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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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recht begriffen, wenn es in dem Zusammenhang des Großen angeschaut wird.
Gerade bei diesem Abschnitt muß man bedauern, daß Strauß seine Er¬
zählung allzusehr auf die Huttenbiographie einschränkt.

Ja, ein böser Zufall hat verschuldet, daß etwa ein halbes Jahr zu
früh die zweite Auflage vollendet ist. Die Berichte des päpstlichen Nuntius
Ale an der, deren Publication kürzlich erfolgt ist,") würden dem Biographen
Hutten's noch werthvolles Material zugeführt haben; und gerade in der eben
bemerkten Richtung würde vielleicht Strauß selbst zu einer Vervollständigung
oder zu der nöthigen Vollendung seiner Arbeit durch sie veranlaßt worden
ein. Erörtern wir ganz kurz die Tragweite dieser neuen Quelle für die uns
interessirende Frage.

Welche Entwickelung Hütten bis dahin durchgemacht, ist bekannt. In
der Schule der damals frisch erblühenden humanistischen Bildung war Hütten
erzogen und herangewachsen: in diese Welt antiker Studien hatte er sich aus
dem Kloster geflüchtet, in Deutschland und in Italien lernend und dichtend
sich umhergetummelt, ein halb ritterlicher, halb literarischer Streiter, der nach
verschiedenen Seiten hin gerade in literarischer Polemik seine Befriedigung ge¬
funden. Eine eigentlich praktische Lebensaufgabe hatte er sich nicht gestellt:
obwohl arm an Mitteln und reich an Bedürfnissen des Lebensgenusses, war
ihm doch möglich, seine Freiheit sich zu bewahren und nur den allgemeinen
Tendenzen der Aufklärung und Bildung in einer äußerlich wenig gebundenen
Stellung zu dienen. In allen seinen Schriften hatte sich ein feuriger, leiden¬
schaftlicher Geist offenbart, ein hoher und starker Patriotismus, ein erregtes
und begeistertes Pathos: einerlei, was im einzelnen Falle gerade das Object
seiner Schriftstellern sein mochte, ein allgemeiner Zug nach Freiheit ist überall
das charakteristische Merkmal. Als die deutschen Humanisten alle ihre Waffen
und ihre Künste aufboten, dem von den Dunkelmännern befehdeten Reuchlin
beizuspringen und eine öffentliche Meinung zu seinen Gunsten gegen Domini¬
kaner und Ketzerrichter zu schaffen, da stand Ulrich von Hütten in der ersten
Reihe der Kämpfer; mit Spott und mit Ernst trat er für Reuchlin ein: die
massivsten Keulenschläge auf die Finsterlinge kamen von ihm. Schon in
diesen Händeln hatte sein Geist die definitive Richtung gegen die in der da¬
maligen Kirche herrschenden Gewalten erhalten. Und mit dieser Gegnerschaft
verband sich auf das Natürlichste in ihm sein patriotisch deutsches Gefühl:
von der beschämenden und das geistige Leben erdrückenden Knechtschaft der
Deutschen unter der italischen Geistlichkeit, von dem Joche Roms seine



*) Friedrich, Der Reichstag zu Worms im Jahre 1521. Nach den Briefen des päpst¬
lichen Nuntius Hieronymus Aleander. sAbhandlungen der Bayr. Akademie der Wissenschaften.
1871.)

recht begriffen, wenn es in dem Zusammenhang des Großen angeschaut wird.
Gerade bei diesem Abschnitt muß man bedauern, daß Strauß seine Er¬
zählung allzusehr auf die Huttenbiographie einschränkt.

Ja, ein böser Zufall hat verschuldet, daß etwa ein halbes Jahr zu
früh die zweite Auflage vollendet ist. Die Berichte des päpstlichen Nuntius
Ale an der, deren Publication kürzlich erfolgt ist,") würden dem Biographen
Hutten's noch werthvolles Material zugeführt haben; und gerade in der eben
bemerkten Richtung würde vielleicht Strauß selbst zu einer Vervollständigung
oder zu der nöthigen Vollendung seiner Arbeit durch sie veranlaßt worden
ein. Erörtern wir ganz kurz die Tragweite dieser neuen Quelle für die uns
interessirende Frage.

Welche Entwickelung Hütten bis dahin durchgemacht, ist bekannt. In
der Schule der damals frisch erblühenden humanistischen Bildung war Hütten
erzogen und herangewachsen: in diese Welt antiker Studien hatte er sich aus
dem Kloster geflüchtet, in Deutschland und in Italien lernend und dichtend
sich umhergetummelt, ein halb ritterlicher, halb literarischer Streiter, der nach
verschiedenen Seiten hin gerade in literarischer Polemik seine Befriedigung ge¬
funden. Eine eigentlich praktische Lebensaufgabe hatte er sich nicht gestellt:
obwohl arm an Mitteln und reich an Bedürfnissen des Lebensgenusses, war
ihm doch möglich, seine Freiheit sich zu bewahren und nur den allgemeinen
Tendenzen der Aufklärung und Bildung in einer äußerlich wenig gebundenen
Stellung zu dienen. In allen seinen Schriften hatte sich ein feuriger, leiden¬
schaftlicher Geist offenbart, ein hoher und starker Patriotismus, ein erregtes
und begeistertes Pathos: einerlei, was im einzelnen Falle gerade das Object
seiner Schriftstellern sein mochte, ein allgemeiner Zug nach Freiheit ist überall
das charakteristische Merkmal. Als die deutschen Humanisten alle ihre Waffen
und ihre Künste aufboten, dem von den Dunkelmännern befehdeten Reuchlin
beizuspringen und eine öffentliche Meinung zu seinen Gunsten gegen Domini¬
kaner und Ketzerrichter zu schaffen, da stand Ulrich von Hütten in der ersten
Reihe der Kämpfer; mit Spott und mit Ernst trat er für Reuchlin ein: die
massivsten Keulenschläge auf die Finsterlinge kamen von ihm. Schon in
diesen Händeln hatte sein Geist die definitive Richtung gegen die in der da¬
maligen Kirche herrschenden Gewalten erhalten. Und mit dieser Gegnerschaft
verband sich auf das Natürlichste in ihm sein patriotisch deutsches Gefühl:
von der beschämenden und das geistige Leben erdrückenden Knechtschaft der
Deutschen unter der italischen Geistlichkeit, von dem Joche Roms seine



*) Friedrich, Der Reichstag zu Worms im Jahre 1521. Nach den Briefen des päpst¬
lichen Nuntius Hieronymus Aleander. sAbhandlungen der Bayr. Akademie der Wissenschaften.
1871.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/458>, abgerufen am 11.02.2025.