Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.damals schon sehen oder voraussetzen konnte, Persönlichkeit und Politik des Nichtsdestoweniger hofften die Humanisten noch immer auf eine mögliche Bon der ungeheueren Erregung des deutschen Volkes in jenen Tagen Von Woche zu Woche steigerte sich während des Reichstages die Auf¬ damals schon sehen oder voraussetzen konnte, Persönlichkeit und Politik des Nichtsdestoweniger hofften die Humanisten noch immer auf eine mögliche Bon der ungeheueren Erregung des deutschen Volkes in jenen Tagen Von Woche zu Woche steigerte sich während des Reichstages die Auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192763"/> <p xml:id="ID_1678" prev="#ID_1677"> damals schon sehen oder voraussetzen konnte, Persönlichkeit und Politik des<lb/> jungen Kaisers.</p><lb/> <p xml:id="ID_1679"> Nichtsdestoweniger hofften die Humanisten noch immer auf eine mögliche<lb/> Wendung zu ihnen: sie drängten mit Vorschlägen, mit Gutachten und Schriften<lb/> sich an ihn heran. Ja es sah so aus, als ob auch gegen Karls Willen die<lb/> Bewegungspartei, so sehr sie für das Kaiserthum schwärmte, ihre Gedanken<lb/> zu verwirklichen beabsichtige: eine revolutionäre Erhebung der Nation, falls<lb/> der Kaiser sich den nationalen Wünschen entgegensetzen wollte, stand in Aussicht.<lb/> Und Hütten war der Mann, der alles zum Ausbruch, zur Entscheidung zu<lb/> bringen wiederholt versprochen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1680"> Bon der ungeheueren Erregung des deutschen Volkes in jenen Tagen<lb/> legen heute die oben erwähnten Depeschen des römischen Nuntius ein neues<lb/> Zeugniß ab. Aleander sah, daß jetzt in Deutschland sich die Anhänger<lb/> Reuchlin's und Erasmus' mit den Freunden Luthers verschworen hatten ; gleich¬<lb/> zeitig aber unterschied er sehr deutlich und bestimmt die nationale, antirömische<lb/> Erregung von der eigentlich religiösen Frage; immer und immer wieder drängt<lb/> er darauf, daß man den berechtigten Factor des deutschen Nationalgefühles<lb/> anerkennen, alle Mißgriffe vermeiden, alle Mißbräuche der kirchlichen Praxis<lb/> abstellen müsse: nur indem man in dieser Weise die lutherische Ketzerei isolire,<lb/> würde man sie überwältigen und ausrotten können. Gegen Hütten richtete<lb/> sich dabei sein heftigster Zorn, Huttens Drohworte hatten ja auch die persön¬<lb/> liche Sicherheit Aleanders auf seiner deutschen Reise angegriffen: von allerlei<lb/> Anschlägen, von allerlei Aufruhrgedanken Huttens erfuhr Aleander. Während<lb/> des Reichstages saß Hütten bei Sickingen auf der Ebernburg, unweit von<lb/> Worms, wie auf einer Warte, um den Vorgängen auf dem Reichstag zu<lb/> folgen, den geeigneten Augenblick zum Losschlagen zu erspähen und das Signal<lb/> zu geben zur gewaltsamen Erhebung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1681" next="#ID_1682"> Von Woche zu Woche steigerte sich während des Reichstages die Auf¬<lb/> regung. Man sah ein, nicht mehr um Luther allein, sondern um einen Um¬<lb/> sturz, eine radicale Aenderung aller Verhältnisse in Staat und Kirche handelte<lb/> es sich, ja Aleander in seiner kühlen Erwägung und Berechnung der wirk¬<lb/> lichen Lage der Dinge glaubte zu wissen: neun Zehntel des damaligen Volkes<lb/> ständen auf Seiten Luthers, und das zehnte Zehntel sei auch antirömisch ge¬<lb/> sinnt. Als Führer der Neuerung galten ihm Luther und Hütten: den Vor¬<lb/> kämpfern christlicher Freiheit, ein-istnun« lidertAtis ?ropuFimt.0i'idu8, beiden<lb/> gemeinsam waren bildliche Darstellungen gewidmet: Luther mit einem Buche,<lb/> Hütten mit einem Schwerte, so sah der Nuntius sie ihren Verehrern vorge¬<lb/> stellt. Von Hütten wurde ihm die Aeußerung erzählt, wenn Luther tausend¬<lb/> mal getödtet sei, so würden dafür hundert neue Luther aufstehen: man arg¬<lb/> wöhnte. Huttens Ehrgeiz wünsche die erste Rolle sich selbst zuzutheilen, wenn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
damals schon sehen oder voraussetzen konnte, Persönlichkeit und Politik des
jungen Kaisers.
Nichtsdestoweniger hofften die Humanisten noch immer auf eine mögliche
Wendung zu ihnen: sie drängten mit Vorschlägen, mit Gutachten und Schriften
sich an ihn heran. Ja es sah so aus, als ob auch gegen Karls Willen die
Bewegungspartei, so sehr sie für das Kaiserthum schwärmte, ihre Gedanken
zu verwirklichen beabsichtige: eine revolutionäre Erhebung der Nation, falls
der Kaiser sich den nationalen Wünschen entgegensetzen wollte, stand in Aussicht.
Und Hütten war der Mann, der alles zum Ausbruch, zur Entscheidung zu
bringen wiederholt versprochen hatte.
Bon der ungeheueren Erregung des deutschen Volkes in jenen Tagen
legen heute die oben erwähnten Depeschen des römischen Nuntius ein neues
Zeugniß ab. Aleander sah, daß jetzt in Deutschland sich die Anhänger
Reuchlin's und Erasmus' mit den Freunden Luthers verschworen hatten ; gleich¬
zeitig aber unterschied er sehr deutlich und bestimmt die nationale, antirömische
Erregung von der eigentlich religiösen Frage; immer und immer wieder drängt
er darauf, daß man den berechtigten Factor des deutschen Nationalgefühles
anerkennen, alle Mißgriffe vermeiden, alle Mißbräuche der kirchlichen Praxis
abstellen müsse: nur indem man in dieser Weise die lutherische Ketzerei isolire,
würde man sie überwältigen und ausrotten können. Gegen Hütten richtete
sich dabei sein heftigster Zorn, Huttens Drohworte hatten ja auch die persön¬
liche Sicherheit Aleanders auf seiner deutschen Reise angegriffen: von allerlei
Anschlägen, von allerlei Aufruhrgedanken Huttens erfuhr Aleander. Während
des Reichstages saß Hütten bei Sickingen auf der Ebernburg, unweit von
Worms, wie auf einer Warte, um den Vorgängen auf dem Reichstag zu
folgen, den geeigneten Augenblick zum Losschlagen zu erspähen und das Signal
zu geben zur gewaltsamen Erhebung.
Von Woche zu Woche steigerte sich während des Reichstages die Auf¬
regung. Man sah ein, nicht mehr um Luther allein, sondern um einen Um¬
sturz, eine radicale Aenderung aller Verhältnisse in Staat und Kirche handelte
es sich, ja Aleander in seiner kühlen Erwägung und Berechnung der wirk¬
lichen Lage der Dinge glaubte zu wissen: neun Zehntel des damaligen Volkes
ständen auf Seiten Luthers, und das zehnte Zehntel sei auch antirömisch ge¬
sinnt. Als Führer der Neuerung galten ihm Luther und Hütten: den Vor¬
kämpfern christlicher Freiheit, ein-istnun« lidertAtis ?ropuFimt.0i'idu8, beiden
gemeinsam waren bildliche Darstellungen gewidmet: Luther mit einem Buche,
Hütten mit einem Schwerte, so sah der Nuntius sie ihren Verehrern vorge¬
stellt. Von Hütten wurde ihm die Aeußerung erzählt, wenn Luther tausend¬
mal getödtet sei, so würden dafür hundert neue Luther aufstehen: man arg¬
wöhnte. Huttens Ehrgeiz wünsche die erste Rolle sich selbst zuzutheilen, wenn
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