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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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oder minder durch die Unterbrechung des Verkehrs zwischen den Departements
und der Hauptstadt gefährdeten Interessen zu überwachen. Es waren große
Fabrikanten, Capitalisten, Rentiers, Leute der Ordnung. Viele derselben
trugen die Epauletten der Officiere oder die Tressen der Unterofficiere der
Nationalgarde. Ihre verlängerte Abwesenheit ließ die Bataillone der innern
Stadt mehr oder minder vollständig in Unordnung gerathen. Während dieser
Zeit organisirten sich die der Vorstädte, die jetzt die preußischen Kugeln nicht
mehr zu fürchten hatten, für den Bürgerkrieg. Die Föderation der Bataillone
der Unordnung vollzog sich ohne viel Geräusch nach dem Plane der Födera¬
tion der Arbeitervereine. Die Nationalgarde bekam, ohne sich dessen zu ver¬
muthen, ein Centralcomite', welches sich jeden Tag durch einige von den Ce-
lebritäten der Internationale verstärkte.

Als der für den Einmarsch der Deutschen in Paris festgesetzte Tag kam,
hielten die Führer des Bundes, als sie die Erschütterung dessen, was von Re¬
gierung in Paris noch übrig war, bemerkten, die Gelegenheit günstig, mit
der Ausführung ihrer Pläne zu beginnen. Graf Bismarck hatte gerathen,
die Nationalgarde zu entwaffnen, ein Gefühl unverständigen Stolzes oder auch
die Ahnung, daß es nicht möglich mehr, ließ den Rath ablehnen, und so ge¬
schah, was kommen mußte. Wir brauchen nur kurz daran zu erinnern, wie
die in verschiedenen Theilen der Stadt stehenden Kanonen plötzlich von Be¬
auftragten des Centralcomites unter dem Vorgeben, zu verhindern, daß sie in
die Hände der Feinde fielen, weggebracht und nach den Höhepunkten der Vor¬
städte geschafft wurden, welche für die sociale Revolution gewonnen waren.
Wir erwähnen auch nur kurz jene achtzehn Tage der moralischen Zerrüttung
und intellectuellen Verwirrung, während welcher die schlecht orientirte und
desorganisirte Regierung den Abschaum der Pairser Bevölkerung jene unglück¬
lichen Leute ertränken ließ, die in Verdacht standen, der Polizei angehört zu
haben, und während welcher dieses Gefindel die rothe Fahne auf der Juli¬
säule aufzog. Endlich war die Krisis gekommen. Der Versuch der schlaffen
Regierung, die auf den Montmartre geschleppten Geschütze wieder zu nehmen,
schlug fehl, und das Centralcomite weihte den Antritt seines blutigen Regi¬
ments mit der Ermordung der Generale Lecomte und Thomas ein. Die In¬
ternationale und die mit ihr Hand in Hand gehenden Jacobiner triumphirten
endlich; glücklicherweise war ihre mit Mord begonnene und mit Mvrdbrennerci
endigende Herrschaft nur kurz.

Die Geschichte dieser greuelvollen Wochen ist schon oft erzählt, obwohl
die Zeit, wo sie mit voller Kenntniß der Thatsachen geschrieben werden könnte,
noch nicht gekommen ist. Wir erzählen sie aus diesen Gründen nicht noch
einmal. Unsere Absicht war nur, zu zeigen, durch welche Reihenfolge wahn¬
witziger Gedanken, und durch welchen Zug ungeregelter Leidenschaften die


oder minder durch die Unterbrechung des Verkehrs zwischen den Departements
und der Hauptstadt gefährdeten Interessen zu überwachen. Es waren große
Fabrikanten, Capitalisten, Rentiers, Leute der Ordnung. Viele derselben
trugen die Epauletten der Officiere oder die Tressen der Unterofficiere der
Nationalgarde. Ihre verlängerte Abwesenheit ließ die Bataillone der innern
Stadt mehr oder minder vollständig in Unordnung gerathen. Während dieser
Zeit organisirten sich die der Vorstädte, die jetzt die preußischen Kugeln nicht
mehr zu fürchten hatten, für den Bürgerkrieg. Die Föderation der Bataillone
der Unordnung vollzog sich ohne viel Geräusch nach dem Plane der Födera¬
tion der Arbeitervereine. Die Nationalgarde bekam, ohne sich dessen zu ver¬
muthen, ein Centralcomite', welches sich jeden Tag durch einige von den Ce-
lebritäten der Internationale verstärkte.

Als der für den Einmarsch der Deutschen in Paris festgesetzte Tag kam,
hielten die Führer des Bundes, als sie die Erschütterung dessen, was von Re¬
gierung in Paris noch übrig war, bemerkten, die Gelegenheit günstig, mit
der Ausführung ihrer Pläne zu beginnen. Graf Bismarck hatte gerathen,
die Nationalgarde zu entwaffnen, ein Gefühl unverständigen Stolzes oder auch
die Ahnung, daß es nicht möglich mehr, ließ den Rath ablehnen, und so ge¬
schah, was kommen mußte. Wir brauchen nur kurz daran zu erinnern, wie
die in verschiedenen Theilen der Stadt stehenden Kanonen plötzlich von Be¬
auftragten des Centralcomites unter dem Vorgeben, zu verhindern, daß sie in
die Hände der Feinde fielen, weggebracht und nach den Höhepunkten der Vor¬
städte geschafft wurden, welche für die sociale Revolution gewonnen waren.
Wir erwähnen auch nur kurz jene achtzehn Tage der moralischen Zerrüttung
und intellectuellen Verwirrung, während welcher die schlecht orientirte und
desorganisirte Regierung den Abschaum der Pairser Bevölkerung jene unglück¬
lichen Leute ertränken ließ, die in Verdacht standen, der Polizei angehört zu
haben, und während welcher dieses Gefindel die rothe Fahne auf der Juli¬
säule aufzog. Endlich war die Krisis gekommen. Der Versuch der schlaffen
Regierung, die auf den Montmartre geschleppten Geschütze wieder zu nehmen,
schlug fehl, und das Centralcomite weihte den Antritt seines blutigen Regi¬
ments mit der Ermordung der Generale Lecomte und Thomas ein. Die In¬
ternationale und die mit ihr Hand in Hand gehenden Jacobiner triumphirten
endlich; glücklicherweise war ihre mit Mord begonnene und mit Mvrdbrennerci
endigende Herrschaft nur kurz.

Die Geschichte dieser greuelvollen Wochen ist schon oft erzählt, obwohl
die Zeit, wo sie mit voller Kenntniß der Thatsachen geschrieben werden könnte,
noch nicht gekommen ist. Wir erzählen sie aus diesen Gründen nicht noch
einmal. Unsere Absicht war nur, zu zeigen, durch welche Reihenfolge wahn¬
witziger Gedanken, und durch welchen Zug ungeregelter Leidenschaften die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/220>, abgerufen am 22.12.2024.