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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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an den Verses denken, der so lautet: Li" eilte, <mi cito an.t -- und mich mit
der Erst damit verehren und nicht lange damit "erziehn, denn: vir eunctator
Lvmxei' Il^dot incommoäum!" Auch der viel geduldigere, milde Ernst Lud¬
wig kommt aus der Kleppemoth nicht heraus, er bittet S. Lbd. um einen
fein gerittenen Braunen und will dann den kleinen Hans zurückschicken,
"denn der Klopfer schon einmal oder zweien mit mir gefallen ist!"

Bei all diesen Bitten um Geld, Klepper, Büchsen, gedörrte Fische oder
um "eine gute Strick Winde" -- eine gute Koppel Windhunde, die Ernst Lud¬
wig dem kursächsischen Marschall Hans Löser "beim Trunk" versprochen but,
fehlt jedoch selten die brüderliche Zusicherung: "das will ich um E. Lbd.
wiederum mit Leib, Haut und Haar freundlich verdienen!" --

Diese ewige Noth um Geld und Klepper verleidet den fürstlichen Studenten
den Aufenthalt in Wittenberg gar bald. Der Reiz der Neuheit ist auch vor¬
über. Sie sehn das Wittenberger Leben nicht mehr mit den Augen der un¬
befangenen Jugendlust an--die Schleier sinken: das zügellose Treiben
der meisten übrigen Studenten und so vieler Professoren steht plötzlich in sei¬
ner ganzen Wüstheit vor den reinen Augen der jungen pommerschen Her¬
zöge. Die Stadt Wittenberg selbst*) vermag ihnen durch Sehenswürdigkeiten
wenig Ersatz zu bieten. Nach kaum einem Jahre fühlen sich I. F. G. auf
der Universität unbehaglich und immer unbehaglicher -- sie wollen um jeden
Preis fort von Wittenberg. Dazu kommt die Sehnsucht, sich in der Welt
weiter umzusehn. "Was allhier zu sehn ist, das habe ich Alles wohl behal¬
ten, wollte gern weiter. Will mich aber noch erboten haben, daß ich bis auf
Michaelis will bleiben, aber darnach nicht länger; ist meine Gelegenheit gar
nicht, will und kann's nicht thun, aus Ursachen, die ich der Feder nicht will
vertrauen!" schreibt Ernst Ludwig am 5 April 1564 an seine Brüder Jo¬
hann Friedrich und Bogislav nach Wolgast. Seine Feder sträubt sich, eine
Schilderung des wüsten zügellosen Studentenlebens in Wittenberg zu ent¬
werfen. Viel mehr hiervon verräth schon ein späterer Brief des jungen Bar-
nim an seinen Bruder, der sie zum längeren Bleiben bewegen will: "Wenn
E. Lbd. nur ein Viertel Jahres hier sein sollten, würden E. Lbd. schon viel
anders darüber richten, als jetzt, da es E. Lbd. vielleicht so schön und zierlich
fürgetragen wird, daß E. Lbd. meinen, daß allhier das Paradies, obgleich
er hier mit Saufen und andern Dingen mehr, so allhier zu erwähnen un¬
nöthig, so unordentlich zugeht, als es vielleicht an andern Orten nicht ge¬
schehen mag. E. Lbd. kann ich auch freundlicher Meinung nicht verhalten,



') "Eine große Anzahl von Lehmhütten mit Strohdächern und einige Kirchen in öder
Umgebung" wie Luther schon schreibt und dann fortfährt: Wittenberg liegt um der äußer¬
sten Grenze der Civilisation, wären sie (bei der Gründung der Universität) -- noch ein wenig
weiter gegangen, so waren sie mitten in der Varbmeil"

an den Verses denken, der so lautet: Li» eilte, <mi cito an.t — und mich mit
der Erst damit verehren und nicht lange damit »erziehn, denn: vir eunctator
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wig kommt aus der Kleppemoth nicht heraus, er bittet S. Lbd. um einen
fein gerittenen Braunen und will dann den kleinen Hans zurückschicken,
„denn der Klopfer schon einmal oder zweien mit mir gefallen ist!"

Bei all diesen Bitten um Geld, Klepper, Büchsen, gedörrte Fische oder
um „eine gute Strick Winde" — eine gute Koppel Windhunde, die Ernst Lud¬
wig dem kursächsischen Marschall Hans Löser „beim Trunk" versprochen but,
fehlt jedoch selten die brüderliche Zusicherung: „das will ich um E. Lbd.
wiederum mit Leib, Haut und Haar freundlich verdienen!" —

Diese ewige Noth um Geld und Klepper verleidet den fürstlichen Studenten
den Aufenthalt in Wittenberg gar bald. Der Reiz der Neuheit ist auch vor¬
über. Sie sehn das Wittenberger Leben nicht mehr mit den Augen der un¬
befangenen Jugendlust an--die Schleier sinken: das zügellose Treiben
der meisten übrigen Studenten und so vieler Professoren steht plötzlich in sei¬
ner ganzen Wüstheit vor den reinen Augen der jungen pommerschen Her¬
zöge. Die Stadt Wittenberg selbst*) vermag ihnen durch Sehenswürdigkeiten
wenig Ersatz zu bieten. Nach kaum einem Jahre fühlen sich I. F. G. auf
der Universität unbehaglich und immer unbehaglicher — sie wollen um jeden
Preis fort von Wittenberg. Dazu kommt die Sehnsucht, sich in der Welt
weiter umzusehn. „Was allhier zu sehn ist, das habe ich Alles wohl behal¬
ten, wollte gern weiter. Will mich aber noch erboten haben, daß ich bis auf
Michaelis will bleiben, aber darnach nicht länger; ist meine Gelegenheit gar
nicht, will und kann's nicht thun, aus Ursachen, die ich der Feder nicht will
vertrauen!" schreibt Ernst Ludwig am 5 April 1564 an seine Brüder Jo¬
hann Friedrich und Bogislav nach Wolgast. Seine Feder sträubt sich, eine
Schilderung des wüsten zügellosen Studentenlebens in Wittenberg zu ent¬
werfen. Viel mehr hiervon verräth schon ein späterer Brief des jungen Bar-
nim an seinen Bruder, der sie zum längeren Bleiben bewegen will: „Wenn
E. Lbd. nur ein Viertel Jahres hier sein sollten, würden E. Lbd. schon viel
anders darüber richten, als jetzt, da es E. Lbd. vielleicht so schön und zierlich
fürgetragen wird, daß E. Lbd. meinen, daß allhier das Paradies, obgleich
er hier mit Saufen und andern Dingen mehr, so allhier zu erwähnen un¬
nöthig, so unordentlich zugeht, als es vielleicht an andern Orten nicht ge¬
schehen mag. E. Lbd. kann ich auch freundlicher Meinung nicht verhalten,



') „Eine große Anzahl von Lehmhütten mit Strohdächern und einige Kirchen in öder
Umgebung" wie Luther schon schreibt und dann fortfährt: Wittenberg liegt um der äußer¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/72>, abgerufen am 05.02.2025.