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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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nur das Volk ihm so wie Luther anhängen wollte. Auf Sickingen zählte
die revolutionäre Partei als auf ihren Führer zur That; heimlich hoffte man
aber noch manche der großen Fürsten auf seiner Seite zu haben. Genug, zur
Revolution schien Alles reif zu sein. Oft geschildert ist der Jubel, mit dem
das Volk allenthalben Luther auf seiner Reise zum Reichstag begrüßte: schon
daß man ihn dorthin gerufen, faßte man als gute Vorbedeutung auf. An
Zuspruch, an Ermunterung fehlte es Luther nicht: ihm wuchs der Muth,
seinen Freunden die Zuversicht, daß man einer guten Entscheidung sich
nahe.

Die kaiserliche Staatskunst war nicht ohne Besorgniß solchen Ereignissen
gegenüber. Man sah sich in Worms einem Handstreiche der Umsturzpartei
ausgesetzt; man war nicht mächtig genug, mit Gewalt diese Verhältnisse zu
beherrschen und die Gegner nieder zu halten: man mußte "temporisiren."
Einen Augenblick dachten gerade die ernsten kirchlichen Spanier daran, zur Re¬
form der allgemeinen Kirche die deutschen Wirren zu benutzen: eine Anknüpfung
sogar mit den Häuptern der Bewegung hat der kaiserliche Beichtvater gewagt.
Das erwies sich bald als eine Illusion. Und mochte nun auch des jungen
Kaisers Sinn auf rasche und energische Beendigung der kirchlichen Controverse
sich richten, es war unmöglich, dort in Worms den geraden Weg zu diesem
Ziele zu gehen. Man begnügte sich einstweilen mit dem bekannten Wormser
Edicte; man ließ zunächst die deutschen Dinge laufen, und hoffte von der
Zeit die Lösung des in Worms ungelösten Problemes. Es ist hier Nicht der
Ort, den Erwägungen und Manövern, den Aufgaben und den Resultaten
der kaiserlichen Politik Karls V. weiter nachzugehen.

Hier erhebt sich für uns aber noch eine andere Frage. Jenes Drängen
der Revolution, jener Anschlag Huttens: was ist aus allen diesen Plänen ge¬
worden ? Ungern hatten die Kaiserlichen Luther von Worms wieder heimkehren
lassen, sie hatten aus Scheu vor der populären Leidenschaft, aus Rücksicht auf
Sickingens und der Seinen drohende Haltung, vielleicht auch unter dem Ein¬
druck von Huttens unheilschwangeren Brandschriften nicht den Hanostreich ge¬
sagt, der den Knoten zerschnitten. So viel wenigstens war erreicht. Aber
Waren außerdem alle die Gerüchte der bevorstehenden allgemeinen Revolution
übertrieben? waren es nichts als leere Worte, die Hütten in die Welt ge¬
schleudert? Einen dunklen Punkt in diesen Geschichten, in Huttens Leben be¬
rühren wir mit dieser Frage. Genug, es kam damals zu nichts. Hütten
schmähete und donnerte und drohte, -- ohne daß die pomphaft angekündigte
That folgte. Seine Gegner haben gewiß nur allzusehr Recht mit ihrem Ur¬
theile, -- der Historiker wird es unterschreiben müssen -- Hütten gehört zu
^'n "Hunden, welche bellen, aber nicht beißen."

Das Gewitter, das über Deutschland geschwebt, hatte sich nicht entladen.


nur das Volk ihm so wie Luther anhängen wollte. Auf Sickingen zählte
die revolutionäre Partei als auf ihren Führer zur That; heimlich hoffte man
aber noch manche der großen Fürsten auf seiner Seite zu haben. Genug, zur
Revolution schien Alles reif zu sein. Oft geschildert ist der Jubel, mit dem
das Volk allenthalben Luther auf seiner Reise zum Reichstag begrüßte: schon
daß man ihn dorthin gerufen, faßte man als gute Vorbedeutung auf. An
Zuspruch, an Ermunterung fehlte es Luther nicht: ihm wuchs der Muth,
seinen Freunden die Zuversicht, daß man einer guten Entscheidung sich
nahe.

Die kaiserliche Staatskunst war nicht ohne Besorgniß solchen Ereignissen
gegenüber. Man sah sich in Worms einem Handstreiche der Umsturzpartei
ausgesetzt; man war nicht mächtig genug, mit Gewalt diese Verhältnisse zu
beherrschen und die Gegner nieder zu halten: man mußte „temporisiren."
Einen Augenblick dachten gerade die ernsten kirchlichen Spanier daran, zur Re¬
form der allgemeinen Kirche die deutschen Wirren zu benutzen: eine Anknüpfung
sogar mit den Häuptern der Bewegung hat der kaiserliche Beichtvater gewagt.
Das erwies sich bald als eine Illusion. Und mochte nun auch des jungen
Kaisers Sinn auf rasche und energische Beendigung der kirchlichen Controverse
sich richten, es war unmöglich, dort in Worms den geraden Weg zu diesem
Ziele zu gehen. Man begnügte sich einstweilen mit dem bekannten Wormser
Edicte; man ließ zunächst die deutschen Dinge laufen, und hoffte von der
Zeit die Lösung des in Worms ungelösten Problemes. Es ist hier Nicht der
Ort, den Erwägungen und Manövern, den Aufgaben und den Resultaten
der kaiserlichen Politik Karls V. weiter nachzugehen.

Hier erhebt sich für uns aber noch eine andere Frage. Jenes Drängen
der Revolution, jener Anschlag Huttens: was ist aus allen diesen Plänen ge¬
worden ? Ungern hatten die Kaiserlichen Luther von Worms wieder heimkehren
lassen, sie hatten aus Scheu vor der populären Leidenschaft, aus Rücksicht auf
Sickingens und der Seinen drohende Haltung, vielleicht auch unter dem Ein¬
druck von Huttens unheilschwangeren Brandschriften nicht den Hanostreich ge¬
sagt, der den Knoten zerschnitten. So viel wenigstens war erreicht. Aber
Waren außerdem alle die Gerüchte der bevorstehenden allgemeinen Revolution
übertrieben? waren es nichts als leere Worte, die Hütten in die Welt ge¬
schleudert? Einen dunklen Punkt in diesen Geschichten, in Huttens Leben be¬
rühren wir mit dieser Frage. Genug, es kam damals zu nichts. Hütten
schmähete und donnerte und drohte, — ohne daß die pomphaft angekündigte
That folgte. Seine Gegner haben gewiß nur allzusehr Recht mit ihrem Ur¬
theile, — der Historiker wird es unterschreiben müssen — Hütten gehört zu
^'n „Hunden, welche bellen, aber nicht beißen."

Das Gewitter, das über Deutschland geschwebt, hatte sich nicht entladen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/463>, abgerufen am 05.02.2025.