Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.daß man einem Menschen auf Erden göttliche Attribute beilegt und den alten Die bedeutendste Rede der ganzen Verhandlung war diejenige des Abge¬ Wir kommen zu dem letzten wichtigen Berathungsgegenstand dieser Ses¬ daß man einem Menschen auf Erden göttliche Attribute beilegt und den alten Die bedeutendste Rede der ganzen Verhandlung war diejenige des Abge¬ Wir kommen zu dem letzten wichtigen Berathungsgegenstand dieser Ses¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192706"/> <p xml:id="ID_1476" prev="#ID_1475"> daß man einem Menschen auf Erden göttliche Attribute beilegt und den alten<lb/> Gott zum Statthalter im Himmel degradirt,"</p><lb/> <p xml:id="ID_1477"> Die bedeutendste Rede der ganzen Verhandlung war diejenige des Abge¬<lb/> ordneten Gneist bei der dritten Lesung. Gegen den Vorwurf des Ausnahme¬<lb/> gesetzes erwiderte er. wie denn der Staat Obrigkeiten, denn das sind die<lb/> Diener der Kirche, an dem Mißbrauch ihrer Amtsgewalt anders hindern solle,<lb/> «is durch ein besonderes Strafgesetz, wenn er über sie keine Disciplinargewalt<lb/> hat, und wenn sie als Obrigkeiten gleichwohl nicht in derselben Weise dem<lb/> Gesetz unterliegen, wie Privatpersonen. Er sagte, der Begriff des Gesetzes<lb/> sei nicht der, die gemeinen Verbrechen zu hindern, der wahre Begriff desselben<lb/> sei vielmehr, jede gegebene Freiheit mit den Schranken zu umgeben, welche<lb/> den äußeren Frieden und das bürgerliche Zusammenleben regeln. Dies sei<lb/> unverzeihlicher Weise versäumt worden, als man 18-18 die katholische Kirche,<lb/> die größte und mächtigste Körperschaft der Welt, von jeder staatlichen Aufsicht<lb/> entband. Das Wunderbare an dem gegenwärtigen Gesetz ist nicht sein Er¬<lb/> scheinen, sondern daß es erst nach dreiundzwanzig Jahren erscheint. Im alten<lb/> deutschen Reich wurden solche Normen immer gehandhabt. Jahrhunderte lang<lb/> ertrugen die geistlichen Fürsten den Gedanken, daß sie dem'weltlichen Richter<lb/> verantwortlich für Friedensbruch. Wir setzen hinzu, daß damals freilich der<lb/> Papst sich die Gewalt anmaßte, von dem Gehorsam gegen den Träger der<lb/> Staatsgewalt zu entbinden. Und doch war dies noch nicht die Anmaßung,<lb/> die Kirche, selbst in Bezug auf den äußeren Frieden, außerhalb des Staats¬<lb/> gesetzes zu stellen. Diese Anmaßung ist vielmehr ein Erzeugnis? der neueren<lb/> Zeit. Der Redner zählt auf, wie der Klerus Presse und Vereinsfreiheit, sowie<lb/> die Unzufriedenheit der arbeitenden Klassen für seine Zwecke ausgebeutet habe.<lb/> »Immerhin, alle klugen Parteien benutzten ihre Mittel, aber Sie combiniren<lb/> diesen Apparat mit der Autorität Ihrer Kirche und decken ihn mit ihr. Da¬<lb/> für beanspruchen Sie die Garantie der Coneordate. Aber solche Dinge als<lb/> kirchliche Mittel zu betrachten ist unchristlich, irreligiös. Die wahre Religion<lb/> gebietet uns die Verdammung solcher Mittel. Der Staat muß Gewalt über<lb/> die Confessionen haben, wenn er den Frieden der gemischten Bevöl¬<lb/> kerungen vertheidigen soll. Diesem Gesetz müssen daher andere<lb/> folgen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1478"> Wir kommen zu dem letzten wichtigen Berathungsgegenstand dieser Ses¬<lb/> sion, zur Verlängerung des Pauschquantums der Heeresausgaben bis zum<lb/> Ende des Jahres 1874. Die Reichsregierung hatte die Verlängerung des mit<lb/> dem Ende dieses Jahres ablaufenden Pauschquantums nur auf das Jahr<lb/> 1872 beantragt. Als aber aus der Mitte des Reichstages das Anerbieten<lb/> kam, in eine Verlängerung auf 3 Jahre zu willigen, nahm die Regierung<lb/> dasselbe an. Hier muß nun Ihr Berichterstatter bekennen, Kab er sich nicht<lb/> als Propheten bewährt hat. Am 16. October schrieb ich unter dem Eindruck<lb/> der Thronrede: Es sei vor dem Erscheinen der Thronrede auf manchen Seiten<lb/> der Wunsch rege gewesen, die Reichsregierung möge die Verlängerung des<lb/> pauschquantums auf 3 Jahre beantragen. Statt dessen kündige die Thron¬<lb/> rede diese Verlängerung nur auf das Jahr 1872 an. Ich fügte hinzu, der<lb/> Aufschub einer definitiven Feststellung der Militärausgaven bis zum Jahre<lb/> ^874 würde den Bestand der Armee" recht eigentlich zur Wahlfrage machen.<lb/> Der Wunsch, dieses bequeme Agitationsmittel'für die Wahlen/ die'spätestens<lb/> Frühjahr 1874 stattfinden müssen, zu gewinnen, habe den Gedanken des<lb/> ?."f 3 Jahre zu verlängernden Pauschquantums eingegeben, wozu noch die Ab¬<lb/> sicht komme, die definitive Bewilligung der Heeresausgaben möglichst von den<lb/> glorreichen Siegen der Jahre 1870 und 1871 hinwegzurücken. '</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
daß man einem Menschen auf Erden göttliche Attribute beilegt und den alten
Gott zum Statthalter im Himmel degradirt,"
Die bedeutendste Rede der ganzen Verhandlung war diejenige des Abge¬
ordneten Gneist bei der dritten Lesung. Gegen den Vorwurf des Ausnahme¬
gesetzes erwiderte er. wie denn der Staat Obrigkeiten, denn das sind die
Diener der Kirche, an dem Mißbrauch ihrer Amtsgewalt anders hindern solle,
«is durch ein besonderes Strafgesetz, wenn er über sie keine Disciplinargewalt
hat, und wenn sie als Obrigkeiten gleichwohl nicht in derselben Weise dem
Gesetz unterliegen, wie Privatpersonen. Er sagte, der Begriff des Gesetzes
sei nicht der, die gemeinen Verbrechen zu hindern, der wahre Begriff desselben
sei vielmehr, jede gegebene Freiheit mit den Schranken zu umgeben, welche
den äußeren Frieden und das bürgerliche Zusammenleben regeln. Dies sei
unverzeihlicher Weise versäumt worden, als man 18-18 die katholische Kirche,
die größte und mächtigste Körperschaft der Welt, von jeder staatlichen Aufsicht
entband. Das Wunderbare an dem gegenwärtigen Gesetz ist nicht sein Er¬
scheinen, sondern daß es erst nach dreiundzwanzig Jahren erscheint. Im alten
deutschen Reich wurden solche Normen immer gehandhabt. Jahrhunderte lang
ertrugen die geistlichen Fürsten den Gedanken, daß sie dem'weltlichen Richter
verantwortlich für Friedensbruch. Wir setzen hinzu, daß damals freilich der
Papst sich die Gewalt anmaßte, von dem Gehorsam gegen den Träger der
Staatsgewalt zu entbinden. Und doch war dies noch nicht die Anmaßung,
die Kirche, selbst in Bezug auf den äußeren Frieden, außerhalb des Staats¬
gesetzes zu stellen. Diese Anmaßung ist vielmehr ein Erzeugnis? der neueren
Zeit. Der Redner zählt auf, wie der Klerus Presse und Vereinsfreiheit, sowie
die Unzufriedenheit der arbeitenden Klassen für seine Zwecke ausgebeutet habe.
»Immerhin, alle klugen Parteien benutzten ihre Mittel, aber Sie combiniren
diesen Apparat mit der Autorität Ihrer Kirche und decken ihn mit ihr. Da¬
für beanspruchen Sie die Garantie der Coneordate. Aber solche Dinge als
kirchliche Mittel zu betrachten ist unchristlich, irreligiös. Die wahre Religion
gebietet uns die Verdammung solcher Mittel. Der Staat muß Gewalt über
die Confessionen haben, wenn er den Frieden der gemischten Bevöl¬
kerungen vertheidigen soll. Diesem Gesetz müssen daher andere
folgen."
Wir kommen zu dem letzten wichtigen Berathungsgegenstand dieser Ses¬
sion, zur Verlängerung des Pauschquantums der Heeresausgaben bis zum
Ende des Jahres 1874. Die Reichsregierung hatte die Verlängerung des mit
dem Ende dieses Jahres ablaufenden Pauschquantums nur auf das Jahr
1872 beantragt. Als aber aus der Mitte des Reichstages das Anerbieten
kam, in eine Verlängerung auf 3 Jahre zu willigen, nahm die Regierung
dasselbe an. Hier muß nun Ihr Berichterstatter bekennen, Kab er sich nicht
als Propheten bewährt hat. Am 16. October schrieb ich unter dem Eindruck
der Thronrede: Es sei vor dem Erscheinen der Thronrede auf manchen Seiten
der Wunsch rege gewesen, die Reichsregierung möge die Verlängerung des
pauschquantums auf 3 Jahre beantragen. Statt dessen kündige die Thron¬
rede diese Verlängerung nur auf das Jahr 1872 an. Ich fügte hinzu, der
Aufschub einer definitiven Feststellung der Militärausgaven bis zum Jahre
^874 würde den Bestand der Armee" recht eigentlich zur Wahlfrage machen.
Der Wunsch, dieses bequeme Agitationsmittel'für die Wahlen/ die'spätestens
Frühjahr 1874 stattfinden müssen, zu gewinnen, habe den Gedanken des
?."f 3 Jahre zu verlängernden Pauschquantums eingegeben, wozu noch die Ab¬
sicht komme, die definitive Bewilligung der Heeresausgaben möglichst von den
glorreichen Siegen der Jahre 1870 und 1871 hinwegzurücken. '
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |