Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Aehnliche Erörterungen ließen sich anknüpfen an die Aeußerungen der Aerttner Kriefe. Zwischen zwei wöchentlichen Briefen ist Vielleicht ist dieser Ruhm ein Entgelt für das, was sonst der Provinz Aehnliche Erörterungen ließen sich anknüpfen an die Aeußerungen der Aerttner Kriefe. Zwischen zwei wöchentlichen Briefen ist Vielleicht ist dieser Ruhm ein Entgelt für das, was sonst der Provinz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192347"/> <p xml:id="ID_173"> Aehnliche Erörterungen ließen sich anknüpfen an die Aeußerungen der<lb/> meisten Zeitungen über Frankreich und Rußland. Auch diesen Staaten<lb/> gegenüber gelangen Sympathien und Antipathien viel mehr zur Haltung als<lb/> die kalte Erwägung unserer deutschen Interessen. Wir gedenken ein andermal<lb/> d<note type="byline"> — > —</note> arauf zurückzukommen. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Aerttner Kriefe.</head><lb/> <p xml:id="ID_174"> Zwischen zwei wöchentlichen Briefen ist<lb/> Zeit genug einen Ausflug zu machen, bei dem man wenig oder nichts ver¬<lb/> säumt, wenn die Politik immer noch, wie heut, obgleich unterdessen der Herbst<lb/> eingezogen ist, Ferien macht. Vor acht Tagen stand das Laub an den Bäumen<lb/> noch fest, heut heult der Sturmwind, mit Regen vermischt, durch die Straßen<lb/> und bedeckt die Trottoirs auf beiden Seiten der Linden mit einem Teppich<lb/> von abgestreiften Blättern, auf welchen der Fuß gleitet, während unendlicher<lb/> Staub 'in den Wolken des Sprühregens beweist! daß trotz alles Wechsels<lb/> der Dinge und trotz aller Cultursortschritte die Mark auch des neuen Reiches<lb/> Streusandbüchse bleibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_175" next="#ID_176"> Vielleicht ist dieser Ruhm ein Entgelt für das, was sonst der Provinz<lb/> versagt ist, welche unter allen Provinzen des preußischen Staates am meisten<lb/> das Uebergewicht der Hauptstadt empfindet. Nicht so. als ob dadurch der<lb/> eigenthümliche Charakter der Provinz verloren ginge, aber es fehlt an einem<lb/> Mittelpunkt, indem sich der natürliche Mittelpunkt zu einem Mittelpunkt des<lb/> ganzen Staates und jetzt des neuen Reiches gestaltet hat. Wie ganz anders<lb/> sieht es in einer wirklichen Provinzialhauptstadt, wie Breslau, aus. Für das<lb/> ganze Land von Oderberg bis Grüneberg ist Breslau noch immer der Mittel-<lb/> und Vereinigungspunkt, gewissermaßen eine erste Instanz, während Berlin<lb/> die zweite ist. In das Abgeordnetenhaus schickt die Provinz 66, in den<lb/> Reichstag 35 Abgeordnete. Das ist allerdings eine schmale Delegation für<lb/> mehr als vierthalb Millionen Schlesier und nicht zu verwundern, wenn<lb/> diese ein starkes Gelüste nach mehr Autonomie haben, als sie jetzt be¬<lb/> sitzen. Sie sind stolz auf ihre Initiative im Jahre 1866, wo sie in der That<lb/> einen Beweis von wahrer Vaterlandsliebe gaben, als sie bei der schwankenden<lb/> Stimmung, welche damals in Preußen herrschte, als die am meisten Gefähr¬<lb/> deten, zuerst ihre Opferwilligkeit bekundeten, und sie haben eine tiefe Idiosyn¬<lb/> krasie gegen Alles, was der Centralisation ähnlich sieht. Vor allen Dingen<lb/> besitzen' sie der Hauptstadt gegenüber nicht eine Spur von jenem Respect,<lb/> welchen selbst der gebildetste und selbständigste Mann in einer französischen<lb/> Provinz Paris ent'gegenträgt, und sie finden sogar Breslau überlegen, so¬<lb/> weit nicht die Einwohnerzahl oder jenes unbestreitbare Uebergewicht in Be¬<lb/> tracht kommt, welches die Anwesenheit einer Centralregierung ausübt. Auch<lb/> ist nicht abzuleugnen, daß eine solche Provinzialhauptstadt gewisse Vor¬<lb/> züge besitzt. Der Standpunkt der großen Masse der Residenzbewohner ist ein<lb/> sehr beschränkter. Die Stadt genügt ihnen vollkommen, über ihre letzten<lb/> Häuser — an die anstoßenden 'Vergnügungsorte — geht ihr Gesichtskreis<lb/> nicht hinweg, während in einer Provinzialhauptstadt'der Verkehr zwischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Aehnliche Erörterungen ließen sich anknüpfen an die Aeußerungen der
meisten Zeitungen über Frankreich und Rußland. Auch diesen Staaten
gegenüber gelangen Sympathien und Antipathien viel mehr zur Haltung als
die kalte Erwägung unserer deutschen Interessen. Wir gedenken ein andermal
d — > — arauf zurückzukommen.
Aerttner Kriefe.
Zwischen zwei wöchentlichen Briefen ist
Zeit genug einen Ausflug zu machen, bei dem man wenig oder nichts ver¬
säumt, wenn die Politik immer noch, wie heut, obgleich unterdessen der Herbst
eingezogen ist, Ferien macht. Vor acht Tagen stand das Laub an den Bäumen
noch fest, heut heult der Sturmwind, mit Regen vermischt, durch die Straßen
und bedeckt die Trottoirs auf beiden Seiten der Linden mit einem Teppich
von abgestreiften Blättern, auf welchen der Fuß gleitet, während unendlicher
Staub 'in den Wolken des Sprühregens beweist! daß trotz alles Wechsels
der Dinge und trotz aller Cultursortschritte die Mark auch des neuen Reiches
Streusandbüchse bleibt.
Vielleicht ist dieser Ruhm ein Entgelt für das, was sonst der Provinz
versagt ist, welche unter allen Provinzen des preußischen Staates am meisten
das Uebergewicht der Hauptstadt empfindet. Nicht so. als ob dadurch der
eigenthümliche Charakter der Provinz verloren ginge, aber es fehlt an einem
Mittelpunkt, indem sich der natürliche Mittelpunkt zu einem Mittelpunkt des
ganzen Staates und jetzt des neuen Reiches gestaltet hat. Wie ganz anders
sieht es in einer wirklichen Provinzialhauptstadt, wie Breslau, aus. Für das
ganze Land von Oderberg bis Grüneberg ist Breslau noch immer der Mittel-
und Vereinigungspunkt, gewissermaßen eine erste Instanz, während Berlin
die zweite ist. In das Abgeordnetenhaus schickt die Provinz 66, in den
Reichstag 35 Abgeordnete. Das ist allerdings eine schmale Delegation für
mehr als vierthalb Millionen Schlesier und nicht zu verwundern, wenn
diese ein starkes Gelüste nach mehr Autonomie haben, als sie jetzt be¬
sitzen. Sie sind stolz auf ihre Initiative im Jahre 1866, wo sie in der That
einen Beweis von wahrer Vaterlandsliebe gaben, als sie bei der schwankenden
Stimmung, welche damals in Preußen herrschte, als die am meisten Gefähr¬
deten, zuerst ihre Opferwilligkeit bekundeten, und sie haben eine tiefe Idiosyn¬
krasie gegen Alles, was der Centralisation ähnlich sieht. Vor allen Dingen
besitzen' sie der Hauptstadt gegenüber nicht eine Spur von jenem Respect,
welchen selbst der gebildetste und selbständigste Mann in einer französischen
Provinz Paris ent'gegenträgt, und sie finden sogar Breslau überlegen, so¬
weit nicht die Einwohnerzahl oder jenes unbestreitbare Uebergewicht in Be¬
tracht kommt, welches die Anwesenheit einer Centralregierung ausübt. Auch
ist nicht abzuleugnen, daß eine solche Provinzialhauptstadt gewisse Vor¬
züge besitzt. Der Standpunkt der großen Masse der Residenzbewohner ist ein
sehr beschränkter. Die Stadt genügt ihnen vollkommen, über ihre letzten
Häuser — an die anstoßenden 'Vergnügungsorte — geht ihr Gesichtskreis
nicht hinweg, während in einer Provinzialhauptstadt'der Verkehr zwischen
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