Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Wie hatte sich der Ton Klopstock'scher Demuth und anbetender Verzückung Shakespeares Dichterkraft hatte Goethe schon in Straßburg in einer
Und auch andere Wellen der aufgeregten Jünglingsseele ergossen sich in In der ersten Zeit nach dem Weggang von Straßburg quälte die Er¬
Wie hatte sich der Ton Klopstock'scher Demuth und anbetender Verzückung Shakespeares Dichterkraft hatte Goethe schon in Straßburg in einer
Und auch andere Wellen der aufgeregten Jünglingsseele ergossen sich in In der ersten Zeit nach dem Weggang von Straßburg quälte die Er¬
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0061" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192361"/> <p xml:id="ID_216"> Wie hatte sich der Ton Klopstock'scher Demuth und anbetender Verzückung<lb/> geändert!</p><lb/> <p xml:id="ID_217"> Shakespeares Dichterkraft hatte Goethe schon in Straßburg in einer<lb/> sprudelnden Rede mit Prometheus „Menschenschöpfung" verglichen: „er bildete<lb/> ihm Zug für Zug seine Menschen nach, nur in kolossaler Größe; er belebte<lb/> sie mit dem Hauche seines Geistes; er redet aus allen und man erkennt ihre<lb/> Verwandtschaft." Jetzt hatte der Redner selbst schon eine ganze Welt von<lb/> Niesen seiner Art und seines Gepräges aus sich geboren, Andere beschloß die<lb/> Seele schon; sie harrten des Lichtes: Goetz und Weisungen, Marie und Adel¬<lb/> heid, Georg und Franz, Clavigo und Carlos, Faust und Gretchen, Egmont<lb/> und Klärchen. Er war selbst der Menschenbildner Prometheus:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l> Hier sitz' ich, forme Menschen<lb/> Und meinem Bilde,<lb/> Ein Geschlecht, das mir gleich sei,<lb/> Zu leiden, zu weinen,<lb/> Zu genießen und zu freuen sich<lb/> Und Dein nicht zu achten,<lb/> Wie ich! —</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_218"> Und auch andere Wellen der aufgeregten Jünglingsseele ergossen sich in<lb/> dieses dithyrambische Bett.</p><lb/> <p xml:id="ID_219"> In der ersten Zeit nach dem Weggang von Straßburg quälte die Er¬<lb/> innerung an die verlassene Friederike. Da irrte er wirr und wüst, ein un-<lb/> stäter „Wanderer", durch Wald und Flur. Selbst Wind und Wetter, Hagel<lb/> und Regenschauer hielten ihn nicht daheim. Aber auch hier hebt ihn das<lb/> stolze Vertrauen auf seinen Genius „über'n Schlammpfad mit den Feuer¬<lb/> flügeln", da hallen wilde Klänge hinaus in die sturmdurchsauste Luft; im<lb/> wirbelnden „Halbunsinn" bacchantischer Rede hält er unheimliche Zwiesprache<lb/> mit sich und den Göttern, die er kaum über sich fühlt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_12" type="poem"> <l> Wen Du nicht verlässest, Genius,<lb/> Nicht der Regen, nicht der Sturm<lb/> Hauche ihm Schauer über's Herz..<lb/> Wen dn nicht verlässest, Genius,<lb/> Wird dem Regengewölk,<lb/> Wird dein Schloßeusturm<lb/> Entgegeusingm<lb/> Wie die Lerche,<lb/> Du da droben!<lb/> Wandeln wird er<lb/> Wie mit Vlumcnfüßen<lb/> Ueber Denkalivus Flulhschlamm,<lb/> Python tödtend, leicht, groß,<lb/> Pythius Apollo. —</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
Wie hatte sich der Ton Klopstock'scher Demuth und anbetender Verzückung
geändert!
Shakespeares Dichterkraft hatte Goethe schon in Straßburg in einer
sprudelnden Rede mit Prometheus „Menschenschöpfung" verglichen: „er bildete
ihm Zug für Zug seine Menschen nach, nur in kolossaler Größe; er belebte
sie mit dem Hauche seines Geistes; er redet aus allen und man erkennt ihre
Verwandtschaft." Jetzt hatte der Redner selbst schon eine ganze Welt von
Niesen seiner Art und seines Gepräges aus sich geboren, Andere beschloß die
Seele schon; sie harrten des Lichtes: Goetz und Weisungen, Marie und Adel¬
heid, Georg und Franz, Clavigo und Carlos, Faust und Gretchen, Egmont
und Klärchen. Er war selbst der Menschenbildner Prometheus:
Hier sitz' ich, forme Menschen
Und meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich
Und Dein nicht zu achten,
Wie ich! —
Und auch andere Wellen der aufgeregten Jünglingsseele ergossen sich in
dieses dithyrambische Bett.
In der ersten Zeit nach dem Weggang von Straßburg quälte die Er¬
innerung an die verlassene Friederike. Da irrte er wirr und wüst, ein un-
stäter „Wanderer", durch Wald und Flur. Selbst Wind und Wetter, Hagel
und Regenschauer hielten ihn nicht daheim. Aber auch hier hebt ihn das
stolze Vertrauen auf seinen Genius „über'n Schlammpfad mit den Feuer¬
flügeln", da hallen wilde Klänge hinaus in die sturmdurchsauste Luft; im
wirbelnden „Halbunsinn" bacchantischer Rede hält er unheimliche Zwiesprache
mit sich und den Göttern, die er kaum über sich fühlt:
Wen Du nicht verlässest, Genius,
Nicht der Regen, nicht der Sturm
Hauche ihm Schauer über's Herz..
Wen dn nicht verlässest, Genius,
Wird dem Regengewölk,
Wird dein Schloßeusturm
Entgegeusingm
Wie die Lerche,
Du da droben!
Wandeln wird er
Wie mit Vlumcnfüßen
Ueber Denkalivus Flulhschlamm,
Python tödtend, leicht, groß,
Pythius Apollo. —
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