Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.Reichsrath. Früher hatten sie sogar über dem Reichsverweser gesessen. Als Reichsrath. Früher hatten sie sogar über dem Reichsverweser gesessen. Als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127570"/> <p xml:id="ID_558" prev="#ID_557" next="#ID_559"> Reichsrath. Früher hatten sie sogar über dem Reichsverweser gesessen. Als<lb/> sich nun bei den Verhandlungen Thüre Jönssen den Bischöfen geneigt zeigte,<lb/> und die andern schwiegen, d.i brach Gustav los: „Bekommen die Leute nicht<lb/> Regen, so ist es unsere Schuld; fehlt ihnen Sonnenschein, so ist es desglei¬<lb/> chen; kommen schwere Jahre, Hunger und Pest, so werden wir beschuldigt;<lb/> alle wollt Ihr uns meistern; Mönche und Priester und Creaturen des Pap¬<lb/> stes setzt Ihr uns über das Haupt; — wer wollte unter solcher Bedingung<lb/> Euer König sein? Nicht der schlimmste in der Hölle, viel weniger ein Mensch.<lb/> Seid daher bedacht, wie ihr mich redlich aus dem Regiment entlaßt, und<lb/> mir dasjenige erstatten mögt, was ich von meinem Eigen für das Allgemeine<lb/> ausgegeben; dann werde ich hinwsgziehen und mein undankbares Vaterland<lb/> nie wieder sehen." Unter Thränen verließ der König darauf den Saal. Nun<lb/> folgte allgemeine Unschlüssigkeit, welcher Bauern und Bürger am dritten Tage<lb/> dadurch ein Ende machten, daß sie Adel und Prälaten zwangen, eine Bitt-<lb/> Deputation an den König abzuschicken; dieser aber ward erst am vierten<lb/> Tage nach viermaligem Bitten und Fußfall bewogen, wieder in der Versamm¬<lb/> lung zu erscheinen. Er sah alle seine Forderungen bewilligt, und diese lauten<lb/> in dem am Johannistage 1S27 verkündigten Westeräser Receß in Bezug auf<lb/> die Kirche so: Der König hat das Recht die Schlösser und Schanzen der<lb/> Bischöfe sich anzueignen, die Einkünfte der Bischöfe, Domkirchen und Kano¬<lb/> niker zu bestimmen, die Strafgelder anstatt der Bischöfe einzuziehen und über<lb/> die Klöster nach Gutdünken zu verfügen; der Adel soll ermächtigt sein, das<lb/> was von feinem Erb und Eigenthum an zinsfreiem Land seit 1454, an<lb/> steuerbaren „wie lange es auch veräußert gewesen", an Kirche und Klöster<lb/> gebracht worden, wieder in Besitz zu nehmen, wenn der Erbe durch zwölf<lb/> Männer Eidschwur sein Recht bekräftigen kann. In Sachen der Religion<lb/> wurde festgesetzt, daß die Prediger das Recht haben sollten, das reine Wort<lb/> Gottes zu verkündigen, „nicht aber, fügte der Adel hinzu, ungewisse Wunder¬<lb/> zeichen, Menschenerfindungen und Fabeln, wie es bisher viel geschehen." Bür¬<lb/> ger und Bauern meinien, „es gehe über ihren Verstand" dergleichen selbst zu<lb/> untersuchen, „denn", sagten die Bauern, „schwer sei, tiefer zu urtheilen, als<lb/> der Verstand zusagt." In einem Zusatzartikel, der sogenannten Westeräser<lb/> Ordonnanz, wird bestimmt: „es solle ein Register über sämmtliche Zinsein¬<lb/> nahmen der Bischöfe, Domkirchen und Kanoniker aufgestellt werden, und der<lb/> König solle ihnen vorschreiben, wie viel sie davon behalten und wie viel sie<lb/> an ihn abliefern sollten; höhere und niedere geistliche Aemter sollen nur unter<lb/> Einwilligung des Königs besetzt werden; in weltlichen Dingen sollen die<lb/> Priester unter weltlicher Aufsicht stehen und bei ihrem Sterben solle kein Theil<lb/> ihres Nachlasses den Bischöfen anheim fallen, endlich solle das Evangelium</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
Reichsrath. Früher hatten sie sogar über dem Reichsverweser gesessen. Als
sich nun bei den Verhandlungen Thüre Jönssen den Bischöfen geneigt zeigte,
und die andern schwiegen, d.i brach Gustav los: „Bekommen die Leute nicht
Regen, so ist es unsere Schuld; fehlt ihnen Sonnenschein, so ist es desglei¬
chen; kommen schwere Jahre, Hunger und Pest, so werden wir beschuldigt;
alle wollt Ihr uns meistern; Mönche und Priester und Creaturen des Pap¬
stes setzt Ihr uns über das Haupt; — wer wollte unter solcher Bedingung
Euer König sein? Nicht der schlimmste in der Hölle, viel weniger ein Mensch.
Seid daher bedacht, wie ihr mich redlich aus dem Regiment entlaßt, und
mir dasjenige erstatten mögt, was ich von meinem Eigen für das Allgemeine
ausgegeben; dann werde ich hinwsgziehen und mein undankbares Vaterland
nie wieder sehen." Unter Thränen verließ der König darauf den Saal. Nun
folgte allgemeine Unschlüssigkeit, welcher Bauern und Bürger am dritten Tage
dadurch ein Ende machten, daß sie Adel und Prälaten zwangen, eine Bitt-
Deputation an den König abzuschicken; dieser aber ward erst am vierten
Tage nach viermaligem Bitten und Fußfall bewogen, wieder in der Versamm¬
lung zu erscheinen. Er sah alle seine Forderungen bewilligt, und diese lauten
in dem am Johannistage 1S27 verkündigten Westeräser Receß in Bezug auf
die Kirche so: Der König hat das Recht die Schlösser und Schanzen der
Bischöfe sich anzueignen, die Einkünfte der Bischöfe, Domkirchen und Kano¬
niker zu bestimmen, die Strafgelder anstatt der Bischöfe einzuziehen und über
die Klöster nach Gutdünken zu verfügen; der Adel soll ermächtigt sein, das
was von feinem Erb und Eigenthum an zinsfreiem Land seit 1454, an
steuerbaren „wie lange es auch veräußert gewesen", an Kirche und Klöster
gebracht worden, wieder in Besitz zu nehmen, wenn der Erbe durch zwölf
Männer Eidschwur sein Recht bekräftigen kann. In Sachen der Religion
wurde festgesetzt, daß die Prediger das Recht haben sollten, das reine Wort
Gottes zu verkündigen, „nicht aber, fügte der Adel hinzu, ungewisse Wunder¬
zeichen, Menschenerfindungen und Fabeln, wie es bisher viel geschehen." Bür¬
ger und Bauern meinien, „es gehe über ihren Verstand" dergleichen selbst zu
untersuchen, „denn", sagten die Bauern, „schwer sei, tiefer zu urtheilen, als
der Verstand zusagt." In einem Zusatzartikel, der sogenannten Westeräser
Ordonnanz, wird bestimmt: „es solle ein Register über sämmtliche Zinsein¬
nahmen der Bischöfe, Domkirchen und Kanoniker aufgestellt werden, und der
König solle ihnen vorschreiben, wie viel sie davon behalten und wie viel sie
an ihn abliefern sollten; höhere und niedere geistliche Aemter sollen nur unter
Einwilligung des Königs besetzt werden; in weltlichen Dingen sollen die
Priester unter weltlicher Aufsicht stehen und bei ihrem Sterben solle kein Theil
ihres Nachlasses den Bischöfen anheim fallen, endlich solle das Evangelium
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