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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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übergangen oder, wenn man es lieber so ansehen will, zusammengefaßt mit
der ersten Stufe der flectirenden Sprachentwickelung. Doch wird man aner¬
kennen müssen, daß die Stufe der Agglutination als eine selbständige, als
ein Uebergang mitten inne steht zwischen der ersten coordinirenden Stufe und
der flectirenden, wo die Subordination der Worte nicht allein begonnen, son¬
dern durchgeführt ist einestheils bis zur Ausstoßung des concreten Vor¬
stellungsinhaltes gewisser Wörter, andererseits bis zur lautlicher Berschling-
ung dieser zu Verhältnißbestimmungen erhobenen Wörter in das Lautzeichen
der Hauptvorstellung, das von ihnen nur modificirt wird. Wenn nun die
Unterscheidung der beiden flectirenden Stufen der Sprachentwickelung, der
einen, wo die Flexion für die Wortbeziehung Alles ist, der anderen, wo sie
nur noch ein Hülfsmittel derselben unter anderen geblieben, ohne Widerspruch
richtig aufgestellt ist, so wird man auf vier Stufen der Sprachentwickelung
kommen müssen, wenn man nicht vorzieht, die zweite und dritte Stufe als
Unterabtheilungen einer den Extremen zu coordinirenden Mittelstufe zu fassen.
Uebergängen oder auch nur verwischt werden aber darf die agglutinirende
Sprachstufe nicht.

Weit eingreifender noch ist die Einsicht, daß die von Grimm unterschie¬
denen Sprachentwickelungsstufen sämmtlich einen Zustand voraussetzen, wo der
Sprachstoff der sinnlichen Vorstellungen bereits vorhanden, das heißt gebildet
ist. Wie ist er gebildet worden? Grimm beginnt die Sprachentwickelung
mit der Einwirkung des logischen Denkens auf die sinnlichen Vorstellungen.
Es ist kein Pleonasmus, von logischem Denken zu sprechen. Es gibt ein
Denken, das, indem es operirt, sich noch keines seiner Triebräder bewußt ist,
noch keines derselben zur Vorstellung herausgearbeitet hat. Die Sprache be¬
ginnt mit der Entwickelung dieses Denkens. Das Herausarbeiten der
logischen Triebräder zu Begriffsvorstellungen und zu entsprechenden Form¬
wörtern ist die zweite Hauptstufe der Sprachentwickelung, von welcher die von
Grimm aufgezählten nur Unterstufen sind. Die erste Hauptstufe der Sprach¬
entwickelung beruht auf dem Denken als symbolisirender Thätigkeit. Aus den
Reizen der Außenwelt erzeugt das erwachende Bewußtsein zuerst Empfindungs¬
bilder mit entsprechenden Lautzeichen, dann Sinnenbilder, bei welchen das
menschliche Lautzeichen in einem weniger unwillkürlichen Zusammenhang be¬
reits zum relativ freigeformten Lautabbild wird. Man könnte diese beiden von
uns als Hauptstufen bezeichneten Sprachperioden als die symbolisirende und
organisirende Sprachthätigkeit bezeichnen, wobei zu beachten ist, daß die sym¬
bolisirende Thätigkeit auch während der organisirenden niemals ruht.

Wir übergehen die übrigen Aufsätze unserer Sammlung und verweilen
nur noch bei einer kleinen, auf einer Germanistenversammlung gehaltenen
Rede über den Werth der ungenauen Wissenschaften. Das Wort allein ver-


übergangen oder, wenn man es lieber so ansehen will, zusammengefaßt mit
der ersten Stufe der flectirenden Sprachentwickelung. Doch wird man aner¬
kennen müssen, daß die Stufe der Agglutination als eine selbständige, als
ein Uebergang mitten inne steht zwischen der ersten coordinirenden Stufe und
der flectirenden, wo die Subordination der Worte nicht allein begonnen, son¬
dern durchgeführt ist einestheils bis zur Ausstoßung des concreten Vor¬
stellungsinhaltes gewisser Wörter, andererseits bis zur lautlicher Berschling-
ung dieser zu Verhältnißbestimmungen erhobenen Wörter in das Lautzeichen
der Hauptvorstellung, das von ihnen nur modificirt wird. Wenn nun die
Unterscheidung der beiden flectirenden Stufen der Sprachentwickelung, der
einen, wo die Flexion für die Wortbeziehung Alles ist, der anderen, wo sie
nur noch ein Hülfsmittel derselben unter anderen geblieben, ohne Widerspruch
richtig aufgestellt ist, so wird man auf vier Stufen der Sprachentwickelung
kommen müssen, wenn man nicht vorzieht, die zweite und dritte Stufe als
Unterabtheilungen einer den Extremen zu coordinirenden Mittelstufe zu fassen.
Uebergängen oder auch nur verwischt werden aber darf die agglutinirende
Sprachstufe nicht.

Weit eingreifender noch ist die Einsicht, daß die von Grimm unterschie¬
denen Sprachentwickelungsstufen sämmtlich einen Zustand voraussetzen, wo der
Sprachstoff der sinnlichen Vorstellungen bereits vorhanden, das heißt gebildet
ist. Wie ist er gebildet worden? Grimm beginnt die Sprachentwickelung
mit der Einwirkung des logischen Denkens auf die sinnlichen Vorstellungen.
Es ist kein Pleonasmus, von logischem Denken zu sprechen. Es gibt ein
Denken, das, indem es operirt, sich noch keines seiner Triebräder bewußt ist,
noch keines derselben zur Vorstellung herausgearbeitet hat. Die Sprache be¬
ginnt mit der Entwickelung dieses Denkens. Das Herausarbeiten der
logischen Triebräder zu Begriffsvorstellungen und zu entsprechenden Form¬
wörtern ist die zweite Hauptstufe der Sprachentwickelung, von welcher die von
Grimm aufgezählten nur Unterstufen sind. Die erste Hauptstufe der Sprach¬
entwickelung beruht auf dem Denken als symbolisirender Thätigkeit. Aus den
Reizen der Außenwelt erzeugt das erwachende Bewußtsein zuerst Empfindungs¬
bilder mit entsprechenden Lautzeichen, dann Sinnenbilder, bei welchen das
menschliche Lautzeichen in einem weniger unwillkürlichen Zusammenhang be¬
reits zum relativ freigeformten Lautabbild wird. Man könnte diese beiden von
uns als Hauptstufen bezeichneten Sprachperioden als die symbolisirende und
organisirende Sprachthätigkeit bezeichnen, wobei zu beachten ist, daß die sym¬
bolisirende Thätigkeit auch während der organisirenden niemals ruht.

Wir übergehen die übrigen Aufsätze unserer Sammlung und verweilen
nur noch bei einer kleinen, auf einer Germanistenversammlung gehaltenen
Rede über den Werth der ungenauen Wissenschaften. Das Wort allein ver-


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[0018] übergangen oder, wenn man es lieber so ansehen will, zusammengefaßt mit der ersten Stufe der flectirenden Sprachentwickelung. Doch wird man aner¬ kennen müssen, daß die Stufe der Agglutination als eine selbständige, als ein Uebergang mitten inne steht zwischen der ersten coordinirenden Stufe und der flectirenden, wo die Subordination der Worte nicht allein begonnen, son¬ dern durchgeführt ist einestheils bis zur Ausstoßung des concreten Vor¬ stellungsinhaltes gewisser Wörter, andererseits bis zur lautlicher Berschling- ung dieser zu Verhältnißbestimmungen erhobenen Wörter in das Lautzeichen der Hauptvorstellung, das von ihnen nur modificirt wird. Wenn nun die Unterscheidung der beiden flectirenden Stufen der Sprachentwickelung, der einen, wo die Flexion für die Wortbeziehung Alles ist, der anderen, wo sie nur noch ein Hülfsmittel derselben unter anderen geblieben, ohne Widerspruch richtig aufgestellt ist, so wird man auf vier Stufen der Sprachentwickelung kommen müssen, wenn man nicht vorzieht, die zweite und dritte Stufe als Unterabtheilungen einer den Extremen zu coordinirenden Mittelstufe zu fassen. Uebergängen oder auch nur verwischt werden aber darf die agglutinirende Sprachstufe nicht. Weit eingreifender noch ist die Einsicht, daß die von Grimm unterschie¬ denen Sprachentwickelungsstufen sämmtlich einen Zustand voraussetzen, wo der Sprachstoff der sinnlichen Vorstellungen bereits vorhanden, das heißt gebildet ist. Wie ist er gebildet worden? Grimm beginnt die Sprachentwickelung mit der Einwirkung des logischen Denkens auf die sinnlichen Vorstellungen. Es ist kein Pleonasmus, von logischem Denken zu sprechen. Es gibt ein Denken, das, indem es operirt, sich noch keines seiner Triebräder bewußt ist, noch keines derselben zur Vorstellung herausgearbeitet hat. Die Sprache be¬ ginnt mit der Entwickelung dieses Denkens. Das Herausarbeiten der logischen Triebräder zu Begriffsvorstellungen und zu entsprechenden Form¬ wörtern ist die zweite Hauptstufe der Sprachentwickelung, von welcher die von Grimm aufgezählten nur Unterstufen sind. Die erste Hauptstufe der Sprach¬ entwickelung beruht auf dem Denken als symbolisirender Thätigkeit. Aus den Reizen der Außenwelt erzeugt das erwachende Bewußtsein zuerst Empfindungs¬ bilder mit entsprechenden Lautzeichen, dann Sinnenbilder, bei welchen das menschliche Lautzeichen in einem weniger unwillkürlichen Zusammenhang be¬ reits zum relativ freigeformten Lautabbild wird. Man könnte diese beiden von uns als Hauptstufen bezeichneten Sprachperioden als die symbolisirende und organisirende Sprachthätigkeit bezeichnen, wobei zu beachten ist, daß die sym¬ bolisirende Thätigkeit auch während der organisirenden niemals ruht. Wir übergehen die übrigen Aufsätze unserer Sammlung und verweilen nur noch bei einer kleinen, auf einer Germanistenversammlung gehaltenen Rede über den Werth der ungenauen Wissenschaften. Das Wort allein ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/18>, abgerufen am 22.07.2024.