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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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wie daß man uns allhier belügt und daß wir in aller verlogenen Leute
Munde müssen unigetragen werden, daß wir es schon allerwegen, wo wir
schier hinkommen, hören müssen , welches uns sehr beschwerlich ist und wohl
eine große Ursache wär, daß wir von hinnen ziehn möchten. Dessen wollen
E. Lbd. auch zu gelegener Zeit bei den Räthen eingedenk sein!"

Selbst die Festlichkeiten, mit denen Herzog Ernst Ludwig sein Rectorat
beschließt und der junge Barnum die akademischen Fasces übernimmt, ver¬
mögen die Unlust der beiden Studenten an ihrem Aufenthalt in Wittenberg
mir vorübergehend zu dämpfen. Bei diesen akademischen Festlichkeiten halten
beide Brüder wieder stattliche Reden. Der Hofmeister Hennig von Melde
schreibt darüber an den heimischen Hof: "Das ist noch das Beste bei der
ganzen Dignität, daß sich I. F. G. bisweilen exerciren müssen." Ernst Lud¬
wig ladet zu seiner stattlichen Nectorats-Kostung den Fürsten Wulf zu An¬
halt und den Herzog Alexander, Sohn des Kurfürsten August, durch eigen¬
händige lateinische Briefe -- sämmtliche Professoren der Universität, viele
Geistliche, die beiden Bürgermeister, den Buchdrucker Johann Luft, Maler Lucas
Kranach den Jüngeren, den Apotheker und viele der vornehmsten Studenten
aber durch ein solennes Thema ein. An fünf Tischen wird gar köstlich
gegessen und getrunken. Die pommerschen Edelknaben warten dabei auf.
Fürst Wulf kann aber nicht erscheinen: der "König von Czippern" plagt
ihn zur Stunde wieder dermaßen, daß er die Lust meiden muß. Der gute
Alte läßt sich beim Ehrenfeste seines Mündels durch einige Edelleute vertre¬
ten. Die jungen Fürsten aber besuchen darauf den am Zipperlein darnieder¬
liegenden Bormund in Coswig. Selbst der böse gestrenge König von Czip¬
pern vermag da ein frohes Pvculiren des guten Alten und seiner jungen
Gäste nicht zu verhindern. Denn unsere Studenten finden nach ihrer Rück¬
kehr zu den Wittenberger Studien nicht nur Veranlassung, sich schriftlich bei
Fürst Wulf für viele bezeigte Ehre, Liebe, Freundschaft und Wohlthat zu
bedanken, sondern auch zu bitten: was sie oder ihre Diener Ungebührliches
und Ungeschicktes begangen, nicht bösem Borsatze, sondern der Jugend und
seinem guten Bier und Wein zuzumessen.

Der junge leichtherzige Barnim, bei allen Studenten besonders beliebt,
weil er die Relegation zweier vornehmen Studenten zu verhindern gewußt
hatte, legt die akademischen Fasces mit einer gut memorirten lateinischen
Rede in die Hände des Studiosus Graf Johann Georg von Solms nieder.
Aber erst nach einigen Monaten erlaubt ihm der Bestand seiner Kasse, die
übliche Rectorats-Kostung auszurichten -- um so mehr ist jetzt sein jugend¬
licher Ehrgeiz, dieselbe möglichst glänzend zu feiern. Er schreibt deswegen
an seinen alten Großoheim Barnim XI., der jetzt von der Regierungslast in
dem anmuthigen Kolbatz ausruht, und bittet ihn: einige von seinen berühm-


Grcnzboten II. 1871. 79

wie daß man uns allhier belügt und daß wir in aller verlogenen Leute
Munde müssen unigetragen werden, daß wir es schon allerwegen, wo wir
schier hinkommen, hören müssen , welches uns sehr beschwerlich ist und wohl
eine große Ursache wär, daß wir von hinnen ziehn möchten. Dessen wollen
E. Lbd. auch zu gelegener Zeit bei den Räthen eingedenk sein!"

Selbst die Festlichkeiten, mit denen Herzog Ernst Ludwig sein Rectorat
beschließt und der junge Barnum die akademischen Fasces übernimmt, ver¬
mögen die Unlust der beiden Studenten an ihrem Aufenthalt in Wittenberg
mir vorübergehend zu dämpfen. Bei diesen akademischen Festlichkeiten halten
beide Brüder wieder stattliche Reden. Der Hofmeister Hennig von Melde
schreibt darüber an den heimischen Hof: „Das ist noch das Beste bei der
ganzen Dignität, daß sich I. F. G. bisweilen exerciren müssen." Ernst Lud¬
wig ladet zu seiner stattlichen Nectorats-Kostung den Fürsten Wulf zu An¬
halt und den Herzog Alexander, Sohn des Kurfürsten August, durch eigen¬
händige lateinische Briefe — sämmtliche Professoren der Universität, viele
Geistliche, die beiden Bürgermeister, den Buchdrucker Johann Luft, Maler Lucas
Kranach den Jüngeren, den Apotheker und viele der vornehmsten Studenten
aber durch ein solennes Thema ein. An fünf Tischen wird gar köstlich
gegessen und getrunken. Die pommerschen Edelknaben warten dabei auf.
Fürst Wulf kann aber nicht erscheinen: der „König von Czippern" plagt
ihn zur Stunde wieder dermaßen, daß er die Lust meiden muß. Der gute
Alte läßt sich beim Ehrenfeste seines Mündels durch einige Edelleute vertre¬
ten. Die jungen Fürsten aber besuchen darauf den am Zipperlein darnieder¬
liegenden Bormund in Coswig. Selbst der böse gestrenge König von Czip¬
pern vermag da ein frohes Pvculiren des guten Alten und seiner jungen
Gäste nicht zu verhindern. Denn unsere Studenten finden nach ihrer Rück¬
kehr zu den Wittenberger Studien nicht nur Veranlassung, sich schriftlich bei
Fürst Wulf für viele bezeigte Ehre, Liebe, Freundschaft und Wohlthat zu
bedanken, sondern auch zu bitten: was sie oder ihre Diener Ungebührliches
und Ungeschicktes begangen, nicht bösem Borsatze, sondern der Jugend und
seinem guten Bier und Wein zuzumessen.

Der junge leichtherzige Barnim, bei allen Studenten besonders beliebt,
weil er die Relegation zweier vornehmen Studenten zu verhindern gewußt
hatte, legt die akademischen Fasces mit einer gut memorirten lateinischen
Rede in die Hände des Studiosus Graf Johann Georg von Solms nieder.
Aber erst nach einigen Monaten erlaubt ihm der Bestand seiner Kasse, die
übliche Rectorats-Kostung auszurichten — um so mehr ist jetzt sein jugend¬
licher Ehrgeiz, dieselbe möglichst glänzend zu feiern. Er schreibt deswegen
an seinen alten Großoheim Barnim XI., der jetzt von der Regierungslast in
dem anmuthigen Kolbatz ausruht, und bittet ihn: einige von seinen berühm-


Grcnzboten II. 1871. 79
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/73>, abgerufen am 05.02.2025.