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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Allerdings weiß auch Grimm für die politische Zersplitterung Deutsch¬
lands einen Trost zu finden: den nämlich, daß die nach Außen gehende Frei¬
heit nach Innen geschlagen sei. Aber er weiß recht gut, daß die äußere Frei¬
heit, welche nichts anderes ist als die politische Organisation, nachgeholt wer¬
den muß, oder das Volk wird sammt der innern Freiheit und ihren nutzlos
bleibenden Schätzen unfruchtbar zu Grunde gehen.

Unser Reisender verläßt einen Augenblick die tiefsinnige Parallele deut¬
scher und italienischer Geschichte, um sich an der Hand der Reiseeindrücke dem
freien Strome seiner Gedanken hinzugeben. Er kommt auf die Museen zu
sprechen, deren Einrichtung von Rom sich über Europa verbreitet hat. Ihm
ist lebendig, daß alle Kunstwerke ursprünglich für besondere Stellen geschaffen
und unmittelbar auf sie berechnet sind. Er begreift sehr wohl, daß das Be¬
wahren der längst schon ihrem ursprünglichen Ort entfremdeten Werke in
eigenen Räumen unerläßlich, und ihr Anhäufen ein nothwendiges Uebel ge¬
worden ist. "Nichtsdestoweniger läßt sich behaupten, solche Sammlungen, in
welchen man kein Bedenken trägt, neben" Athene Mänaden, neben eine milde
Madonna die Abbildung des gemarterten Laurenzius oder eine flämische Zech¬
gesellschaft zu stellen, seien für den reinen Geschmack statt erweckend, verwir¬
rend, und für den Beschauer, der zahllosen Empfindungen und Gedanken
hintereinander unterworfen werde, wenn er sie auch sammeln könne, peinlich."

Was würde Gran erst gesagt haben, wenn er an eines unserer heutigen
Schaufenster träte! Wenn er neben den Photographien der classischen Bild¬
werke aller Kunstepochen, von Gemälden und Statuen, in eben so regellosem
Wechsel die Größen des Tages erblicken müßte, Tänzerinnen und Minister,
Generale und Pastoren! -- Er rettete sich aus der Unruhe der Kunstsamm¬
lungsvillen auf das t'ormn ronumnm. Das ging vor Jahren in Rom und
geht vielleicht noch einige Zeit. Wohin würde er sich in anderen Großstädten,
vor dem Wirrwarr und Andrang des immer breiter und heftiger anschwellen¬
den modernen Lebens retten! Nicht überall giebt es ein korum romimmn.
Aber das reine und große Gemüth kann sich überall, selbst in dem großen
Strom der modernen Profanation, der schlimmer ist als das Gewühl der
Hölle, erhalten. Daraus schöpfen wir die Hoffnung, daß Scham und Schön¬
heit die Welt eines Tages wieder ordnen und adeln werden.

Nach tiefsinnigen Bemerkungen über das Typische in der hellenischen,
über das Portraitartige in der bildenden Kunst der Nenncnssance, nach feinen
Erwägungen über den ästhetischen Werth der italienischen Epen des 16. Jahr¬
hunderts, der zu leicht befunden wird, um ein Maß für das moderne Epos
abzugeben, gerade wie das sogenannte classische Drama der Franzosen zu un¬
echt ist für ein Maß des Drama, wendet sich der Reisende wieder der ge¬
schichtlichen Parallele zu. Im Jahre 1844 schrieb er die Worte: "Was auch


Allerdings weiß auch Grimm für die politische Zersplitterung Deutsch¬
lands einen Trost zu finden: den nämlich, daß die nach Außen gehende Frei¬
heit nach Innen geschlagen sei. Aber er weiß recht gut, daß die äußere Frei¬
heit, welche nichts anderes ist als die politische Organisation, nachgeholt wer¬
den muß, oder das Volk wird sammt der innern Freiheit und ihren nutzlos
bleibenden Schätzen unfruchtbar zu Grunde gehen.

Unser Reisender verläßt einen Augenblick die tiefsinnige Parallele deut¬
scher und italienischer Geschichte, um sich an der Hand der Reiseeindrücke dem
freien Strome seiner Gedanken hinzugeben. Er kommt auf die Museen zu
sprechen, deren Einrichtung von Rom sich über Europa verbreitet hat. Ihm
ist lebendig, daß alle Kunstwerke ursprünglich für besondere Stellen geschaffen
und unmittelbar auf sie berechnet sind. Er begreift sehr wohl, daß das Be¬
wahren der längst schon ihrem ursprünglichen Ort entfremdeten Werke in
eigenen Räumen unerläßlich, und ihr Anhäufen ein nothwendiges Uebel ge¬
worden ist. „Nichtsdestoweniger läßt sich behaupten, solche Sammlungen, in
welchen man kein Bedenken trägt, neben" Athene Mänaden, neben eine milde
Madonna die Abbildung des gemarterten Laurenzius oder eine flämische Zech¬
gesellschaft zu stellen, seien für den reinen Geschmack statt erweckend, verwir¬
rend, und für den Beschauer, der zahllosen Empfindungen und Gedanken
hintereinander unterworfen werde, wenn er sie auch sammeln könne, peinlich."

Was würde Gran erst gesagt haben, wenn er an eines unserer heutigen
Schaufenster träte! Wenn er neben den Photographien der classischen Bild¬
werke aller Kunstepochen, von Gemälden und Statuen, in eben so regellosem
Wechsel die Größen des Tages erblicken müßte, Tänzerinnen und Minister,
Generale und Pastoren! — Er rettete sich aus der Unruhe der Kunstsamm¬
lungsvillen auf das t'ormn ronumnm. Das ging vor Jahren in Rom und
geht vielleicht noch einige Zeit. Wohin würde er sich in anderen Großstädten,
vor dem Wirrwarr und Andrang des immer breiter und heftiger anschwellen¬
den modernen Lebens retten! Nicht überall giebt es ein korum romimmn.
Aber das reine und große Gemüth kann sich überall, selbst in dem großen
Strom der modernen Profanation, der schlimmer ist als das Gewühl der
Hölle, erhalten. Daraus schöpfen wir die Hoffnung, daß Scham und Schön¬
heit die Welt eines Tages wieder ordnen und adeln werden.

Nach tiefsinnigen Bemerkungen über das Typische in der hellenischen,
über das Portraitartige in der bildenden Kunst der Nenncnssance, nach feinen
Erwägungen über den ästhetischen Werth der italienischen Epen des 16. Jahr¬
hunderts, der zu leicht befunden wird, um ein Maß für das moderne Epos
abzugeben, gerade wie das sogenannte classische Drama der Franzosen zu un¬
echt ist für ein Maß des Drama, wendet sich der Reisende wieder der ge¬
schichtlichen Parallele zu. Im Jahre 1844 schrieb er die Worte: „Was auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/14>, abgerufen am 22.12.2024.