wie bei derjenigen der Einrichtung aller Vereine, zwischen Theorie
und Praxis, zwischen den in ihren Statuten niedergelegten Bestimmungen und
der Art unterscheiden, wie sie angewendet wurden, eine Unterscheidung, die
oft außer Augen gelassen worden ist.

Die Theorie lautet etwa folgendermaßen: Eine mehr oder minder große
Anzahl von Mitgliedern des Bundes, die sich zusammengethan haben, ent¬
weder weil sie in derselben Gegend demselben Gewerk angehören, oder weil
sie dieselbe Stadt oder denselben Stadttheil bewohnen, bildet eine Section.
Mehrere Sectionen derselben Gegend machen eine Conföderation aus. Die
sämmtlichen Conföderationen im Verein stellen den Bund dar, welcher durch
die jährlichen Congresse geleitet und durch den Generalrats regiert werden
soll. Die Glieder jeder Section wählen unter sich Delegirte, von denen die
einen sie im Fvderalrath, die andern sie auf dem Congreß vertreten. Der
Congreß seinerseits wählt die Mitglieder des Generalrathes, woraus sich er¬
gibt, daß der Bund in der Theorie stets von einer Regierung verwaltet wird,
die aus doppelt abgestuften oder indirecten Wahlen hervorgegangen ist.

In der Praxis scheinen sich die Dinge genau umgekehrt gestaltet zu
haben. Die Gründer des Bundes scheinen von den ersten Tagen an den
Generalrats constituirt zu haben, dessen Vollmachten durch die vier jährlichen
Congresse, die bereits aufeinander gefolgt sind, unter dem Schein der Wahl
einfach bestätigt wurden.

Endlich ist sehr wahrscheinlich, daß in vielen, ja den meisten Fällen die
Delegirten der betreffenden Section aus rührigen und unternehmenden Leuten
bestehen werden, welche dieselbe, indem sie Gläubige warben, gegründet haben
und mit ihrem Einfluß und Anhang vollständig beherrschen. Es geht dabei
ungefähr so zu, wie bei vielen Bataillonen der Pariser Nationalgarde, die
nach dem 4. September 1870 entstanden. Eine kleine Anzahl eifriger Revo¬
lutionäre, gewöhnlich Anhänger oder Affiliirte der Internationale, that sich
damals zusammen, vertheilte unter sich alle Epauletten von denen des Majors
bis zu denen des Unterlieutenants herab, und ging dann in dem betreffenden
Stadtviertel herum, um ein paar Hundert naive Leute zusammenzusuchen, die
man auf die eine oder die andere Weise zum Eintritt in das neue Bataillon


Wir sollten nun sofort zu dem Genfer Congreß übergehen, wollen aber
die Geschichte der vier Concilien, in welchen der neue Glaube sich ausgestattete,
nicht unnöthig zerreißen, und so geben wir dieselbe in einem späteren Ab¬
schnitte und setzen hier, Einiges vorausnehmend, nur die Organisation der
neuen socialdemokratischen Kirche auseinander. Wir sind dazu um so mehr
befugt, als diese Organisation auf dem Genfer Congreß nicht geschaffen, son¬
dern einfach bestätigt wurde.

Bei Betrachtung der Organisation des internationalen Arbeiterbundes
muß man, wie bei derjenigen der Einrichtung aller Vereine, zwischen Theorie
und Praxis, zwischen den in ihren Statuten niedergelegten Bestimmungen und
der Art unterscheiden, wie sie angewendet wurden, eine Unterscheidung, die
oft außer Augen gelassen worden ist.

Die Theorie lautet etwa folgendermaßen: Eine mehr oder minder große
Anzahl von Mitgliedern des Bundes, die sich zusammengethan haben, ent¬
weder weil sie in derselben Gegend demselben Gewerk angehören, oder weil
sie dieselbe Stadt oder denselben Stadttheil bewohnen, bildet eine Section.
Mehrere Sectionen derselben Gegend machen eine Conföderation aus. Die
sämmtlichen Conföderationen im Verein stellen den Bund dar, welcher durch
die jährlichen Congresse geleitet und durch den Generalrats regiert werden
soll. Die Glieder jeder Section wählen unter sich Delegirte, von denen die
einen sie im Fvderalrath, die andern sie auf dem Congreß vertreten. Der
Congreß seinerseits wählt die Mitglieder des Generalrathes, woraus sich er¬
gibt, daß der Bund in der Theorie stets von einer Regierung verwaltet wird,
die aus doppelt abgestuften oder indirecten Wahlen hervorgegangen ist.

In der Praxis scheinen sich die Dinge genau umgekehrt gestaltet zu
haben. Die Gründer des Bundes scheinen von den ersten Tagen an den
Generalrats constituirt zu haben, dessen Vollmachten durch die vier jährlichen
Congresse, die bereits aufeinander gefolgt sind, unter dem Schein der Wahl
einfach bestätigt wurden.

Endlich ist sehr wahrscheinlich, daß in vielen, ja den meisten Fällen die
Delegirten der betreffenden Section aus rührigen und unternehmenden Leuten
bestehen werden, welche dieselbe, indem sie Gläubige warben, gegründet haben
und mit ihrem Einfluß und Anhang vollständig beherrschen. Es geht dabei
ungefähr so zu, wie bei vielen Bataillonen der Pariser Nationalgarde, die
nach dem 4. September 1870 entstanden. Eine kleine Anzahl eifriger Revo¬
lutionäre, gewöhnlich Anhänger oder Affiliirte der Internationale, that sich
damals zusammen, vertheilte unter sich alle Epauletten von denen des Majors
bis zu denen des Unterlieutenants herab, und ging dann in dem betreffenden
Stadtviertel herum, um ein paar Hundert naive Leute zusammenzusuchen, die
man auf die eine oder die andere Weise zum Eintritt in das neue Bataillon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/23>, abgerufen am 22.07.2024.