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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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"Mit uns hat es die Gelegenheit, daß wir am Zipperlein darnieder liegen,
sonsten aber, Gottlob! ziemlich bei Gesundheit sind -- halten aber, daß es
mehr des Tanzes, denn des Trunkes Schuld!" --

Fröhlich wenden I. F. G. nun Wittenberg den Rücken und sich zunächst
der Heimath zu. Es ist ein stattlicher Reisezug von 60 Pferden, mit
dem die Jünglinge an dem fürstlichen Hoflager des alten Barnim zu Alten-
Stettin zum Besuch anlangen. Den Nest des Sommers verleben sie in alter
wiederhergestellter Liebe und Eintracht am Hofe zu Wolgast im Kreise der
Geschwister und der Mutter. Im Herbst wird ihre Sehnsucht in's Weite
endlich gestillt. In Begleitung ihres Hofmeisters Dietrich von Schwerin und
einiger anderer Edelleute geht's im schnellen fröhlichen Zuge durch das schöne
deutsche Land -- über Belgien nach Frankreich. Zu Angers wird Quartier
genommen, um hier in aller Muße Frankreichs Sprache und Sitte zu lernen.
Wie ein Donnerschlag überrascht indeß in diesem fröhlichen Leben der Wunsch
-- ja, der Befehl der Brüder, schleunigst zur Lehnempfängniß und Landeö-
huldigung in die Heimath zurückzukehren. Dazu haben unsere Reisenden nun
nicht die geringste Lust. Sie senden den Brüdern schriftliche Vollmacht, in
ihrem Namen die Landesbelehnung und Huldigung entgegenzunehmen: "denn
es unsere große Nothdurft erheischet, allhier zu bleiben" -- sie könnten doch
nicht mehr zur festgesetzten Zeit in der Heimath anlangen wegen der Kriegs¬
unruhen in den Niederlanden -- sie hätten jetzt erst ordentlich angefangen,
die französische Sprache zu verstehn -- und es sei ihnen sehr bedenklich, "heimlich
von hinnen zu ziehn, wir hätten denn dem Könige die Reverenz gethan und
unsere Dienste angeboten -- auch anderer obwaltenden Ursachen halben!"
Um die Brüder durch ihr Nichterscheinen nicht allzu sehr zu erzürnen, sendet
der leichtherzige Barnim ihnen durch ihren Abgesandten voetoi' .juris Bern¬
hard Nacht zwei Rapiere, die der Doctor auf der Durchreise in Paris kaufen
soll, "die besten, so er bekommen kann, welche ich E. Lbd. fri. will schenken,
fri. bittend, E. Lbd. wolle sie vorlieb und gut annehmen!" Der Hofmeister
schreibt zugleich, er habe die Abreise "bei I. F. G. mit keinen Bitten erhal¬
ten können, habe es derowegen zu I. F. G. gu. Willen und Wohlgefallen
müssen beruhen lassen!"

Solche Gründe finden aber daheim bei den Brüdern, Vormündern und
Räthen wenig geneigtes Ohr. Sogleich wird der Amtshauptmann von Neuen-
Kamp, Joachim von Jasmund. nach Frankreich abgesandt, die Reisenden zur
schleunigen Rückkehr zu bewegen und ihre Abreise am französischen Hofe zu
entschuldigen. Als Reisegeld muß Nicolaus Kuffner 2000 Kronen anschaffen:
"dies sei aber das letzte Geld, welches I. Lbd. von Hause erhalten würden,
denn die zur Regierung verordneten Räthe beschwerten sich schon, daß die
fürstliche Kammer mit ungewöhnlichen großen Ausgaben belastet werde und


„Mit uns hat es die Gelegenheit, daß wir am Zipperlein darnieder liegen,
sonsten aber, Gottlob! ziemlich bei Gesundheit sind — halten aber, daß es
mehr des Tanzes, denn des Trunkes Schuld!" —

Fröhlich wenden I. F. G. nun Wittenberg den Rücken und sich zunächst
der Heimath zu. Es ist ein stattlicher Reisezug von 60 Pferden, mit
dem die Jünglinge an dem fürstlichen Hoflager des alten Barnim zu Alten-
Stettin zum Besuch anlangen. Den Nest des Sommers verleben sie in alter
wiederhergestellter Liebe und Eintracht am Hofe zu Wolgast im Kreise der
Geschwister und der Mutter. Im Herbst wird ihre Sehnsucht in's Weite
endlich gestillt. In Begleitung ihres Hofmeisters Dietrich von Schwerin und
einiger anderer Edelleute geht's im schnellen fröhlichen Zuge durch das schöne
deutsche Land — über Belgien nach Frankreich. Zu Angers wird Quartier
genommen, um hier in aller Muße Frankreichs Sprache und Sitte zu lernen.
Wie ein Donnerschlag überrascht indeß in diesem fröhlichen Leben der Wunsch
— ja, der Befehl der Brüder, schleunigst zur Lehnempfängniß und Landeö-
huldigung in die Heimath zurückzukehren. Dazu haben unsere Reisenden nun
nicht die geringste Lust. Sie senden den Brüdern schriftliche Vollmacht, in
ihrem Namen die Landesbelehnung und Huldigung entgegenzunehmen: „denn
es unsere große Nothdurft erheischet, allhier zu bleiben" — sie könnten doch
nicht mehr zur festgesetzten Zeit in der Heimath anlangen wegen der Kriegs¬
unruhen in den Niederlanden — sie hätten jetzt erst ordentlich angefangen,
die französische Sprache zu verstehn — und es sei ihnen sehr bedenklich, „heimlich
von hinnen zu ziehn, wir hätten denn dem Könige die Reverenz gethan und
unsere Dienste angeboten — auch anderer obwaltenden Ursachen halben!"
Um die Brüder durch ihr Nichterscheinen nicht allzu sehr zu erzürnen, sendet
der leichtherzige Barnim ihnen durch ihren Abgesandten voetoi' .juris Bern¬
hard Nacht zwei Rapiere, die der Doctor auf der Durchreise in Paris kaufen
soll, „die besten, so er bekommen kann, welche ich E. Lbd. fri. will schenken,
fri. bittend, E. Lbd. wolle sie vorlieb und gut annehmen!" Der Hofmeister
schreibt zugleich, er habe die Abreise „bei I. F. G. mit keinen Bitten erhal¬
ten können, habe es derowegen zu I. F. G. gu. Willen und Wohlgefallen
müssen beruhen lassen!"

Solche Gründe finden aber daheim bei den Brüdern, Vormündern und
Räthen wenig geneigtes Ohr. Sogleich wird der Amtshauptmann von Neuen-
Kamp, Joachim von Jasmund. nach Frankreich abgesandt, die Reisenden zur
schleunigen Rückkehr zu bewegen und ihre Abreise am französischen Hofe zu
entschuldigen. Als Reisegeld muß Nicolaus Kuffner 2000 Kronen anschaffen:
„dies sei aber das letzte Geld, welches I. Lbd. von Hause erhalten würden,
denn die zur Regierung verordneten Räthe beschwerten sich schon, daß die
fürstliche Kammer mit ungewöhnlichen großen Ausgaben belastet werde und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/76>, abgerufen am 11.02.2025.