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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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das Verklungen? nicht wieder zusammenfinden, -- oder daß, wenn geschrieben
wurde, das Papier vor der fluthenden Macht des dichterischen Stromes
nicht erst zurecht gerückt werden konnte, daß man die Verse in der Diagonale
quer herunterschrieb, daß man die kritzelnde und schnarrende Feder wegwarf,
die hie und da den Dichter in seinem nachtwandlerischen Thun störte, sondern
nur den Bleistift brauchen konnte, der die Züge so willig hergab wie das
Gemüth die Verse.


Durch Feld und Wald zu streifen,
Mein Liedchen wegznpfeifen,
So ging's von Ort zu Ort.

Konnte für diesen jugendlich trunkenen Schöpfungsdrang ein angenehmerer,
fördernderer Lehrer gedacht werden als der radical emancipirende Herder,
der nichts weiter forderte als empfindungsvolle Improvisationen und für deren
ungehindertste Entfaltung die allerbequemsten Weisen bot. Würde Goethe
aus, sich selbst den Muth gehabt haben, so keck Bücher und Regeln zu ver¬
achten und nur den Genius walten zu lassen, würde er selbst die Formen so
sicher gefunden haben, in die er nun seine Gedanken so frei und leicht ein¬
strömen ließ?

Klopstocks Hymnen nahmen nun freilich vielfach ein wildes, heidnisches
Feuer an. Man fühlte sich keiner irdischen Kraft und Hülfe benöthigt, etwa
dem Sophotleischen Ajas gleich:


Mit Göttcrhülfe mag der Nichtige
Sich Sieg erringen; ich vertraue fest!
Erstreiten werd' ich Ruhm auch ohne sie!

Mehr! wie der Prometheus der griechischen Sage.

"Das productive Talent verließ mich keinen Augenblick. -- Wie ich nun
über diese Naturgabe nachdachte und fand, daß sie mir ganz eigen angehörte
und durch nichts Fremdes weder begünstigt noch gehindert werden könne, so
mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein gründen." Und dann ertönte in
den heiligen Rhythmen Klopstock's von den stolzen und trotzigen Lippen des
"Prometheus" ein wildes Lied:


Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Thränen gehenket
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und Diener?

das Verklungen? nicht wieder zusammenfinden, — oder daß, wenn geschrieben
wurde, das Papier vor der fluthenden Macht des dichterischen Stromes
nicht erst zurecht gerückt werden konnte, daß man die Verse in der Diagonale
quer herunterschrieb, daß man die kritzelnde und schnarrende Feder wegwarf,
die hie und da den Dichter in seinem nachtwandlerischen Thun störte, sondern
nur den Bleistift brauchen konnte, der die Züge so willig hergab wie das
Gemüth die Verse.


Durch Feld und Wald zu streifen,
Mein Liedchen wegznpfeifen,
So ging's von Ort zu Ort.

Konnte für diesen jugendlich trunkenen Schöpfungsdrang ein angenehmerer,
fördernderer Lehrer gedacht werden als der radical emancipirende Herder,
der nichts weiter forderte als empfindungsvolle Improvisationen und für deren
ungehindertste Entfaltung die allerbequemsten Weisen bot. Würde Goethe
aus, sich selbst den Muth gehabt haben, so keck Bücher und Regeln zu ver¬
achten und nur den Genius walten zu lassen, würde er selbst die Formen so
sicher gefunden haben, in die er nun seine Gedanken so frei und leicht ein¬
strömen ließ?

Klopstocks Hymnen nahmen nun freilich vielfach ein wildes, heidnisches
Feuer an. Man fühlte sich keiner irdischen Kraft und Hülfe benöthigt, etwa
dem Sophotleischen Ajas gleich:


Mit Göttcrhülfe mag der Nichtige
Sich Sieg erringen; ich vertraue fest!
Erstreiten werd' ich Ruhm auch ohne sie!

Mehr! wie der Prometheus der griechischen Sage.

„Das productive Talent verließ mich keinen Augenblick. — Wie ich nun
über diese Naturgabe nachdachte und fand, daß sie mir ganz eigen angehörte
und durch nichts Fremdes weder begünstigt noch gehindert werden könne, so
mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein gründen." Und dann ertönte in
den heiligen Rhythmen Klopstock's von den stolzen und trotzigen Lippen des
„Prometheus" ein wildes Lied:


Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Thränen gehenket
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/60>, abgerufen am 05.02.2025.