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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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gewinnt. Die Autorität, die Schulte besitzt, beruht auf dem Gleichgewicht
seiner geistigen Anlagen, denn der Wärme des Gemüthes steht eine Schärfe
der Kritik zur Seite, die in dieser Vereinigung nur selten gefunden wird.
Höher aber als beide ist ohne Zweifel sein Charakter anzuschlagen und die
glänzendsten Siege erfocht er da, wo er seiner Überzeugungstreue vollen Aus¬
druck gab. Schon in den geschlossenen Berathungen war die Rede Schulte's
o!e bedeutendste, die überhaupt gehalten wurde, und noch entschiedener darf
man dieß für die öffentliche Versammlung behaupten. Ohne der Würde des
Gegenstandes und seiner eigenen Person das Mindeste zu vergeben, fand er
doch jenen populären Ton, der gerade die bürgerlichen Zuhörer vollkommen
begeisterte und zugleich den Gebildeten als vollendetes Meisterwerk erschien.
Die Lügenhaftigkeit und die Gewaltthat, mit welcher das infallible Dogma
erzwungen wurde, ist niemals schlagender beleuchtet worden.

Daß man Schulte zum Präsidenten wählte, war ein glücklicher Takt,
denn keiner von allen hätte in gleicher Weise vermocht, die Einheit
der Versammlung aufrecht zu erhalten und an den kritischen Punkten, wo
eine Meinungsverschiedenheit zu Tage trat, den gemeinsamen Grundgedanken
zu beleben.

Derjenige Redner, welcher Schulte am nächsten stand, wo es den öffent¬
lichen Eindruck galt, war Professor Reinkens aus Breslau. Er war dort
während 7 Jahren Domprediger gewesen und hatte sich der Gunst des großen
Diepenbrock in besonderem Grad erfreut; auch Bischof Förster, der Nachfolger
des Genannten, hielt große Stücke auf den jungen Gelehrten. Er hatte ihn
ausersehen, um in das Domcapitel einzutreten und dort auf der hierarchischen
Stufenleiter schnell emporzusteigen, aber Reinkens besaß Selbstgefühl und
Selbstverleugnung genug, um diesen verführerischen Plan von sich zu weisen,
und seine Kraft ausschließlich der Wissenschaft zu wahren. Schon damals
nämlich sing Dr. Förster an, mehr und mehr in die römisch-glatte Bahn zu
gerathen, die ihn zuletzt in einen Abgrund von Widersprüchen führte und
die ihn gegenwärtig zu einem der gefügigsten Werkzeuge der Jesuiten gemacht
hat. In ihrem Geiste stieß er denn den begabtesten Mann der ganzen Diöcese
und der Universität, von sich.

Zwei Winter, die dem Concil unmittelbar vorhergingen, hatte Reinkens
in Rom verbracht; man war bestrebt, ihn dort für eine der vorberathenden
Commissionen zu gewinnen und seine bedeutende Kraft für die Interessen der
Curie zu verwerthen. Aber eben dieser Ausenthalt trug dazu bei, Reinkens
völlig denselben zu entfremden, er gab ihm auch das ungeheuere Material an
die Hand, über das er gegenwärtig verfügt. Wenige Menschen werden eine
ähnliche Einsicht in die Hofintriguen des Vatikans und in die geheimen Um-


gewinnt. Die Autorität, die Schulte besitzt, beruht auf dem Gleichgewicht
seiner geistigen Anlagen, denn der Wärme des Gemüthes steht eine Schärfe
der Kritik zur Seite, die in dieser Vereinigung nur selten gefunden wird.
Höher aber als beide ist ohne Zweifel sein Charakter anzuschlagen und die
glänzendsten Siege erfocht er da, wo er seiner Überzeugungstreue vollen Aus¬
druck gab. Schon in den geschlossenen Berathungen war die Rede Schulte's
o!e bedeutendste, die überhaupt gehalten wurde, und noch entschiedener darf
man dieß für die öffentliche Versammlung behaupten. Ohne der Würde des
Gegenstandes und seiner eigenen Person das Mindeste zu vergeben, fand er
doch jenen populären Ton, der gerade die bürgerlichen Zuhörer vollkommen
begeisterte und zugleich den Gebildeten als vollendetes Meisterwerk erschien.
Die Lügenhaftigkeit und die Gewaltthat, mit welcher das infallible Dogma
erzwungen wurde, ist niemals schlagender beleuchtet worden.

Daß man Schulte zum Präsidenten wählte, war ein glücklicher Takt,
denn keiner von allen hätte in gleicher Weise vermocht, die Einheit
der Versammlung aufrecht zu erhalten und an den kritischen Punkten, wo
eine Meinungsverschiedenheit zu Tage trat, den gemeinsamen Grundgedanken
zu beleben.

Derjenige Redner, welcher Schulte am nächsten stand, wo es den öffent¬
lichen Eindruck galt, war Professor Reinkens aus Breslau. Er war dort
während 7 Jahren Domprediger gewesen und hatte sich der Gunst des großen
Diepenbrock in besonderem Grad erfreut; auch Bischof Förster, der Nachfolger
des Genannten, hielt große Stücke auf den jungen Gelehrten. Er hatte ihn
ausersehen, um in das Domcapitel einzutreten und dort auf der hierarchischen
Stufenleiter schnell emporzusteigen, aber Reinkens besaß Selbstgefühl und
Selbstverleugnung genug, um diesen verführerischen Plan von sich zu weisen,
und seine Kraft ausschließlich der Wissenschaft zu wahren. Schon damals
nämlich sing Dr. Förster an, mehr und mehr in die römisch-glatte Bahn zu
gerathen, die ihn zuletzt in einen Abgrund von Widersprüchen führte und
die ihn gegenwärtig zu einem der gefügigsten Werkzeuge der Jesuiten gemacht
hat. In ihrem Geiste stieß er denn den begabtesten Mann der ganzen Diöcese
und der Universität, von sich.

Zwei Winter, die dem Concil unmittelbar vorhergingen, hatte Reinkens
in Rom verbracht; man war bestrebt, ihn dort für eine der vorberathenden
Commissionen zu gewinnen und seine bedeutende Kraft für die Interessen der
Curie zu verwerthen. Aber eben dieser Ausenthalt trug dazu bei, Reinkens
völlig denselben zu entfremden, er gab ihm auch das ungeheuere Material an
die Hand, über das er gegenwärtig verfügt. Wenige Menschen werden eine
ähnliche Einsicht in die Hofintriguen des Vatikans und in die geheimen Um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/80>, abgerufen am 11.02.2025.