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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Lernens schaffen für die höchste Stufe der Weisheit, die nach ihm die Stufe
der wahren Lernfähigkeit ist. Jenseit der Schule und der Universität möchte
er eine Akademie errichtet sehen, einen Gelehrtenkreis, der dem Lernen und
Mittheilen lebt, aber nicht dem gebundenen Mittheilen. Jacob Grimm möchte,
daß dieses Kreises Mitglieder das Lehren bereits hinter sich haben, daß der
Staat ihnen die zum Forschen nöthige Unabhängigkeit gewährt, daß sie die
in ihrer fest bestimmten Zahl entstehenden Lücken durch eigene Wahl ergänzen
und zwar aus allen Theilen des deutschen Vaterlandes. Jeder Gelehrte, dem
eine solche Stellung werthvoll sein kann, darf den Ruf in die Akademie er¬
halten und annehmen. So Jacob Grimm's Gedanke, dessen Verwirklichung
gewiß zum Segen der deutschen Wissenschaft ausfallen könnte, ja müßte, wenn
nicht etwa schwer abzusehende Fehler bei der Ausführung willkürlich begangen
würden. Und sollte das deutsche Reich nicht eines Tages die zu einer solchen
Institution erforderlichen Mittel für seine Gelehrten übrig haben? Wir
zweifeln nicht daran, wann erst die Einsicht wird verbreitet sein, welche Le¬
benskräfte des deutschen Volkes von seiner Wissenschaft genährt werden, von
jener Flamme, die sich bisher so gut wie selbst genährt hat.

Der neunte Aufsatz enthält die berühmte Abhandlung über den Ursprung
der Sprache. Wem das 'Thema nicht fremd ist, das keinem in irgend einem
Sinn Gebildeten fremd sein sollte, der kennt auch diese Abhandlung oder weiß
doch Einiges aus ihr. Wenn wir einige ihrer Gedanken hier dem Leser
zurückrufen, so geschieht es, um dieselben durch Danebenstellung anderer Ge¬
danken zu verdeutlichen.

Jacob Grimm widerlegt zuerst die beiden Annahmen, als ob die Sprache
angeboren, das heißt anerschaffen, und dann, als ob sie durch Offenbarung
in die Menschheit gepflanzt worden sein könne. Die letzte Annahme läßt
keinen originellen Gegenbeweis mehr zu, nachdem wir bereits durch Lessing
wissen, daß nur das sich offenbaren läßt, was der Zögling vermöge seiner
Anlage aus längerem Wege selbst hätte finden müssen. Die andere Annahme
aber, daß die Sprache anerschaffen sei, widerlegt Jacob Grimm, nach seiner
Art mit einigen einfachen und originellen Instanzen.

Wenn sich nun Jacob Grimm dafür entscheidet, die Sprache für einen
menschlichen, mit. voller Freiheit seinem Ursprung und Fortschritt nach von
uns selbst gemachten Erwerb zu erklären, wenn er sie weiterhin als Werk der
Erfindung bezeichnet, so vermögen wir uns theilweise dem hierin liegenden
Gedanken, aber nicht der Ausdrucksweise anzuschließen. Mit voller Freiheit
beim ersten Ursprung wie beim späteren Fortschritt ist die Sprache nicht er¬
worben, und sie ist kein Werk der Erfindung. Erfinden heißt zur Lösung
einer erkannten Aufgabe ein Mittel auf dem Wege absichtlichen Suchens
finden. Die Sprache ist aber ihrem Ursprung nach das Werk eines unwill-


Lernens schaffen für die höchste Stufe der Weisheit, die nach ihm die Stufe
der wahren Lernfähigkeit ist. Jenseit der Schule und der Universität möchte
er eine Akademie errichtet sehen, einen Gelehrtenkreis, der dem Lernen und
Mittheilen lebt, aber nicht dem gebundenen Mittheilen. Jacob Grimm möchte,
daß dieses Kreises Mitglieder das Lehren bereits hinter sich haben, daß der
Staat ihnen die zum Forschen nöthige Unabhängigkeit gewährt, daß sie die
in ihrer fest bestimmten Zahl entstehenden Lücken durch eigene Wahl ergänzen
und zwar aus allen Theilen des deutschen Vaterlandes. Jeder Gelehrte, dem
eine solche Stellung werthvoll sein kann, darf den Ruf in die Akademie er¬
halten und annehmen. So Jacob Grimm's Gedanke, dessen Verwirklichung
gewiß zum Segen der deutschen Wissenschaft ausfallen könnte, ja müßte, wenn
nicht etwa schwer abzusehende Fehler bei der Ausführung willkürlich begangen
würden. Und sollte das deutsche Reich nicht eines Tages die zu einer solchen
Institution erforderlichen Mittel für seine Gelehrten übrig haben? Wir
zweifeln nicht daran, wann erst die Einsicht wird verbreitet sein, welche Le¬
benskräfte des deutschen Volkes von seiner Wissenschaft genährt werden, von
jener Flamme, die sich bisher so gut wie selbst genährt hat.

Der neunte Aufsatz enthält die berühmte Abhandlung über den Ursprung
der Sprache. Wem das 'Thema nicht fremd ist, das keinem in irgend einem
Sinn Gebildeten fremd sein sollte, der kennt auch diese Abhandlung oder weiß
doch Einiges aus ihr. Wenn wir einige ihrer Gedanken hier dem Leser
zurückrufen, so geschieht es, um dieselben durch Danebenstellung anderer Ge¬
danken zu verdeutlichen.

Jacob Grimm widerlegt zuerst die beiden Annahmen, als ob die Sprache
angeboren, das heißt anerschaffen, und dann, als ob sie durch Offenbarung
in die Menschheit gepflanzt worden sein könne. Die letzte Annahme läßt
keinen originellen Gegenbeweis mehr zu, nachdem wir bereits durch Lessing
wissen, daß nur das sich offenbaren läßt, was der Zögling vermöge seiner
Anlage aus längerem Wege selbst hätte finden müssen. Die andere Annahme
aber, daß die Sprache anerschaffen sei, widerlegt Jacob Grimm, nach seiner
Art mit einigen einfachen und originellen Instanzen.

Wenn sich nun Jacob Grimm dafür entscheidet, die Sprache für einen
menschlichen, mit. voller Freiheit seinem Ursprung und Fortschritt nach von
uns selbst gemachten Erwerb zu erklären, wenn er sie weiterhin als Werk der
Erfindung bezeichnet, so vermögen wir uns theilweise dem hierin liegenden
Gedanken, aber nicht der Ausdrucksweise anzuschließen. Mit voller Freiheit
beim ersten Ursprung wie beim späteren Fortschritt ist die Sprache nicht er¬
worben, und sie ist kein Werk der Erfindung. Erfinden heißt zur Lösung
einer erkannten Aufgabe ein Mittel auf dem Wege absichtlichen Suchens
finden. Die Sprache ist aber ihrem Ursprung nach das Werk eines unwill-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/16>, abgerufen am 22.12.2024.