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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Zeit gezwungenen Feierns zurücklegen. Die Arbeiter in Norddeutschland er¬
halten keine höheren Löhne als ihr, und dennoch haben sie die Fonds zu 900
oder 1000 Volksbanken geliefert, die sich nach dem Muster, welches Schulze-
Delitzsch empfohlen hat, gebildet haben, Banken, die zu gleicher Zeit als Spar¬
kassen und als Creditinstitute arbeiten."

Die "Correspondenten" der Internationale antworteten dem "Journal
des De'half" in einem langen Briefe, welcher nicht viel mehr als eine aus¬
geführte Wiederholung der in ihrem Manifeste aufgestellten Behauptungen
war, sich aber derselben gemäßigten Sprache befleißigte, wie das Organ des
wohlhabenden und gebildeten französischen Mittelstandes. Sehen wir jetzt,
wie sich die officiellen Erlasse der Internationale zwei Jahre später unter
ungefähr ähnlichen Umständen vernehmen ließen.

Am 2. April 1869 brach unter den Arbeitern der Eisengießerei der Ge¬
sellschaft Cockerill zu Seraing ein Strike aus, dessen Hauptbeweggründe in
Forderungen bestanden, welche die Zahl der von ihnen während eines Arbeits¬
tages zu liefernden Heizungen und Güsse und die Dauer des Arbeitstages
betrafen. Nach einigen Verhandlungen schienen die Zwistigkeiten durch gegen¬
seitiges Nachgeben beigelegt. Es war eine Lohnerhöhung bewilligt und ein
Arbeiter, den man kurz vorher wegen Widerspenstigkeit weggeschickt hatte,
wieder zugelassen worden. Irgend welcher Unfug war bis dahin nicht zu
bemerken gewesen. Der "Reveil" schloß den Bericht, den er von diesem ersten
Tage der Feindseligkeiten in dem Augenblick abstattete, wo man den Frieden
für endgültig abgeschlossen ansah, mit folgenden Zeilen:

"Am Tage der Arbeitseinstellung hat die Internationale 250 Beitritts¬
erklärungen empfangen. Sie hat dieselben unter der Bedingung angenommen,
daß die Betreffenden sich jeder gewaltsamen Kundgebung enthalten, ihre Be¬
schwerden mit Versöhnlichkeit auseinandersetzen und nur Gerechtes begehren.
Sie haben das einmüthig versprochen und ihr Versprechen gehalten, wozu wir
ihnen Glück wünschen."

Wir werden sogleich sehen, wie das zu nehmen war. Die Arbeiter hat¬
ten ihre Beschäftigung wieder aufgenommen. "Vier Tage lang herrschte",
so meldet die "Internationale" vom 18. April, "die vollständigste Ruhe, weil
man den verabscheuten Chef der Fabrik fern zu halten bemüht gewesen war.
Die Arbeiter hielten sich schon befreit von seiner Tyrannei, als man ihn Plötz¬
lich mit dem Director wieder erscheinen sah, welcher erklärte, daß die, welche
mit seiner Rückkehr nicht zufrieden wären, nur immer anders wohin gehen
könnten. Augenblicklich verließen alle Puddler ihre Arbeit. Dem Director
flößte das keinen Schrecken ein; denn man hatte während dieser vier Tage
des Zögerns seine Zeit nicht unbenutzt gelassen, sondern sich völlig zubereitetes
Eisen verschafft, wodurch man der Puddler entrctthen konnte. Das edle Ver-


Zeit gezwungenen Feierns zurücklegen. Die Arbeiter in Norddeutschland er¬
halten keine höheren Löhne als ihr, und dennoch haben sie die Fonds zu 900
oder 1000 Volksbanken geliefert, die sich nach dem Muster, welches Schulze-
Delitzsch empfohlen hat, gebildet haben, Banken, die zu gleicher Zeit als Spar¬
kassen und als Creditinstitute arbeiten."

Die „Correspondenten" der Internationale antworteten dem „Journal
des De'half" in einem langen Briefe, welcher nicht viel mehr als eine aus¬
geführte Wiederholung der in ihrem Manifeste aufgestellten Behauptungen
war, sich aber derselben gemäßigten Sprache befleißigte, wie das Organ des
wohlhabenden und gebildeten französischen Mittelstandes. Sehen wir jetzt,
wie sich die officiellen Erlasse der Internationale zwei Jahre später unter
ungefähr ähnlichen Umständen vernehmen ließen.

Am 2. April 1869 brach unter den Arbeitern der Eisengießerei der Ge¬
sellschaft Cockerill zu Seraing ein Strike aus, dessen Hauptbeweggründe in
Forderungen bestanden, welche die Zahl der von ihnen während eines Arbeits¬
tages zu liefernden Heizungen und Güsse und die Dauer des Arbeitstages
betrafen. Nach einigen Verhandlungen schienen die Zwistigkeiten durch gegen¬
seitiges Nachgeben beigelegt. Es war eine Lohnerhöhung bewilligt und ein
Arbeiter, den man kurz vorher wegen Widerspenstigkeit weggeschickt hatte,
wieder zugelassen worden. Irgend welcher Unfug war bis dahin nicht zu
bemerken gewesen. Der „Reveil" schloß den Bericht, den er von diesem ersten
Tage der Feindseligkeiten in dem Augenblick abstattete, wo man den Frieden
für endgültig abgeschlossen ansah, mit folgenden Zeilen:

„Am Tage der Arbeitseinstellung hat die Internationale 250 Beitritts¬
erklärungen empfangen. Sie hat dieselben unter der Bedingung angenommen,
daß die Betreffenden sich jeder gewaltsamen Kundgebung enthalten, ihre Be¬
schwerden mit Versöhnlichkeit auseinandersetzen und nur Gerechtes begehren.
Sie haben das einmüthig versprochen und ihr Versprechen gehalten, wozu wir
ihnen Glück wünschen."

Wir werden sogleich sehen, wie das zu nehmen war. Die Arbeiter hat¬
ten ihre Beschäftigung wieder aufgenommen. „Vier Tage lang herrschte",
so meldet die „Internationale" vom 18. April, „die vollständigste Ruhe, weil
man den verabscheuten Chef der Fabrik fern zu halten bemüht gewesen war.
Die Arbeiter hielten sich schon befreit von seiner Tyrannei, als man ihn Plötz¬
lich mit dem Director wieder erscheinen sah, welcher erklärte, daß die, welche
mit seiner Rückkehr nicht zufrieden wären, nur immer anders wohin gehen
könnten. Augenblicklich verließen alle Puddler ihre Arbeit. Dem Director
flößte das keinen Schrecken ein; denn man hatte während dieser vier Tage
des Zögerns seine Zeit nicht unbenutzt gelassen, sondern sich völlig zubereitetes
Eisen verschafft, wodurch man der Puddler entrctthen konnte. Das edle Ver-


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[0144] Zeit gezwungenen Feierns zurücklegen. Die Arbeiter in Norddeutschland er¬ halten keine höheren Löhne als ihr, und dennoch haben sie die Fonds zu 900 oder 1000 Volksbanken geliefert, die sich nach dem Muster, welches Schulze- Delitzsch empfohlen hat, gebildet haben, Banken, die zu gleicher Zeit als Spar¬ kassen und als Creditinstitute arbeiten." Die „Correspondenten" der Internationale antworteten dem „Journal des De'half" in einem langen Briefe, welcher nicht viel mehr als eine aus¬ geführte Wiederholung der in ihrem Manifeste aufgestellten Behauptungen war, sich aber derselben gemäßigten Sprache befleißigte, wie das Organ des wohlhabenden und gebildeten französischen Mittelstandes. Sehen wir jetzt, wie sich die officiellen Erlasse der Internationale zwei Jahre später unter ungefähr ähnlichen Umständen vernehmen ließen. Am 2. April 1869 brach unter den Arbeitern der Eisengießerei der Ge¬ sellschaft Cockerill zu Seraing ein Strike aus, dessen Hauptbeweggründe in Forderungen bestanden, welche die Zahl der von ihnen während eines Arbeits¬ tages zu liefernden Heizungen und Güsse und die Dauer des Arbeitstages betrafen. Nach einigen Verhandlungen schienen die Zwistigkeiten durch gegen¬ seitiges Nachgeben beigelegt. Es war eine Lohnerhöhung bewilligt und ein Arbeiter, den man kurz vorher wegen Widerspenstigkeit weggeschickt hatte, wieder zugelassen worden. Irgend welcher Unfug war bis dahin nicht zu bemerken gewesen. Der „Reveil" schloß den Bericht, den er von diesem ersten Tage der Feindseligkeiten in dem Augenblick abstattete, wo man den Frieden für endgültig abgeschlossen ansah, mit folgenden Zeilen: „Am Tage der Arbeitseinstellung hat die Internationale 250 Beitritts¬ erklärungen empfangen. Sie hat dieselben unter der Bedingung angenommen, daß die Betreffenden sich jeder gewaltsamen Kundgebung enthalten, ihre Be¬ schwerden mit Versöhnlichkeit auseinandersetzen und nur Gerechtes begehren. Sie haben das einmüthig versprochen und ihr Versprechen gehalten, wozu wir ihnen Glück wünschen." Wir werden sogleich sehen, wie das zu nehmen war. Die Arbeiter hat¬ ten ihre Beschäftigung wieder aufgenommen. „Vier Tage lang herrschte", so meldet die „Internationale" vom 18. April, „die vollständigste Ruhe, weil man den verabscheuten Chef der Fabrik fern zu halten bemüht gewesen war. Die Arbeiter hielten sich schon befreit von seiner Tyrannei, als man ihn Plötz¬ lich mit dem Director wieder erscheinen sah, welcher erklärte, daß die, welche mit seiner Rückkehr nicht zufrieden wären, nur immer anders wohin gehen könnten. Augenblicklich verließen alle Puddler ihre Arbeit. Dem Director flößte das keinen Schrecken ein; denn man hatte während dieser vier Tage des Zögerns seine Zeit nicht unbenutzt gelassen, sondern sich völlig zubereitetes Eisen verschafft, wodurch man der Puddler entrctthen konnte. Das edle Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/144>, abgerufen am 03.07.2024.