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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Schmidt böse Worte wechseln hörte, und als ich hinging, um die Ursache zu
erfahren, den Polen (der grade einen halben Tag frei gehabt hatte) in einem
gradezu hoffnungslosen Zustand der Betrunkenheit fand. Da er nun wegen
seines guten Benehmens und allerlei kleiner Dienste, die er mir gethan
hatte, oft ein Glas Schnaps oder Cigarren von mir bekommen hatte,
schmeichelte ich mir, daß ein sanftes Wort ihn bewegen könne, fortzugehen.
Doch ich irrte mich: und da alles umsonst war, wurde er von zwei Kame¬
raden fortgebracht und ins Bett gelegt. Am anderen Morgen klopfte es
leise an die Thüre und herein trat Jetzoreck ganz blaß und zerstört. --
,,O Fräulein" sagte er, "ich habe drei Tage Arrest, doch ehe ich fortgehe,
wollte ich Sie noch bitten, mir meine Grobheit in letzter Nacht zu verzeihen."
-- "Aber wie kommt es," fragte ich, "daß grade Sie sich betrinken?" --
"Nun," sagte er und drehte dabei seine Mütze in der Hand herum und sah
beschämt unter sich, "damit verhält es sich so: als ich gestern Morgen in die
Stadt ging, fand ich einen Brief von meiner Frau vor, die mir die Geburt
des fünften Kindes mittheilte. Dies trieb mich in die Kneipe, wo ich ein
Glas Schnaps trank." -- "Es thut mir sehr leid, Jetzoreck, und ich hoffe
es wird nicht mehr vorkommen." Ich vergaß ganz, ihn zu fragen, ob die
Verzweiflung oder die Freude den jungen Familienvater zu der Flasche ge>
trieben hatte!

Nach einigen Tagen wurde ein anderer Missethäter ermittelt. Der
Gärtner beklagte sich nämlich bei mir darüber, daß einer der Patienten die
Werke an einem der Teiche zerbrochen hätte und dadurch alles Wasser aus
demselben wäre. -- "Sahen Sie es Jemand thun?" fragte ich. -- "Nein,
aber kurz nachdem ich es bemerkt hatte, sah ich zwei von ihnen an dem Teiche
stehen -- das waren sie gewiß." -- "Wer war es, können Sie es mir sagen?"
"Der große schöne Mann mit dem blauen Rocke und dem blassen Gesicht
und der Baier mit der Narbe unter dem Auge."

Zwei meiner Lieblinge! Einer von ihnen war mein Ulan! Ich folgte
^in Gärtner, um zu sehen, was angerichtet worden war und ging dann
schweren Herzens um die zwei Menschen aufzufinden. Als ich in den Kranken¬
saal kam, ließ ich mir den "Zimmercommandanten" rufen; doch dieser
nutzte noch nichts. Sollte ich die Leute selbst fragen? -- ..Einer von Ihnen
^t einen Teich so ruinirt, daß das Wasser ausgelaufen ist." sagte ich; "das
'se ein muthwilliges Zerstören von fremdem Eigenthum, und Sie sollten sich
schämen noch in den letzten Tagen den Franzosen das Recht eingeräumt zu
baben, über Ihren Vandalismus zu klagen; wer von Ihnen that es?" Sie
sahen sich untereinander an, und der Ulan schien etwas blaß zu werden;
"^er keiner sprach. - "Waren Sie es", fragte ich den Baiern. - "Nein.
Fräulein", antwortete er sehr fest. Dann als ich den Ulanen fragte: --


"Kreuzt'oder 17. 1871. 114

Schmidt böse Worte wechseln hörte, und als ich hinging, um die Ursache zu
erfahren, den Polen (der grade einen halben Tag frei gehabt hatte) in einem
gradezu hoffnungslosen Zustand der Betrunkenheit fand. Da er nun wegen
seines guten Benehmens und allerlei kleiner Dienste, die er mir gethan
hatte, oft ein Glas Schnaps oder Cigarren von mir bekommen hatte,
schmeichelte ich mir, daß ein sanftes Wort ihn bewegen könne, fortzugehen.
Doch ich irrte mich: und da alles umsonst war, wurde er von zwei Kame¬
raden fortgebracht und ins Bett gelegt. Am anderen Morgen klopfte es
leise an die Thüre und herein trat Jetzoreck ganz blaß und zerstört. —
,,O Fräulein" sagte er, „ich habe drei Tage Arrest, doch ehe ich fortgehe,
wollte ich Sie noch bitten, mir meine Grobheit in letzter Nacht zu verzeihen."
— „Aber wie kommt es," fragte ich, „daß grade Sie sich betrinken?" —
„Nun," sagte er und drehte dabei seine Mütze in der Hand herum und sah
beschämt unter sich, „damit verhält es sich so: als ich gestern Morgen in die
Stadt ging, fand ich einen Brief von meiner Frau vor, die mir die Geburt
des fünften Kindes mittheilte. Dies trieb mich in die Kneipe, wo ich ein
Glas Schnaps trank." — „Es thut mir sehr leid, Jetzoreck, und ich hoffe
es wird nicht mehr vorkommen." Ich vergaß ganz, ihn zu fragen, ob die
Verzweiflung oder die Freude den jungen Familienvater zu der Flasche ge>
trieben hatte!

Nach einigen Tagen wurde ein anderer Missethäter ermittelt. Der
Gärtner beklagte sich nämlich bei mir darüber, daß einer der Patienten die
Werke an einem der Teiche zerbrochen hätte und dadurch alles Wasser aus
demselben wäre. — „Sahen Sie es Jemand thun?" fragte ich. — „Nein,
aber kurz nachdem ich es bemerkt hatte, sah ich zwei von ihnen an dem Teiche
stehen — das waren sie gewiß." — „Wer war es, können Sie es mir sagen?"
„Der große schöne Mann mit dem blauen Rocke und dem blassen Gesicht
und der Baier mit der Narbe unter dem Auge."

Zwei meiner Lieblinge! Einer von ihnen war mein Ulan! Ich folgte
^in Gärtner, um zu sehen, was angerichtet worden war und ging dann
schweren Herzens um die zwei Menschen aufzufinden. Als ich in den Kranken¬
saal kam, ließ ich mir den „Zimmercommandanten" rufen; doch dieser
nutzte noch nichts. Sollte ich die Leute selbst fragen? — ..Einer von Ihnen
^t einen Teich so ruinirt, daß das Wasser ausgelaufen ist." sagte ich; „das
'se ein muthwilliges Zerstören von fremdem Eigenthum, und Sie sollten sich
schämen noch in den letzten Tagen den Franzosen das Recht eingeräumt zu
baben, über Ihren Vandalismus zu klagen; wer von Ihnen that es?" Sie
sahen sich untereinander an, und der Ulan schien etwas blaß zu werden;
"^er keiner sprach. - „Waren Sie es", fragte ich den Baiern. - „Nein.
Fräulein", antwortete er sehr fest. Dann als ich den Ulanen fragte: —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/353>, abgerufen am 05.02.2025.