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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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In Paris konnte man in der ersten Zeit der Belagerung nicht errathen,
was die Genossenschaft eigentlich vorhatte. Ihre Anhänger und ihre im Na¬
men des Bundes sprechenden Redner schienen in Bezug auf die Deutschen von
ähnlichen Empfindungen beseelt zu sein, wie die andern Pariser. "Man
könnte", sagt Mlletard, "wenn unsere Erinnerungen uns nicht täuschen, sogar
mehrere derselben anführen, die unter denen waren, welche den Krieg bis zum
Aeußersten und einen Ausfall in Masse befürworteten. Aber was vor Allem
merkwürdig, war der Eifer, mit welchem die der Sache der socialen Revolu¬
tion ergebenen Bataillone sich mit Chassepots und Patronen versahen."

Man sollte glauben, daß diese unerschrockenen Kriegsleute es den Deut¬
schen sehr heiß gemacht hätten. Indeß, als die Marschbataillone auf Vor¬
posten geschickt wurden, begab sichs, daß gerade diejenigen Departements,
welche am meisten international waren, auch diejenigen Mannschaften gesandt
hatten, welche den meisten Eifer bezeigten, "sich in guter Ordnung zurückzu¬
ziehen" oder bei dem ersten Angriff, ja bei dem ersten besten Alarm davonzu¬
laufen -- eine lehrreiche Thatsache, welche der später von den Insurgenten
schändlich umgebrachte General Element Thomas den Lesern des "Journal
officiel" mitgetheilt hat.

Andererseits gehörten die Personen, welche während der Belagerung von
Paris die revolutionären Kundgebungen und die Versuche zu Handstreichen
gegen die Regierung der Nationalvertheidigung in Scene setzten und anführ¬
ten, fast ausschließlich der Jacobinerpartei an. Die Internationalen ent¬
hielten sich sowohl am 31. October als am 22. Januar der Mitwirkung in
Masse.

"Was thaten sie aber?" fragt Mlletard. "Nun, sie hielten sich in Re¬
serve, indem sie einestheils keine Lust hatten, ihre kostbare Gesundheit gegen
die Preußen aufs Spiel zu setzen, anderntheils sich nicht in unnöthigen Schar¬
mützeln gegen die Regierungsgewalt erschöpfen und sich nicht einfältiger Weise
des Stadthauses bemächtigen wollten, wo sie statt der Bourgeois-Republikaner
die Schande gehabt hätten, dem Feinde die Thore von Paris zu öffnen. In¬
dem sie ihre Stunde erwarteten, recrutirten sie sich, zählten und organisirten
sie sich und vervollständigten sie an jedem Wachttage ihren Patronenvorrath,
ohne derer zu gedenken, welche in der Artillerie der Nationalgarde während
ihrer Mußestunden die Kunst, Kanonen zu laden und mit Mitrailleusen zu
hantieren studirten.

Endlich mußte das ausgehungerte Paris capituliren, und die Pariser
konnten die Mauern verlassen, in die sie vier und einen halben Monat ein¬
geschlossen gewesen waren. Die Mehrzahl derer, welche von dieser Erlaubniß
Gebrauch machten, b"stand aus "Bourgeois", die Eile hatten, zu sehen, was
aus ihrem Eigenthum in der Provinz inzwischen geworden, oder ihre mehr


In Paris konnte man in der ersten Zeit der Belagerung nicht errathen,
was die Genossenschaft eigentlich vorhatte. Ihre Anhänger und ihre im Na¬
men des Bundes sprechenden Redner schienen in Bezug auf die Deutschen von
ähnlichen Empfindungen beseelt zu sein, wie die andern Pariser. „Man
könnte", sagt Mlletard, „wenn unsere Erinnerungen uns nicht täuschen, sogar
mehrere derselben anführen, die unter denen waren, welche den Krieg bis zum
Aeußersten und einen Ausfall in Masse befürworteten. Aber was vor Allem
merkwürdig, war der Eifer, mit welchem die der Sache der socialen Revolu¬
tion ergebenen Bataillone sich mit Chassepots und Patronen versahen."

Man sollte glauben, daß diese unerschrockenen Kriegsleute es den Deut¬
schen sehr heiß gemacht hätten. Indeß, als die Marschbataillone auf Vor¬
posten geschickt wurden, begab sichs, daß gerade diejenigen Departements,
welche am meisten international waren, auch diejenigen Mannschaften gesandt
hatten, welche den meisten Eifer bezeigten, „sich in guter Ordnung zurückzu¬
ziehen" oder bei dem ersten Angriff, ja bei dem ersten besten Alarm davonzu¬
laufen — eine lehrreiche Thatsache, welche der später von den Insurgenten
schändlich umgebrachte General Element Thomas den Lesern des „Journal
officiel" mitgetheilt hat.

Andererseits gehörten die Personen, welche während der Belagerung von
Paris die revolutionären Kundgebungen und die Versuche zu Handstreichen
gegen die Regierung der Nationalvertheidigung in Scene setzten und anführ¬
ten, fast ausschließlich der Jacobinerpartei an. Die Internationalen ent¬
hielten sich sowohl am 31. October als am 22. Januar der Mitwirkung in
Masse.

„Was thaten sie aber?" fragt Mlletard. „Nun, sie hielten sich in Re¬
serve, indem sie einestheils keine Lust hatten, ihre kostbare Gesundheit gegen
die Preußen aufs Spiel zu setzen, anderntheils sich nicht in unnöthigen Schar¬
mützeln gegen die Regierungsgewalt erschöpfen und sich nicht einfältiger Weise
des Stadthauses bemächtigen wollten, wo sie statt der Bourgeois-Republikaner
die Schande gehabt hätten, dem Feinde die Thore von Paris zu öffnen. In¬
dem sie ihre Stunde erwarteten, recrutirten sie sich, zählten und organisirten
sie sich und vervollständigten sie an jedem Wachttage ihren Patronenvorrath,
ohne derer zu gedenken, welche in der Artillerie der Nationalgarde während
ihrer Mußestunden die Kunst, Kanonen zu laden und mit Mitrailleusen zu
hantieren studirten.

Endlich mußte das ausgehungerte Paris capituliren, und die Pariser
konnten die Mauern verlassen, in die sie vier und einen halben Monat ein¬
geschlossen gewesen waren. Die Mehrzahl derer, welche von dieser Erlaubniß
Gebrauch machten, b«stand aus „Bourgeois", die Eile hatten, zu sehen, was
aus ihrem Eigenthum in der Provinz inzwischen geworden, oder ihre mehr


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[0219] In Paris konnte man in der ersten Zeit der Belagerung nicht errathen, was die Genossenschaft eigentlich vorhatte. Ihre Anhänger und ihre im Na¬ men des Bundes sprechenden Redner schienen in Bezug auf die Deutschen von ähnlichen Empfindungen beseelt zu sein, wie die andern Pariser. „Man könnte", sagt Mlletard, „wenn unsere Erinnerungen uns nicht täuschen, sogar mehrere derselben anführen, die unter denen waren, welche den Krieg bis zum Aeußersten und einen Ausfall in Masse befürworteten. Aber was vor Allem merkwürdig, war der Eifer, mit welchem die der Sache der socialen Revolu¬ tion ergebenen Bataillone sich mit Chassepots und Patronen versahen." Man sollte glauben, daß diese unerschrockenen Kriegsleute es den Deut¬ schen sehr heiß gemacht hätten. Indeß, als die Marschbataillone auf Vor¬ posten geschickt wurden, begab sichs, daß gerade diejenigen Departements, welche am meisten international waren, auch diejenigen Mannschaften gesandt hatten, welche den meisten Eifer bezeigten, „sich in guter Ordnung zurückzu¬ ziehen" oder bei dem ersten Angriff, ja bei dem ersten besten Alarm davonzu¬ laufen — eine lehrreiche Thatsache, welche der später von den Insurgenten schändlich umgebrachte General Element Thomas den Lesern des „Journal officiel" mitgetheilt hat. Andererseits gehörten die Personen, welche während der Belagerung von Paris die revolutionären Kundgebungen und die Versuche zu Handstreichen gegen die Regierung der Nationalvertheidigung in Scene setzten und anführ¬ ten, fast ausschließlich der Jacobinerpartei an. Die Internationalen ent¬ hielten sich sowohl am 31. October als am 22. Januar der Mitwirkung in Masse. „Was thaten sie aber?" fragt Mlletard. „Nun, sie hielten sich in Re¬ serve, indem sie einestheils keine Lust hatten, ihre kostbare Gesundheit gegen die Preußen aufs Spiel zu setzen, anderntheils sich nicht in unnöthigen Schar¬ mützeln gegen die Regierungsgewalt erschöpfen und sich nicht einfältiger Weise des Stadthauses bemächtigen wollten, wo sie statt der Bourgeois-Republikaner die Schande gehabt hätten, dem Feinde die Thore von Paris zu öffnen. In¬ dem sie ihre Stunde erwarteten, recrutirten sie sich, zählten und organisirten sie sich und vervollständigten sie an jedem Wachttage ihren Patronenvorrath, ohne derer zu gedenken, welche in der Artillerie der Nationalgarde während ihrer Mußestunden die Kunst, Kanonen zu laden und mit Mitrailleusen zu hantieren studirten. Endlich mußte das ausgehungerte Paris capituliren, und die Pariser konnten die Mauern verlassen, in die sie vier und einen halben Monat ein¬ geschlossen gewesen waren. Die Mehrzahl derer, welche von dieser Erlaubniß Gebrauch machten, b«stand aus „Bourgeois", die Eile hatten, zu sehen, was aus ihrem Eigenthum in der Provinz inzwischen geworden, oder ihre mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/219>, abgerufen am 24.08.2024.