Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Vielen Hin- und Herwandern zwischen Versailles und Berlin -- der Artikel 3 Sobald der Reichstag zusammentritt, wird er sicherlich mit Freuden be¬ Der erste October ist vorübergegangen ohne irgend eine Ruhestörung Vielen Hin- und Herwandern zwischen Versailles und Berlin — der Artikel 3 Sobald der Reichstag zusammentritt, wird er sicherlich mit Freuden be¬ Der erste October ist vorübergegangen ohne irgend eine Ruhestörung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192387"/> <p xml:id="ID_311" prev="#ID_310"> Vielen Hin- und Herwandern zwischen Versailles und Berlin — der Artikel 3<lb/> verloren gegangen ist, mit welchem die französische Nationalversammlung sie<lb/> verschönert hatte. Das wird, so versichert man, die Lösung der verwickelten<lb/> Fragen sein, wenn auch heute noch nicht gestattet ist, Genaueres darüber<lb/> mitzutheilen, denn die Verhandlungen schweben noch und Herr Thiers hat<lb/> das Actenstück, welches ihm vorliegt und welches die definitiven Entscheidungen<lb/> der Reichsregierung enthält — in diesem Augenblicke wenigstens — noch nicht<lb/> unterzeichnet. Daß er sich bald dazu entschließen wird, ist hier für zweifellos<lb/> anzusehen, denn die Vortheile der Convention sind ja für Frankreich so augen¬<lb/> scheinlich, daß dieselbe deßhalb hier, als sie zuerst in die Oeffentlichkeit drang,<lb/> nicht günstig aufgenommen wurde. Ob in einzelnen Punkten Frankreich kleine<lb/> Zugeständnisse gemacht sein mögen, so hat die Reichsregierung doch ihren<lb/> Zweck erreicht und die beschleunigte Räumung ist lediglich das Aequivalent<lb/> für die Elsaß und Lothringen gewährten Zollerleichterungen, während die<lb/> finanziellen Ansprüche des Reiches so weit gewahrt sind, als sie ohne das<lb/> bisherige Specialpfand überhaupt gewahrt werden können.</p><lb/> <p xml:id="ID_312"> Sobald der Reichstag zusammentritt, wird er sicherlich mit Freuden be¬<lb/> grüßen, daß die Occupation des französischen Gebietes noch weiter hat be¬<lb/> schränkt und endlich ein Theil der dort noch stehenden deutschen Truppen<lb/> zurückgezogen werden können. Unterdessen ist auch der Schleier von dem Pro¬<lb/> gramm der nächsten Session hinweggezogen worden und in der Absicht der<lb/> Negierung liegt, daß die Verhandlungen möglichst kurz und bündig aus¬<lb/> fallen sollen. Deßhalb hat sie den schwierigsten Punkt von der Tagesordnung<lb/> abgesetzt und will sich in Beziehung auf den Militäretat noch einmal mit<lb/> einem Provisorium behelfen. Aus verschiedenen Gründen wird sich im Reichs¬<lb/> tage kein ernster Widerstand gegen diesen Vorschlag erheben. Die rechte Seite<lb/> wird jeden Vorschlag der Regierung unterstützen, durch welchen diese möglichst<lb/> freie Hand erhält und die nationalliberale Partei fürchtet im Grunde des<lb/> Herzens nichts so sehr, als die Möglichkeit eines neuen Conflicts, der aus<lb/> den militärischen Fragen nur zu leicht entspringen kann, denn es gibt nicht<lb/> wenige, welche zum Beispiel die Herbeiführung der zweijährigen Dienstzeit<lb/> zur Sprache zu bringen allezeit für opportun halten und welche nach dem<lb/> letzten glücklichen Kriege die Zeit mehr als je für gekommen erachten, um mit<lb/> ihren Wünschen hervorzutreten. Bei der heutigen Zusammensetzung des Reichs¬<lb/> tages ist allerdings nicht zu besorgen, daß sich die Mehrheit der Versamm¬<lb/> lung zu einer Unbesonnenheit verleiten läßt, aber das Verhältniß der Regie¬<lb/> rung zur Volksvertretung wird vergiftet, wenn jene sieht, daß die Erfahrungen<lb/> des letzten Jahrzehnts, so beredt dieselben auch sprechen, doch selbst an Solchen,<lb/> die sich für gute Patrioten halten, ohne Eindruck vorübergegangen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_313" next="#ID_314"> Der erste October ist vorübergegangen ohne irgend eine Ruhestörung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
Vielen Hin- und Herwandern zwischen Versailles und Berlin — der Artikel 3
verloren gegangen ist, mit welchem die französische Nationalversammlung sie
verschönert hatte. Das wird, so versichert man, die Lösung der verwickelten
Fragen sein, wenn auch heute noch nicht gestattet ist, Genaueres darüber
mitzutheilen, denn die Verhandlungen schweben noch und Herr Thiers hat
das Actenstück, welches ihm vorliegt und welches die definitiven Entscheidungen
der Reichsregierung enthält — in diesem Augenblicke wenigstens — noch nicht
unterzeichnet. Daß er sich bald dazu entschließen wird, ist hier für zweifellos
anzusehen, denn die Vortheile der Convention sind ja für Frankreich so augen¬
scheinlich, daß dieselbe deßhalb hier, als sie zuerst in die Oeffentlichkeit drang,
nicht günstig aufgenommen wurde. Ob in einzelnen Punkten Frankreich kleine
Zugeständnisse gemacht sein mögen, so hat die Reichsregierung doch ihren
Zweck erreicht und die beschleunigte Räumung ist lediglich das Aequivalent
für die Elsaß und Lothringen gewährten Zollerleichterungen, während die
finanziellen Ansprüche des Reiches so weit gewahrt sind, als sie ohne das
bisherige Specialpfand überhaupt gewahrt werden können.
Sobald der Reichstag zusammentritt, wird er sicherlich mit Freuden be¬
grüßen, daß die Occupation des französischen Gebietes noch weiter hat be¬
schränkt und endlich ein Theil der dort noch stehenden deutschen Truppen
zurückgezogen werden können. Unterdessen ist auch der Schleier von dem Pro¬
gramm der nächsten Session hinweggezogen worden und in der Absicht der
Negierung liegt, daß die Verhandlungen möglichst kurz und bündig aus¬
fallen sollen. Deßhalb hat sie den schwierigsten Punkt von der Tagesordnung
abgesetzt und will sich in Beziehung auf den Militäretat noch einmal mit
einem Provisorium behelfen. Aus verschiedenen Gründen wird sich im Reichs¬
tage kein ernster Widerstand gegen diesen Vorschlag erheben. Die rechte Seite
wird jeden Vorschlag der Regierung unterstützen, durch welchen diese möglichst
freie Hand erhält und die nationalliberale Partei fürchtet im Grunde des
Herzens nichts so sehr, als die Möglichkeit eines neuen Conflicts, der aus
den militärischen Fragen nur zu leicht entspringen kann, denn es gibt nicht
wenige, welche zum Beispiel die Herbeiführung der zweijährigen Dienstzeit
zur Sprache zu bringen allezeit für opportun halten und welche nach dem
letzten glücklichen Kriege die Zeit mehr als je für gekommen erachten, um mit
ihren Wünschen hervorzutreten. Bei der heutigen Zusammensetzung des Reichs¬
tages ist allerdings nicht zu besorgen, daß sich die Mehrheit der Versamm¬
lung zu einer Unbesonnenheit verleiten läßt, aber das Verhältniß der Regie¬
rung zur Volksvertretung wird vergiftet, wenn jene sieht, daß die Erfahrungen
des letzten Jahrzehnts, so beredt dieselben auch sprechen, doch selbst an Solchen,
die sich für gute Patrioten halten, ohne Eindruck vorübergegangen sind.
Der erste October ist vorübergegangen ohne irgend eine Ruhestörung
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