Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Stadt und Land ein unendlich regerer und anregenderer ist. Die Doppellebigkeit Die Einheit der Race, das starke monarchische Gefühl, die ruhmbedeckte Von Breslau fährt man jetzt in zehn oder zwölf Stunden (je nach der Hoffentlich kommt diese Enthüllung noch nicht zu spät, um einige Gegen¬ Verantwortlicher Redacteur: t)i-. HimS Blum. Verlag von A. L. Hersiill. -- Druck von Hiithel H Le^lor in Leipzig. Stadt und Land ein unendlich regerer und anregenderer ist. Die Doppellebigkeit Die Einheit der Race, das starke monarchische Gefühl, die ruhmbedeckte Von Breslau fährt man jetzt in zehn oder zwölf Stunden (je nach der Hoffentlich kommt diese Enthüllung noch nicht zu spät, um einige Gegen¬ Verantwortlicher Redacteur: t)i-. HimS Blum. Verlag von A. L. Hersiill. — Druck von Hiithel H Le^lor in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192348"/> <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175"> Stadt und Land ein unendlich regerer und anregenderer ist. Die Doppellebigkeit<lb/> in Stadt und Land ist das Geheimniß der politischen Bildung überhaupt,<lb/> wie sich namentlich in England zeigt. Jede Existenz, die auf den einen oder<lb/> den anderen Aufenthalt beschränkt ist, wird einseitig. Der Landmann (im<lb/> weitesten Sinne des Worts) verrennt sich in enge, kleinherzige Ideen, der<lb/> Städter, soweit er nicht bloß dem Gewinn nachjagt, verliert sich in Specula-<lb/> tionen, ohne jede Rücksicht auf die thatsächlichen Verhältnisse, an welchen sich<lb/> bekanntermaßen die kühnsten Gedanken sehr unangenehm stoßen. Weil eine<lb/> landbesitzende Aristokratie die Vortheile beider Lebensweisen vereint, weil sie<lb/> aus dem väterlichen Boden Kraft und Bestimmtheit saugt, und wiederum in<lb/> der Stadt sich im regsten Verkehr mit den politischen und geistigen Interessen<lb/> halten kann, hat sie ein unbestreitbares Uebergewicht über die andern Stände,<lb/> welches sie nur durch grobe Fehler verlieren kann. Es dauert vielleicht eine<lb/> Zeit, wo sich bei uns das Streben nach provinzieller Autonomie stärker gel¬<lb/> tend macht, als bisher der Fall gewesen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_177"> Die Einheit der Race, das starke monarchische Gefühl, die ruhmbedeckte<lb/> Armee sind Gegengewichte, welche jede Gefahr der Centrifugalität verhüten,<lb/> und wie die Verhältnisse in Preußen liegen, ist nur zu wünschen, daß die<lb/> Provinzen sich zu immer größerer Selbstständigkeit entwickeln. Der Proceß<lb/> wird zugleich den anderen der Verschmelzung der deutschen Staaten erleichtern,<lb/> für dessen glücklichen Vollzug durchaus nothwendig ist, daß die nöthige Ein¬<lb/> heit das eigene Leben, welches in den Einzelstaaten, fast bis auf die kleinsten<lb/> herab, pulsirt, nicht zerstört.</p><lb/> <p xml:id="ID_178"> Von Breslau fährt man jetzt in zehn oder zwölf Stunden (je nach der<lb/> Schnelligkeit der verschiedenen Züge) bis Prag. Die Route ist schön, be¬<lb/> sonders in dem schlesischen Bergwerksreviere und dann weiter von Liebau aus<lb/> auf böhmischen Boden, wo die Eisenbahn an den Schlachtfeldern des Jahres<lb/> 1866 vorbei, durch das von Skalitz sogar hindurch führt. In Prag feierten<lb/> die Czechen grade das Fest ihres Landespatrons, des heiligen Wenzel. Unter<lb/> zehn Läden war vielleicht einer geöffnet und die Stadt wimmelte von Land¬<lb/> leuten, welche nach dem Hradsch'in wallfahrteten. wo die Wenzelskapelle im<lb/> Dome Sanct Veit dicht gefüllt war (es gehört nicht viel dazu) und nach dem<lb/> Roßmarkt, wo vor der mit einer Kapelle überbauten Statue des Heiligen<lb/> geistliche Lieder gesungen wurden. Wenn die Deutschen nicht etwa Alle in<lb/> Teplitz waren, wo an demselben Tage (28.) eine große Demonstrativnsver-<lb/> sammlung stattfand, so müssen sie sehr kleinlaut sein. Uebrigens kann man<lb/> es den Czechen nicht verdenken, wenn sie die Herren in Prag sein wollen, denn<lb/> die Stadt ist verführerisch schön. Nur etwas zu politisch. Ich glaube, in<lb/> London und Paris werden nicht so viel Zeitungen gelesen, wie dort. Dafür<lb/> ist man auch auf dem Laufenden der höhern und' höchsten Politik und die<lb/> czechischen Politiker sind mittheilsam. Aus dem Munde eines solchen habe<lb/> ich erfahren, daß demnächst dem armseligen deutschen Reich mit seinen 40<lb/> Millionen Seelen ein Slavenreich von 140 Millionen entgegengestellt werden<lb/> wird, vor welchem jenes in ein bodenloses Nichts versinken muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_179"> Hoffentlich kommt diese Enthüllung noch nicht zu spät, um einige Gegen¬<lb/> maßregeln zu treffen. Doch würden sie'— nach czechischer Ansicht, den über¬<lb/> wältigenden Thatsachen gegenüber durchaus vergeblich sein und wir haben<lb/> also nur so lange Frist bis — das Slavenreich zu Stande gekommen ist,<lb/><note type="byline"> — v. —</note> was doch vielleicht noch eine Zeit dauert. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: t)i-. HimS Blum.<lb/> Verlag von A. L. Hersiill. — Druck von Hiithel H Le^lor in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
Stadt und Land ein unendlich regerer und anregenderer ist. Die Doppellebigkeit
in Stadt und Land ist das Geheimniß der politischen Bildung überhaupt,
wie sich namentlich in England zeigt. Jede Existenz, die auf den einen oder
den anderen Aufenthalt beschränkt ist, wird einseitig. Der Landmann (im
weitesten Sinne des Worts) verrennt sich in enge, kleinherzige Ideen, der
Städter, soweit er nicht bloß dem Gewinn nachjagt, verliert sich in Specula-
tionen, ohne jede Rücksicht auf die thatsächlichen Verhältnisse, an welchen sich
bekanntermaßen die kühnsten Gedanken sehr unangenehm stoßen. Weil eine
landbesitzende Aristokratie die Vortheile beider Lebensweisen vereint, weil sie
aus dem väterlichen Boden Kraft und Bestimmtheit saugt, und wiederum in
der Stadt sich im regsten Verkehr mit den politischen und geistigen Interessen
halten kann, hat sie ein unbestreitbares Uebergewicht über die andern Stände,
welches sie nur durch grobe Fehler verlieren kann. Es dauert vielleicht eine
Zeit, wo sich bei uns das Streben nach provinzieller Autonomie stärker gel¬
tend macht, als bisher der Fall gewesen ist.
Die Einheit der Race, das starke monarchische Gefühl, die ruhmbedeckte
Armee sind Gegengewichte, welche jede Gefahr der Centrifugalität verhüten,
und wie die Verhältnisse in Preußen liegen, ist nur zu wünschen, daß die
Provinzen sich zu immer größerer Selbstständigkeit entwickeln. Der Proceß
wird zugleich den anderen der Verschmelzung der deutschen Staaten erleichtern,
für dessen glücklichen Vollzug durchaus nothwendig ist, daß die nöthige Ein¬
heit das eigene Leben, welches in den Einzelstaaten, fast bis auf die kleinsten
herab, pulsirt, nicht zerstört.
Von Breslau fährt man jetzt in zehn oder zwölf Stunden (je nach der
Schnelligkeit der verschiedenen Züge) bis Prag. Die Route ist schön, be¬
sonders in dem schlesischen Bergwerksreviere und dann weiter von Liebau aus
auf böhmischen Boden, wo die Eisenbahn an den Schlachtfeldern des Jahres
1866 vorbei, durch das von Skalitz sogar hindurch führt. In Prag feierten
die Czechen grade das Fest ihres Landespatrons, des heiligen Wenzel. Unter
zehn Läden war vielleicht einer geöffnet und die Stadt wimmelte von Land¬
leuten, welche nach dem Hradsch'in wallfahrteten. wo die Wenzelskapelle im
Dome Sanct Veit dicht gefüllt war (es gehört nicht viel dazu) und nach dem
Roßmarkt, wo vor der mit einer Kapelle überbauten Statue des Heiligen
geistliche Lieder gesungen wurden. Wenn die Deutschen nicht etwa Alle in
Teplitz waren, wo an demselben Tage (28.) eine große Demonstrativnsver-
sammlung stattfand, so müssen sie sehr kleinlaut sein. Uebrigens kann man
es den Czechen nicht verdenken, wenn sie die Herren in Prag sein wollen, denn
die Stadt ist verführerisch schön. Nur etwas zu politisch. Ich glaube, in
London und Paris werden nicht so viel Zeitungen gelesen, wie dort. Dafür
ist man auch auf dem Laufenden der höhern und' höchsten Politik und die
czechischen Politiker sind mittheilsam. Aus dem Munde eines solchen habe
ich erfahren, daß demnächst dem armseligen deutschen Reich mit seinen 40
Millionen Seelen ein Slavenreich von 140 Millionen entgegengestellt werden
wird, vor welchem jenes in ein bodenloses Nichts versinken muß.
Hoffentlich kommt diese Enthüllung noch nicht zu spät, um einige Gegen¬
maßregeln zu treffen. Doch würden sie'— nach czechischer Ansicht, den über¬
wältigenden Thatsachen gegenüber durchaus vergeblich sein und wir haben
also nur so lange Frist bis — das Slavenreich zu Stande gekommen ist,
— v. — was doch vielleicht noch eine Zeit dauert.
Verantwortlicher Redacteur: t)i-. HimS Blum.
Verlag von A. L. Hersiill. — Druck von Hiithel H Le^lor in Leipzig.
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