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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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zösischen Waffen vielleicht nicht ungern gesehen. Nun beweist Herr Reichen-
sperger vor einem französischen Publicum, daß er ein guter Deutscher sei.
Warum erzählt er nicht, wie inbrünstig er den Sieg der deutschen Waffen
gewünscht hat?

Bei diesem Punkt hält er sich wohlweislich nicht auf. Er dreht viel¬
mehr den Spieß herum, wie man zu sagen pflegt, indem er behauptet, die
nationale Richtung in Deutschland wolle mittels des Reichstages dem Katho¬
lizismus zu Leibe, wolle eine nationale Kirche und endlich einen kosmopoli¬
tischen Humanismus, das Ideal der Freimaurerei aufrichten. Seit wann ist
denn aber die Nationalkirche der Weg zum kosmopolitischen Humanismus?
Ist nicht die Nationalkirche vielmehr die Nationalisirung, wenn man fo will,
eines an sich kosmopolitischen Gebietes, des religiösen nämlich? Diese sonder¬
bare Behauptung, welche Herr Reichensperger aufstellt, sieht sie nicht ganz
danach aus, als wolle ihr Urheber dem katholischen Ausland Angst ein¬
flößen vor der deutschen Nationalkirche? So nämlich, daß er dem katholischen
Ausland den Gedanken beibringt, die deutsche Nationalkirche, die übrigens
einstweilen nur in der Vorstellung des Herrn Reichensperger existirt, werde,
auf ihrem heimischen Boden zum Sieg gelangt, alsbald zu einer allge¬
meinen Propaganda fortschreiten.

Sollte in der EinPrägung und Verbreitung dieses Gedankens vielleicht
der Zweck des Pamphletes zu suchen sein, welches Herr Reichensperger artikel¬
weise von Brüssel hat ausgehen lassen? Wäre das der ultramontane Pa¬
triotismus: das deutsche Volk, nachdem die Denunciationen politischer Uni-
versalherrschaftsgelüste nicht mehr verfangen, religiöser Universalherrschafts-
gelüste zu verdächtigen? Schlecht wäre das Mittel nicht, denn die religiösen
Leidenschaften sind selbst heute noch mächtiger in der Welt, als die politischen,
wenn es darauf ankommt, die innerste Lebensfiber der Massen zu berühren.
Wir werden sehen, ob das von Herrn Reichensperger angeschlagene Thema in
der Presse des katholischen Auslandes etwa eine lange Reihe von Variationen
0--r. erfährt.




Berliner Iriefe.

Die Specialconvention zwischen Deutschland und Frankreich, welche die
Versailler Versammlung am Vorabend ihrer Ferien beschäftigte und von der¬
selben so unglücklich verbessert wurde, hat seitdem ein gespenstisch-ruheloses
Dasein geführt und es kann Niemanden Wunder nehmen, wenn ihr bei dem


zösischen Waffen vielleicht nicht ungern gesehen. Nun beweist Herr Reichen-
sperger vor einem französischen Publicum, daß er ein guter Deutscher sei.
Warum erzählt er nicht, wie inbrünstig er den Sieg der deutschen Waffen
gewünscht hat?

Bei diesem Punkt hält er sich wohlweislich nicht auf. Er dreht viel¬
mehr den Spieß herum, wie man zu sagen pflegt, indem er behauptet, die
nationale Richtung in Deutschland wolle mittels des Reichstages dem Katho¬
lizismus zu Leibe, wolle eine nationale Kirche und endlich einen kosmopoli¬
tischen Humanismus, das Ideal der Freimaurerei aufrichten. Seit wann ist
denn aber die Nationalkirche der Weg zum kosmopolitischen Humanismus?
Ist nicht die Nationalkirche vielmehr die Nationalisirung, wenn man fo will,
eines an sich kosmopolitischen Gebietes, des religiösen nämlich? Diese sonder¬
bare Behauptung, welche Herr Reichensperger aufstellt, sieht sie nicht ganz
danach aus, als wolle ihr Urheber dem katholischen Ausland Angst ein¬
flößen vor der deutschen Nationalkirche? So nämlich, daß er dem katholischen
Ausland den Gedanken beibringt, die deutsche Nationalkirche, die übrigens
einstweilen nur in der Vorstellung des Herrn Reichensperger existirt, werde,
auf ihrem heimischen Boden zum Sieg gelangt, alsbald zu einer allge¬
meinen Propaganda fortschreiten.

Sollte in der EinPrägung und Verbreitung dieses Gedankens vielleicht
der Zweck des Pamphletes zu suchen sein, welches Herr Reichensperger artikel¬
weise von Brüssel hat ausgehen lassen? Wäre das der ultramontane Pa¬
triotismus: das deutsche Volk, nachdem die Denunciationen politischer Uni-
versalherrschaftsgelüste nicht mehr verfangen, religiöser Universalherrschafts-
gelüste zu verdächtigen? Schlecht wäre das Mittel nicht, denn die religiösen
Leidenschaften sind selbst heute noch mächtiger in der Welt, als die politischen,
wenn es darauf ankommt, die innerste Lebensfiber der Massen zu berühren.
Wir werden sehen, ob das von Herrn Reichensperger angeschlagene Thema in
der Presse des katholischen Auslandes etwa eine lange Reihe von Variationen
0—r. erfährt.




Berliner Iriefe.

Die Specialconvention zwischen Deutschland und Frankreich, welche die
Versailler Versammlung am Vorabend ihrer Ferien beschäftigte und von der¬
selben so unglücklich verbessert wurde, hat seitdem ein gespenstisch-ruheloses
Dasein geführt und es kann Niemanden Wunder nehmen, wenn ihr bei dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/86>, abgerufen am 05.02.2025.