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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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"Warm Sie es?" antwortete auch er: -- "Nein, Fräulein." -- "Besinnen
Sie sich," setzte ich hinzu, "Sie wurden beide während des Vorfalls in der
Nähe des Teiches gesehen." -- "Ja," erwiederte der Ulan. "Kraft und ich
waren beide heute Morgen da, doch da war das Unglück schon geschehen.
Ich gebe Ihnen als Soldat mein Ehrenwort, daß ich es nicht war." Dabei
richtete er sich auf und sah sich furchtlos mit seinen glänzenden blauen Augen
um. -- "Nun gut," sagte ich, "und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß
wenn binnen vier und zwanzig Stunden keiner schuldig zu sein gesteht, keiner
unter Ihnen während drei Tagen Cigarren bekommt", dann ging ich fort.
Noch vor Abend hörte ich an meine Thüre klopfen: "Herein!" Der
Ulan stand vor mir, die rechte Hand salutirend an die Stirne gelegt --
"Entschuldigen Sie, Fräulein, wir haben ausfindig gemacht, wer die Röhre
zerbrochen hat; es war Henkel, einer der ostpreußischen Duckmäuser." --
"Gut," sagte ich; "der Stabsarzt wird das Ganze ordnen; ich bin froh, daß
Sie es nicht waren." -- "Und ich auch" sagte er. salutirte, und ging fort.
Ich hörte nur noch das Geklirr seiner schweren Sporen.

Das nächste Mal, als uns der Delegirte einen Besuch abstattete, brachte
er den Oberchirurgen und den Inspector aller Hospitäler mit; glücklicherweise
war es an einem Sonnabend -- wo alles gescheuert war; der Tag war sehr
schön, und auf dem Flur glänzten die gut gescheuerten Marmorplatten und
Estrichs und das polirte Metall. Der preußische Officier konnte nicht genug
des Lobes sagen, und sein bestes Englisch strömte, von seinen Lippen. Er
theilte uns auch mit, daß der Waffenstillstand um fünf Tage verlängert wor¬
den wäre; und daß, da jetzt wahrscheinlich der Frieden geschlossen, unsere
Spitäler keine Kranken mehr aufnehmen, sondern im Laufe von 14 Tagen
geschlossen und die Leute nach Hause geschickt werden würden. Am sel¬
ben Abend, als ich gerade Fleisch für die Patienten schnitt, kam der Stabs¬
arzt in die Küche und sagte Folgendes zu mir: "Da sich die Zahl unserer
Patienten sehr vermindert hat und Herr Müller jetzt schon wieder umhergehen
kann, so ist kein Grund vorhanden, weßhalb Sie nicht die paar Tage, wie Sie
redlich verdienen, frei bekommen sollten. Wir wollen deßwegen den kleinen Ausflug
nach Versailles, welchen ich schon seit drei Wochen vorhatte, zur Ausführung
bringen und morgen früh abreisen. Der Wagen wird um vier Uhr dreißig
Minuten morgen früh bereit sein; denn wir müssen bei Zeiten gehen, da wir
eine lange Reise vor uns haben; sorgen Sie gütigst für Essen für uns, den
Kutscher und den Burschen." Ich hatte nur wenig Zeit, besonders da ich
noch verschiedene Befehle zu geben, Papiere zu schreiben und meine"
"Sonntagsstaat" in einen kleinen Koffer zu packen hatte; aber ich war zu erregt,
um schlafen zu können. Um halb vier am nächsten Morgen, nachdem w>r
vorher eine Tasse Kaffee getrunken hatten, saßen wir im Wagen. Es war


„Warm Sie es?" antwortete auch er: — „Nein, Fräulein." — „Besinnen
Sie sich," setzte ich hinzu, „Sie wurden beide während des Vorfalls in der
Nähe des Teiches gesehen." — „Ja," erwiederte der Ulan. „Kraft und ich
waren beide heute Morgen da, doch da war das Unglück schon geschehen.
Ich gebe Ihnen als Soldat mein Ehrenwort, daß ich es nicht war." Dabei
richtete er sich auf und sah sich furchtlos mit seinen glänzenden blauen Augen
um. — „Nun gut," sagte ich, „und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß
wenn binnen vier und zwanzig Stunden keiner schuldig zu sein gesteht, keiner
unter Ihnen während drei Tagen Cigarren bekommt", dann ging ich fort.
Noch vor Abend hörte ich an meine Thüre klopfen: „Herein!" Der
Ulan stand vor mir, die rechte Hand salutirend an die Stirne gelegt —
„Entschuldigen Sie, Fräulein, wir haben ausfindig gemacht, wer die Röhre
zerbrochen hat; es war Henkel, einer der ostpreußischen Duckmäuser." —
„Gut," sagte ich; „der Stabsarzt wird das Ganze ordnen; ich bin froh, daß
Sie es nicht waren." — „Und ich auch" sagte er. salutirte, und ging fort.
Ich hörte nur noch das Geklirr seiner schweren Sporen.

Das nächste Mal, als uns der Delegirte einen Besuch abstattete, brachte
er den Oberchirurgen und den Inspector aller Hospitäler mit; glücklicherweise
war es an einem Sonnabend — wo alles gescheuert war; der Tag war sehr
schön, und auf dem Flur glänzten die gut gescheuerten Marmorplatten und
Estrichs und das polirte Metall. Der preußische Officier konnte nicht genug
des Lobes sagen, und sein bestes Englisch strömte, von seinen Lippen. Er
theilte uns auch mit, daß der Waffenstillstand um fünf Tage verlängert wor¬
den wäre; und daß, da jetzt wahrscheinlich der Frieden geschlossen, unsere
Spitäler keine Kranken mehr aufnehmen, sondern im Laufe von 14 Tagen
geschlossen und die Leute nach Hause geschickt werden würden. Am sel¬
ben Abend, als ich gerade Fleisch für die Patienten schnitt, kam der Stabs¬
arzt in die Küche und sagte Folgendes zu mir: „Da sich die Zahl unserer
Patienten sehr vermindert hat und Herr Müller jetzt schon wieder umhergehen
kann, so ist kein Grund vorhanden, weßhalb Sie nicht die paar Tage, wie Sie
redlich verdienen, frei bekommen sollten. Wir wollen deßwegen den kleinen Ausflug
nach Versailles, welchen ich schon seit drei Wochen vorhatte, zur Ausführung
bringen und morgen früh abreisen. Der Wagen wird um vier Uhr dreißig
Minuten morgen früh bereit sein; denn wir müssen bei Zeiten gehen, da wir
eine lange Reise vor uns haben; sorgen Sie gütigst für Essen für uns, den
Kutscher und den Burschen." Ich hatte nur wenig Zeit, besonders da ich
noch verschiedene Befehle zu geben, Papiere zu schreiben und meine»
„Sonntagsstaat" in einen kleinen Koffer zu packen hatte; aber ich war zu erregt,
um schlafen zu können. Um halb vier am nächsten Morgen, nachdem w>r
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/354>, abgerufen am 06.02.2025.