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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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fachen Arbeiter. Diese Thatsache ist zu wichtig für die Verbreitung und de߬
halb für den Erfolg der Altkatholischen Idee, als daß wir ohne weiteres an
derselben vorübergehen dürften. Unter den gebildeten Classen waren vor allen
die Professoren der Universität sehr stark vertreten, die ja bekanntlich zuerst
gegen das neue Dogma Protest erhoben. Aber auch zahlreiche Lehrer der
Gymnasien und selbst der Volksschulen waren erschienen, obwohl sie sich be¬
wußt waren, daß diese Anwesenheit ihren geistlichen Vorgesetzten schwerlich
entgehen würde. In ganz hervorragender Weise betheiligte sich auch der Be¬
amtenstand, der in München fast nur aus vorgeschrittenen Männern besteht,
und in politischen Fragen entscheidend ins Gewicht fällt; das größte Contingent
von allen aber lieferten ti.e bürgerlichen Elemente, der gebildete Mittelstand
und jene Klassen, die bei ihrer gewerblichen und commerciellen Thätigkeit den
Sinn für öffentliche Interessen keineswegs verloren haben. Auch Arbeiter
waren mannigfach zugegen, aber nicht von jenem unheimlichen radicalen Ge¬
präge, wie es die Socialdemokraten gegenwärtig geschaffen haben, sondern ehr¬
liche treuherzige Gesichter, denen es Ernst mit der Sache war, denen der be¬
stehende Conflict wirklich zu Herzen ging.

Es war eine schwierige Aufgabe, für dieses Auditorium von so verschie¬
denen Bildungsgraden einen Ton zu finden, der auf der Höhe des Gegen¬
standes stand und dennoch allen gleich verständlich wurde. Allein fast sämmt¬
lichen Rednern muß man das Zeugniß geben, daß sie dieser Schwierigkeit
vollkommen gewachsen waren. Jeder hatte seine subjective Art, der er selber
treu blieb und die ebendadurch die Menge am Sichersten fesselte. Auch äu¬
ßerlich war dieser schlagende Wechsel der Persönlichkeiten von Bedeutung,
wenn man bedenkt, daß das Publicum genöthigt war, mehr als 3 Stunden
und meistens stehend den Vorträgen anzuwohnen. Die Gefahr der Ermüdung
war dadurch wesentlich verringert und das Publicum bewies in der That
durch seine ununterbrochene Aufmerksamkeit, wie sehr es die Sache ernst nahm.

Es kann uns hier nicht mehr obliegen, den objectiven Inhalt der ge¬
stimmten Verhandlungen darzustellen; wir setzen voraus, daß derselbe durch
die Tagespresse dem Leser zur Genüge bekannt geworden. Was wir uns hier
zur Aufgabe machen, das ist die Charakteristik der einzelnen Persönlichkeiten
und die Darlegung jener Ideen, die aus dem positiven Material der Ver¬
handlungen hervorgehen.

Unter den activen Theilnehmern des Congresses d. h. unter denen, die
selbständig in die Darstellung ein griffen, nimmt Schulte unbestritten den ersten
Rang ein. In seiner Persönlichkeit vereinigen sich fast alle Borzüge, die für
das öffentliche Auftreten von Belang sind, denn mit einer hervorragend ari¬
stokratischen Erscheinung und den feinsten weltmännischen Formen verbindet
sich jene innerliche moralische Kraft, die über den Hörer unwillkürlich Gewalt


fachen Arbeiter. Diese Thatsache ist zu wichtig für die Verbreitung und de߬
halb für den Erfolg der Altkatholischen Idee, als daß wir ohne weiteres an
derselben vorübergehen dürften. Unter den gebildeten Classen waren vor allen
die Professoren der Universität sehr stark vertreten, die ja bekanntlich zuerst
gegen das neue Dogma Protest erhoben. Aber auch zahlreiche Lehrer der
Gymnasien und selbst der Volksschulen waren erschienen, obwohl sie sich be¬
wußt waren, daß diese Anwesenheit ihren geistlichen Vorgesetzten schwerlich
entgehen würde. In ganz hervorragender Weise betheiligte sich auch der Be¬
amtenstand, der in München fast nur aus vorgeschrittenen Männern besteht,
und in politischen Fragen entscheidend ins Gewicht fällt; das größte Contingent
von allen aber lieferten ti.e bürgerlichen Elemente, der gebildete Mittelstand
und jene Klassen, die bei ihrer gewerblichen und commerciellen Thätigkeit den
Sinn für öffentliche Interessen keineswegs verloren haben. Auch Arbeiter
waren mannigfach zugegen, aber nicht von jenem unheimlichen radicalen Ge¬
präge, wie es die Socialdemokraten gegenwärtig geschaffen haben, sondern ehr¬
liche treuherzige Gesichter, denen es Ernst mit der Sache war, denen der be¬
stehende Conflict wirklich zu Herzen ging.

Es war eine schwierige Aufgabe, für dieses Auditorium von so verschie¬
denen Bildungsgraden einen Ton zu finden, der auf der Höhe des Gegen¬
standes stand und dennoch allen gleich verständlich wurde. Allein fast sämmt¬
lichen Rednern muß man das Zeugniß geben, daß sie dieser Schwierigkeit
vollkommen gewachsen waren. Jeder hatte seine subjective Art, der er selber
treu blieb und die ebendadurch die Menge am Sichersten fesselte. Auch äu¬
ßerlich war dieser schlagende Wechsel der Persönlichkeiten von Bedeutung,
wenn man bedenkt, daß das Publicum genöthigt war, mehr als 3 Stunden
und meistens stehend den Vorträgen anzuwohnen. Die Gefahr der Ermüdung
war dadurch wesentlich verringert und das Publicum bewies in der That
durch seine ununterbrochene Aufmerksamkeit, wie sehr es die Sache ernst nahm.

Es kann uns hier nicht mehr obliegen, den objectiven Inhalt der ge¬
stimmten Verhandlungen darzustellen; wir setzen voraus, daß derselbe durch
die Tagespresse dem Leser zur Genüge bekannt geworden. Was wir uns hier
zur Aufgabe machen, das ist die Charakteristik der einzelnen Persönlichkeiten
und die Darlegung jener Ideen, die aus dem positiven Material der Ver¬
handlungen hervorgehen.

Unter den activen Theilnehmern des Congresses d. h. unter denen, die
selbständig in die Darstellung ein griffen, nimmt Schulte unbestritten den ersten
Rang ein. In seiner Persönlichkeit vereinigen sich fast alle Borzüge, die für
das öffentliche Auftreten von Belang sind, denn mit einer hervorragend ari¬
stokratischen Erscheinung und den feinsten weltmännischen Formen verbindet
sich jene innerliche moralische Kraft, die über den Hörer unwillkürlich Gewalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/79>, abgerufen am 05.02.2025.