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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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wollte freilich den Ertrag der jetzigen Einkommensteuer durch ein schärferes
Einschätzungsverfahren erhöht haben. Ein Weg, dessen Beschreidung doch
20mal überlegt sein will, der mit den größten wirthschaftlichen und moralischen
Gefahren verbunden ist, zumal, wenn man nach der Selbstangabe des Ein¬
kommens greift, diesem Fallstrick, in welchem sich alle Dilettanten der Finanz¬
kunst fangen. Wir wünschen die Beibehaltung der Classensteuer unter Weg¬
fall der untersten Stufe. Was aber die Einkommensteuer betrifft, so dürfte
sich als die beste Reform ihre Verschmelzung mit der Gewerbesteuer empfehlen,
mit dem Modus einer periodischen Festsetzung des Gesammtertrages, für
welchen ein zweckmäßiges Repartitionsverfahren -- ohne inquisitorische Er¬
mittelung des individuellen Einkommens mittelst der absolut verwerflichen
Selbstangabe -- wohl zu finden ist.

Der Abg. Richter als Redner der Fortschrittspartei schien nur den Satz
bewähren zu wollen, daß eine Opposition um jeden Preis nicht nur die besten
und richtigsten Regierungsmaßregeln, sondern auch die bis dahin allseitig er¬
heischten anzugreifen die Stirn hat, sobald solche Maßregeln zur That ge¬
worden. Nachdem die Schlacht- und Mahlsteuer seit einem halben Jahrhun¬
dert die heftigsten Klagen hervorgerufen, soll sie auf einmal durchaus nicht
übler sein, als viele andere Steuern. Ihr Wegfall soll die Lebensmittel nicht
billiger machen, in diesen trivialen Vorwurf stimmte auch Herr Virchow ein.
Darauf ist ganz einfach zu sagen, daß. wenn auch die Lebensmittelpreise durch
den Wegfall der Mahl- und Schlachtsteuer vielleicht nicht in sichtbarer Weise
abnehmen, doch unter allen Umständen die fernere ungesunde Entwickelung
dieser Preise nicht mehr befördert wird. Dieser unfehlbare Erfolg reicht hin,
die Maßregel im vollsten Maße zu rechtfertigen.

Was den Werth der theilweisen Classensteuerbefreiung betrifft, so wäre
derselbe schon festgestellt, wenn damit auch weiter nichts erreicht würde, als
die Möglichkeit, durch die nunmehrige Classensteuer die Mahl- und Schlacht¬
steuer überall zu ersetzen. Mit Inbegriff der bisherigen untersten Stufe war
dies in den großen Städten jetzt unmöglich wegen der fluctuirenden Lebensweise
der betreffenden Bevölkerungselemente. Aber auch unmittelbar für diese Ele¬
mente fällt die Erleichterung ins Gewicht; mehr noch, als durch den erlassenen
Geldbetrag, durch den Wegfall des beständigen Verkehrs mit den Steuerbe¬
hörden. Wenn man nun sagt, die Steuer der untersten Stufe sei meistens
von den Lohngebern für ihre Lohnempfänger entrichtet worden, so mag dies
in gewissem Maße wahr sein. Es ist aber lächerlich, den Werth der Erleich¬
terung damit in Abrede stellen zu wollen. In den meisten Fällen werden
die Lohnempfänger ihren Clasfensteuerbetrag als Lohnzulage empfangen, weil
er bisher sast überall ein Lohnabzug war. Es giebt gewiß noch manche
Steuer, deren baldiger Wegfall wünschenswerth ist, aber keine redlich einhieb-


wollte freilich den Ertrag der jetzigen Einkommensteuer durch ein schärferes
Einschätzungsverfahren erhöht haben. Ein Weg, dessen Beschreidung doch
20mal überlegt sein will, der mit den größten wirthschaftlichen und moralischen
Gefahren verbunden ist, zumal, wenn man nach der Selbstangabe des Ein¬
kommens greift, diesem Fallstrick, in welchem sich alle Dilettanten der Finanz¬
kunst fangen. Wir wünschen die Beibehaltung der Classensteuer unter Weg¬
fall der untersten Stufe. Was aber die Einkommensteuer betrifft, so dürfte
sich als die beste Reform ihre Verschmelzung mit der Gewerbesteuer empfehlen,
mit dem Modus einer periodischen Festsetzung des Gesammtertrages, für
welchen ein zweckmäßiges Repartitionsverfahren — ohne inquisitorische Er¬
mittelung des individuellen Einkommens mittelst der absolut verwerflichen
Selbstangabe — wohl zu finden ist.

Der Abg. Richter als Redner der Fortschrittspartei schien nur den Satz
bewähren zu wollen, daß eine Opposition um jeden Preis nicht nur die besten
und richtigsten Regierungsmaßregeln, sondern auch die bis dahin allseitig er¬
heischten anzugreifen die Stirn hat, sobald solche Maßregeln zur That ge¬
worden. Nachdem die Schlacht- und Mahlsteuer seit einem halben Jahrhun¬
dert die heftigsten Klagen hervorgerufen, soll sie auf einmal durchaus nicht
übler sein, als viele andere Steuern. Ihr Wegfall soll die Lebensmittel nicht
billiger machen, in diesen trivialen Vorwurf stimmte auch Herr Virchow ein.
Darauf ist ganz einfach zu sagen, daß. wenn auch die Lebensmittelpreise durch
den Wegfall der Mahl- und Schlachtsteuer vielleicht nicht in sichtbarer Weise
abnehmen, doch unter allen Umständen die fernere ungesunde Entwickelung
dieser Preise nicht mehr befördert wird. Dieser unfehlbare Erfolg reicht hin,
die Maßregel im vollsten Maße zu rechtfertigen.

Was den Werth der theilweisen Classensteuerbefreiung betrifft, so wäre
derselbe schon festgestellt, wenn damit auch weiter nichts erreicht würde, als
die Möglichkeit, durch die nunmehrige Classensteuer die Mahl- und Schlacht¬
steuer überall zu ersetzen. Mit Inbegriff der bisherigen untersten Stufe war
dies in den großen Städten jetzt unmöglich wegen der fluctuirenden Lebensweise
der betreffenden Bevölkerungselemente. Aber auch unmittelbar für diese Ele¬
mente fällt die Erleichterung ins Gewicht; mehr noch, als durch den erlassenen
Geldbetrag, durch den Wegfall des beständigen Verkehrs mit den Steuerbe¬
hörden. Wenn man nun sagt, die Steuer der untersten Stufe sei meistens
von den Lohngebern für ihre Lohnempfänger entrichtet worden, so mag dies
in gewissem Maße wahr sein. Es ist aber lächerlich, den Werth der Erleich¬
terung damit in Abrede stellen zu wollen. In den meisten Fällen werden
die Lohnempfänger ihren Clasfensteuerbetrag als Lohnzulage empfangen, weil
er bisher sast überall ein Lohnabzug war. Es giebt gewiß noch manche
Steuer, deren baldiger Wegfall wünschenswerth ist, aber keine redlich einhieb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/481>, abgerufen am 05.02.2025.