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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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geäußert, daß in der Controverse über die Dunkelmännerbriefe der größere Um¬
fang, in welchem Kampschulte seine Studien betrieben, in den von Strauß
abweichenden Puncten jenem das Uebergewicht verschafft habe. Es erfreut zu
sehen, daß Strauß selbst, nachdem er Kampschulte's Forschungen seinerseits
zu verwerthen im Stande war, die Streitpuncte meistens dadurch aus dem
Wege räumt, daß er sich jetzt an Kampschulte anschließt. Außerdem war von
derselben Seite, und mit vollem Rechte wie wir glauben, bemerkt, daß Strauß
den Antheil Hutten's an Luther's Auftreten im Jahre 1520 vernachlässigt
habe, obwohl das unleugbar der bei weitem folgenreichste Theil seiner ganzen
Wirksamkeit gewesen sei. Die Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen des
seltsamen Triumvirates -- Hütten, Crotus, Luther -- die agitatorische
Wirksamkeit dieser so ungleichen Naturen, die damals auf denselben Ton ge¬
stimmt waren, dies merkwürdige Bild, von dem freilich die üblichen Darstel¬
lungen der Reformation in theologischen Händen kaum eine Ahnung zusahen
scheinen, dies war durch Kampschulte 1860 gewissermaßen neu entdeckt, jeden¬
falls von ihm zuerst erfolgreich bewiesen worden. Auch Strauß hat sich
diesem neuen Lichte zugänglich gezeigt: die früher getadelte Lücke seines Buches
füllt er jetzt theilweise aus; und im Anschluß an Kampschulte, wenn auch
ausdrücklich Strauß dies hervorzuheben unterläßt, stellt er jetzt Luther und
Hütten in ein präciser formulirtes Verhältniß zu einander. Eine Anzahl von
Einschiebseln und Zusätzen zu dem früheren Texte, z. B. S. 306, 308, 327.
336 u. s. w., verdanken diesem Umstände ihren Ursprung.

Jene Jahre, in welchen Hütten und Luther auf dasselbe Ziel hinzuarbei¬
ten schienen, die Jahre 1520 und 1321, sie bilden den Höhepunct des Hutten-
schen Lebens: alles, was er wollte und dachte und vermochte, vereinigt sich in
dem Brennpuncte jener Tage; und der Wormser Reichstag im Frühjahr 1521
enthält die eigentliche Krisis seines Lebens: bis dahin geht es fröhlich bergan
mit seinem Streben und seinem Thun; von da ab fällt er mehr und mehr in
Bedeutungslosigkeit und Unfruchtbarkeit herab. Strauß hat den aufsteigenden
Theil dieses Lebens mit einer solchen Kunst und einer solchen Ueberzeugungs¬
kraft geschildert, daß jede nachfolgende Darstellung an ihn sich anzuschließen gut
thun wird. Fraglicher dagegen erscheint uns, ob den jähen Wechsel, der
"ach der Katastrophe von 1521 eingetreten ist, Strauß genügend betont und
den matten und traurigen Auslauf des so stolz und hoffnungsvoll begonne¬
nen Lebens wirklich erschöpfend erklärt habe. Jener Wormser Reichstag ent¬
halt mehr als die Entscheidung über Hutten's Lebensgeschick, er enthält auch
mehr als jene welthistorischen Scenen, die Luther's Namen unsterblich ge¬
macht haben: er enthält die Lösung der nationalen Zukunft von Deutschland
tur die nächsten Jahrhunderte. Hutten's Schicksal ist freilich ein kleines neben
^eher ungeheueren Entscheidung; aber das kleine Ereigniß wird erst dann


geäußert, daß in der Controverse über die Dunkelmännerbriefe der größere Um¬
fang, in welchem Kampschulte seine Studien betrieben, in den von Strauß
abweichenden Puncten jenem das Uebergewicht verschafft habe. Es erfreut zu
sehen, daß Strauß selbst, nachdem er Kampschulte's Forschungen seinerseits
zu verwerthen im Stande war, die Streitpuncte meistens dadurch aus dem
Wege räumt, daß er sich jetzt an Kampschulte anschließt. Außerdem war von
derselben Seite, und mit vollem Rechte wie wir glauben, bemerkt, daß Strauß
den Antheil Hutten's an Luther's Auftreten im Jahre 1520 vernachlässigt
habe, obwohl das unleugbar der bei weitem folgenreichste Theil seiner ganzen
Wirksamkeit gewesen sei. Die Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen des
seltsamen Triumvirates — Hütten, Crotus, Luther — die agitatorische
Wirksamkeit dieser so ungleichen Naturen, die damals auf denselben Ton ge¬
stimmt waren, dies merkwürdige Bild, von dem freilich die üblichen Darstel¬
lungen der Reformation in theologischen Händen kaum eine Ahnung zusahen
scheinen, dies war durch Kampschulte 1860 gewissermaßen neu entdeckt, jeden¬
falls von ihm zuerst erfolgreich bewiesen worden. Auch Strauß hat sich
diesem neuen Lichte zugänglich gezeigt: die früher getadelte Lücke seines Buches
füllt er jetzt theilweise aus; und im Anschluß an Kampschulte, wenn auch
ausdrücklich Strauß dies hervorzuheben unterläßt, stellt er jetzt Luther und
Hütten in ein präciser formulirtes Verhältniß zu einander. Eine Anzahl von
Einschiebseln und Zusätzen zu dem früheren Texte, z. B. S. 306, 308, 327.
336 u. s. w., verdanken diesem Umstände ihren Ursprung.

Jene Jahre, in welchen Hütten und Luther auf dasselbe Ziel hinzuarbei¬
ten schienen, die Jahre 1520 und 1321, sie bilden den Höhepunct des Hutten-
schen Lebens: alles, was er wollte und dachte und vermochte, vereinigt sich in
dem Brennpuncte jener Tage; und der Wormser Reichstag im Frühjahr 1521
enthält die eigentliche Krisis seines Lebens: bis dahin geht es fröhlich bergan
mit seinem Streben und seinem Thun; von da ab fällt er mehr und mehr in
Bedeutungslosigkeit und Unfruchtbarkeit herab. Strauß hat den aufsteigenden
Theil dieses Lebens mit einer solchen Kunst und einer solchen Ueberzeugungs¬
kraft geschildert, daß jede nachfolgende Darstellung an ihn sich anzuschließen gut
thun wird. Fraglicher dagegen erscheint uns, ob den jähen Wechsel, der
"ach der Katastrophe von 1521 eingetreten ist, Strauß genügend betont und
den matten und traurigen Auslauf des so stolz und hoffnungsvoll begonne¬
nen Lebens wirklich erschöpfend erklärt habe. Jener Wormser Reichstag ent¬
halt mehr als die Entscheidung über Hutten's Lebensgeschick, er enthält auch
mehr als jene welthistorischen Scenen, die Luther's Namen unsterblich ge¬
macht haben: er enthält die Lösung der nationalen Zukunft von Deutschland
tur die nächsten Jahrhunderte. Hutten's Schicksal ist freilich ein kleines neben
^eher ungeheueren Entscheidung; aber das kleine Ereigniß wird erst dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/457>, abgerufen am 05.02.2025.