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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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von jetzt an in allen Schulstuben gelesen werden, "dieweil sie ja christliche
Schulen sind."

Wie leicht zu ersehen, läßt die weite Fassung der Bestimmungen der Aus¬
legung einen bedeutenden Spielraum.

Zunächst ließ sich Gustav die festen Schlösser der Prälaten ausliefern und
nahm ihnen den größten Theil ihrer Leibwachen; die übrigen geistlichen Güter
zog er nicht sofort ein, sondern stellte nach Verhandlung mit Bischöfen, Dom¬
capiteln und geistlichen oder weltlichen Klostervorstehern eine bestimmte Summe
fest, die ihm jährlich auszuzahlen war; später aber bis zum Jahre 1846 wur¬
den alle Kirchengüter eingezogen gegen Ersatz von Kronzehnten an die
Geistlichkeit. Der König sah sich als den Universalerben an von allem Sil¬
ber und allen Mobilien der Kirchen, Klöster und geistlichen Stiftungen. Der
Adel versäumte natürlich nicht, seine durch den Receß erworbenen Ansprüche
geltend zu machen. Zunächst mußten die Klöster veröden, denn ihre Ein¬
künfte waren einzelnen Edelleuten angewiesen, damit sie Soldaten für die
Krone werben und unterhalten konnten; und als die Dominikaner in Stock¬
holm klagten, erzählt Geyer, sie hätten nichts zu leben, so ward ihnen erwi¬
dert, sie möchten sich anderswo vorsehen, "denn wegen Hunger pflege man
Schlösser und Städte zu übergeben, wie viel mehr die Klöster." Wer von
den Klosterleuten sich keinen eignen Heerd gründen oder ausreichenden Ver¬
dienst finden konnte, erhielt nach Einziehung der Klöster vom König seinen
Unterhalt.

Bei dem Zustand, in welchem sich Gesetz und Recht in Schweden nach
den langjährigen Unionswirren befanden, bei dem großen Mangel an Gesetz-
kundigen und bei Besetzung aller Richterstellen mit Adligen, ist nicht zu ver¬
wundern, daß der Adel jene Artikel des Westeräser Recesses über den Wieder¬
erwerb ihres Eigenthums aus der todten Hand mit großer Willkür handhabte,
so daß der König mehrfach eingreifen und die Besitzergreifung von seiner Er¬
laubniß abhängig machen mußte. Aber was der König gewollt hatte, war
in vollem Maße gelungen! Die römische Hierarchie war gestürzt, des Königs
Macht unbestritten die erste. -- Es mag der religiösen Seite jenes Recesses
noch mit wenigen Worten gedacht werden. Der betreffende Artikel hat nicht
etwa die Reformation mir Gewalt einführen und decretiren wollen, sondern
ihr nur das Recht der Verbreitung offen gehalten. Wie weit Gustav von
unverständigen Bekehrungseifer fern war, zeigen die mißfälligen Worte, die
er deshalb an Olaus Petris Bruder, den ersten lutherischen Erzbischof 1539
richtete: "Daraus entspringt Aerger und Empörung, daß Ihr das Volk nicht
unterrichtet, bevor die Reformation geschieht; man soll erstlich lehren, dann
reformiren." Zugleich wies er ihn wegen feiner Anmaßung zurecht: "Pre¬
diger sollt Ihr sein, keine Herrn. Glaubet nicht, wir möchten es dahin kom-


von jetzt an in allen Schulstuben gelesen werden, „dieweil sie ja christliche
Schulen sind."

Wie leicht zu ersehen, läßt die weite Fassung der Bestimmungen der Aus¬
legung einen bedeutenden Spielraum.

Zunächst ließ sich Gustav die festen Schlösser der Prälaten ausliefern und
nahm ihnen den größten Theil ihrer Leibwachen; die übrigen geistlichen Güter
zog er nicht sofort ein, sondern stellte nach Verhandlung mit Bischöfen, Dom¬
capiteln und geistlichen oder weltlichen Klostervorstehern eine bestimmte Summe
fest, die ihm jährlich auszuzahlen war; später aber bis zum Jahre 1846 wur¬
den alle Kirchengüter eingezogen gegen Ersatz von Kronzehnten an die
Geistlichkeit. Der König sah sich als den Universalerben an von allem Sil¬
ber und allen Mobilien der Kirchen, Klöster und geistlichen Stiftungen. Der
Adel versäumte natürlich nicht, seine durch den Receß erworbenen Ansprüche
geltend zu machen. Zunächst mußten die Klöster veröden, denn ihre Ein¬
künfte waren einzelnen Edelleuten angewiesen, damit sie Soldaten für die
Krone werben und unterhalten konnten; und als die Dominikaner in Stock¬
holm klagten, erzählt Geyer, sie hätten nichts zu leben, so ward ihnen erwi¬
dert, sie möchten sich anderswo vorsehen, „denn wegen Hunger pflege man
Schlösser und Städte zu übergeben, wie viel mehr die Klöster." Wer von
den Klosterleuten sich keinen eignen Heerd gründen oder ausreichenden Ver¬
dienst finden konnte, erhielt nach Einziehung der Klöster vom König seinen
Unterhalt.

Bei dem Zustand, in welchem sich Gesetz und Recht in Schweden nach
den langjährigen Unionswirren befanden, bei dem großen Mangel an Gesetz-
kundigen und bei Besetzung aller Richterstellen mit Adligen, ist nicht zu ver¬
wundern, daß der Adel jene Artikel des Westeräser Recesses über den Wieder¬
erwerb ihres Eigenthums aus der todten Hand mit großer Willkür handhabte,
so daß der König mehrfach eingreifen und die Besitzergreifung von seiner Er¬
laubniß abhängig machen mußte. Aber was der König gewollt hatte, war
in vollem Maße gelungen! Die römische Hierarchie war gestürzt, des Königs
Macht unbestritten die erste. — Es mag der religiösen Seite jenes Recesses
noch mit wenigen Worten gedacht werden. Der betreffende Artikel hat nicht
etwa die Reformation mir Gewalt einführen und decretiren wollen, sondern
ihr nur das Recht der Verbreitung offen gehalten. Wie weit Gustav von
unverständigen Bekehrungseifer fern war, zeigen die mißfälligen Worte, die
er deshalb an Olaus Petris Bruder, den ersten lutherischen Erzbischof 1539
richtete: „Daraus entspringt Aerger und Empörung, daß Ihr das Volk nicht
unterrichtet, bevor die Reformation geschieht; man soll erstlich lehren, dann
reformiren." Zugleich wies er ihn wegen feiner Anmaßung zurecht: „Pre¬
diger sollt Ihr sein, keine Herrn. Glaubet nicht, wir möchten es dahin kom-


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[0175] von jetzt an in allen Schulstuben gelesen werden, „dieweil sie ja christliche Schulen sind." Wie leicht zu ersehen, läßt die weite Fassung der Bestimmungen der Aus¬ legung einen bedeutenden Spielraum. Zunächst ließ sich Gustav die festen Schlösser der Prälaten ausliefern und nahm ihnen den größten Theil ihrer Leibwachen; die übrigen geistlichen Güter zog er nicht sofort ein, sondern stellte nach Verhandlung mit Bischöfen, Dom¬ capiteln und geistlichen oder weltlichen Klostervorstehern eine bestimmte Summe fest, die ihm jährlich auszuzahlen war; später aber bis zum Jahre 1846 wur¬ den alle Kirchengüter eingezogen gegen Ersatz von Kronzehnten an die Geistlichkeit. Der König sah sich als den Universalerben an von allem Sil¬ ber und allen Mobilien der Kirchen, Klöster und geistlichen Stiftungen. Der Adel versäumte natürlich nicht, seine durch den Receß erworbenen Ansprüche geltend zu machen. Zunächst mußten die Klöster veröden, denn ihre Ein¬ künfte waren einzelnen Edelleuten angewiesen, damit sie Soldaten für die Krone werben und unterhalten konnten; und als die Dominikaner in Stock¬ holm klagten, erzählt Geyer, sie hätten nichts zu leben, so ward ihnen erwi¬ dert, sie möchten sich anderswo vorsehen, „denn wegen Hunger pflege man Schlösser und Städte zu übergeben, wie viel mehr die Klöster." Wer von den Klosterleuten sich keinen eignen Heerd gründen oder ausreichenden Ver¬ dienst finden konnte, erhielt nach Einziehung der Klöster vom König seinen Unterhalt. Bei dem Zustand, in welchem sich Gesetz und Recht in Schweden nach den langjährigen Unionswirren befanden, bei dem großen Mangel an Gesetz- kundigen und bei Besetzung aller Richterstellen mit Adligen, ist nicht zu ver¬ wundern, daß der Adel jene Artikel des Westeräser Recesses über den Wieder¬ erwerb ihres Eigenthums aus der todten Hand mit großer Willkür handhabte, so daß der König mehrfach eingreifen und die Besitzergreifung von seiner Er¬ laubniß abhängig machen mußte. Aber was der König gewollt hatte, war in vollem Maße gelungen! Die römische Hierarchie war gestürzt, des Königs Macht unbestritten die erste. — Es mag der religiösen Seite jenes Recesses noch mit wenigen Worten gedacht werden. Der betreffende Artikel hat nicht etwa die Reformation mir Gewalt einführen und decretiren wollen, sondern ihr nur das Recht der Verbreitung offen gehalten. Wie weit Gustav von unverständigen Bekehrungseifer fern war, zeigen die mißfälligen Worte, die er deshalb an Olaus Petris Bruder, den ersten lutherischen Erzbischof 1539 richtete: „Daraus entspringt Aerger und Empörung, daß Ihr das Volk nicht unterrichtet, bevor die Reformation geschieht; man soll erstlich lehren, dann reformiren." Zugleich wies er ihn wegen feiner Anmaßung zurecht: „Pre¬ diger sollt Ihr sein, keine Herrn. Glaubet nicht, wir möchten es dahin kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/175>, abgerufen am 22.12.2024.