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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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natürlich noch ganz dunkel, doch als wir nach Sceaux kamen, schien die
Sonne glänzend. So oft der Kutscher zweifelhaft war, welchen Weg er
nehmen solle, nahmen wir die große Karte zu Hülfe, die ich damals im Zim¬
mer des Stabsarztes gesehen hatte. Es war eine jener vielgenannten de-
taillirten Karten (ein Stück der Generalstabskarte) des feindlichen Landes,
welche die Preußen besitzen, und welche so genau sind, daß sie selbst Seiten¬
wege, die die Einheimischen kaum kennen, angeben. In Sceaux stiegen wir
aus, ließen den Wagen hinter uns drein fahren und gingen durch Bagneux
nach "Fontenay nur Rohes." Da waren die Vorposten der bayrischen Ar¬
tillerie während der Belagerung; und man kann sich kaum verwüsteter" und
einsamere Dörfer denken. Die Batterien, die rings um die Höhen (wo jetzt
Alles still war) aufgepflanzt waren und die Kasematten und Gräben zeigten
noch die Spuren, wie die von den Forts Jssy und Vanvres herkommenden
Bomben die Erde aufwühlten. Das Straßenpflaster war ganz herausgerissen
und einige Häuser von oben bis unten zerstört. Selbst die Mairie, eines
der größten und ansehnlichsten Gebäude, welches jetzt zu einem Spital umge¬
wandelt war, auf dessen Dache eine Fahne mit dem rothen Kreuze wehte,
war nicht verschont geblieben; und die Verwundeten, die hier aufgenommen
worden waren, mußten in entferntere Orte getragen werden. In Chatillon
war die Verwüstung nicht so furchtbar; wahrscheinlich hatten die Franzosen,
"och ehe sie dem Bombardement ihrer eigenen Geschütze ausgesetzt waren und
fliehen mußten, an die Achtung gedacht, welche die Preußen allen Häusern,
die nicht von ihren Eigenthümern verlassen sind, zollen; denn an vielen Thüren
stand: "Compagnie I., t Officier. 9 Mann", "I. Jägerbataillon 18 Mann", oder
"Feldcommcmdo", an anderen Thüren war mit großen Lettern angeschrieben,
daß sie "UiU8vu Imditee" oder ohne Rücksicht auf Orthographie, daß sie
"U-Üizou ü bitten par 1v xropMtaire" wären. Hier nahmen wir uns einige
Bombensplitter mit, die in die Straßenecken gefegt waren. Von Chatillon
nach dem Fort Jssy brauchten wir den Weg, der auf unserer Landkarte be¬
zeichnet war und welcher quer über die Felder führte; wir zogen ihn deßhalb
^'M weiten Umwege um Vanvres herum vor. Wir kamen dicht an diesem
Fort vorbei, welches mit seinem neuen Erdwerk so von Kugeln und Bomben
durchwühlt war, daß es wie ein Ameisenhaufen aussah, in welchen man
Zahllose Steinchen geschleudert. Als wir nahe bei Jssy waren, stießen wir
plötzlich auf ein Hinderniß, welches uns in Gestalt eines großen, tiefen Gra¬
els, welcher mit leeren Schanzkörben gefüllt, und eines Dammes, der nur
durch f^sah aufgeworfene Erde gebildet war, entgegentrat. Wir hätten den
Graben leeren lassen und dann sammt unseren Pferden, wenn wir aufge¬
sessen hätten, auf den Damm klettern können; allein mit den Pferden, die
'dren schweren Brougham an den Fersen hängen hatten, war es doch eine


natürlich noch ganz dunkel, doch als wir nach Sceaux kamen, schien die
Sonne glänzend. So oft der Kutscher zweifelhaft war, welchen Weg er
nehmen solle, nahmen wir die große Karte zu Hülfe, die ich damals im Zim¬
mer des Stabsarztes gesehen hatte. Es war eine jener vielgenannten de-
taillirten Karten (ein Stück der Generalstabskarte) des feindlichen Landes,
welche die Preußen besitzen, und welche so genau sind, daß sie selbst Seiten¬
wege, die die Einheimischen kaum kennen, angeben. In Sceaux stiegen wir
aus, ließen den Wagen hinter uns drein fahren und gingen durch Bagneux
nach „Fontenay nur Rohes." Da waren die Vorposten der bayrischen Ar¬
tillerie während der Belagerung; und man kann sich kaum verwüsteter« und
einsamere Dörfer denken. Die Batterien, die rings um die Höhen (wo jetzt
Alles still war) aufgepflanzt waren und die Kasematten und Gräben zeigten
noch die Spuren, wie die von den Forts Jssy und Vanvres herkommenden
Bomben die Erde aufwühlten. Das Straßenpflaster war ganz herausgerissen
und einige Häuser von oben bis unten zerstört. Selbst die Mairie, eines
der größten und ansehnlichsten Gebäude, welches jetzt zu einem Spital umge¬
wandelt war, auf dessen Dache eine Fahne mit dem rothen Kreuze wehte,
war nicht verschont geblieben; und die Verwundeten, die hier aufgenommen
worden waren, mußten in entferntere Orte getragen werden. In Chatillon
war die Verwüstung nicht so furchtbar; wahrscheinlich hatten die Franzosen,
»och ehe sie dem Bombardement ihrer eigenen Geschütze ausgesetzt waren und
fliehen mußten, an die Achtung gedacht, welche die Preußen allen Häusern,
die nicht von ihren Eigenthümern verlassen sind, zollen; denn an vielen Thüren
stand: „Compagnie I., t Officier. 9 Mann", „I. Jägerbataillon 18 Mann", oder
"Feldcommcmdo", an anderen Thüren war mit großen Lettern angeschrieben,
daß sie „UiU8vu Imditee" oder ohne Rücksicht auf Orthographie, daß sie
»U-Üizou ü bitten par 1v xropMtaire" wären. Hier nahmen wir uns einige
Bombensplitter mit, die in die Straßenecken gefegt waren. Von Chatillon
nach dem Fort Jssy brauchten wir den Weg, der auf unserer Landkarte be¬
zeichnet war und welcher quer über die Felder führte; wir zogen ihn deßhalb
^'M weiten Umwege um Vanvres herum vor. Wir kamen dicht an diesem
Fort vorbei, welches mit seinem neuen Erdwerk so von Kugeln und Bomben
durchwühlt war, daß es wie ein Ameisenhaufen aussah, in welchen man
Zahllose Steinchen geschleudert. Als wir nahe bei Jssy waren, stießen wir
plötzlich auf ein Hinderniß, welches uns in Gestalt eines großen, tiefen Gra¬
els, welcher mit leeren Schanzkörben gefüllt, und eines Dammes, der nur
durch f^sah aufgeworfene Erde gebildet war, entgegentrat. Wir hätten den
Graben leeren lassen und dann sammt unseren Pferden, wenn wir aufge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/355>, abgerufen am 06.02.2025.