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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Von den Göttingern dichtete Balladen vorzüglich Fritz Stolberg'


In der Väter Halle ruhte
Ritter Rudolf's Hcldmarm;
Rudolf, den die Schlacht erfreute,
Rudolf, welchen Frankreich scheute
Und der Sarazenen Schwarm.

Aber er ist ohne Söhne; seine Erbin ist "Agnes mit den goldnen Locken";
es liebt sie "Albrecht mit der offnen Stirne"; und er wird wieder geliebt:


Aber Horst, der hundert Krieger
Unterhielt im eignen Sold,
Rühmte seines Stammes Ahnen
Prangte mit erfochtuen Fahnen,
Und der nater war ihm hold.

Ein Zweikampf kann den Streit allein entscheiden; die Jungfrau folgt
demselben mit ängstlichem Blicke,


-- Sah den edlen Albrecht sinken,
Sank wie Albrecht und erblich. --

Auch Lieder sinden sich bei den Göttingern nach Herders Anregung und
Bürgers Vorgang ein. Hölty: "Der Schnee zerrinnt"; "Die Luft ist blau,
das Thal ist grün"; "Mir träumt', ich wär' ein Vögelein"; "Ueb' immer
Treu' und Redlichkeit". Miller: "Was frag' ich viel nach Geld und Gut."
Fr. Stolberg: "Sohn, da hast du meinen Speer". Voß: "Seht den Himmel
wie heiter"; "Willkommen im Grünen, der Himmel ist blau." Der von Voß
seit 1776 weiter geführte Musenalmanach brachte denn auch die allbekannten,
unendlich oft gesungenen "Lieder" von Claudius: "Bekränzt mit Laub den
lieben vollen Becher"; "Der Mond ist ausgegangen"; letzteres nahm auch
Herder in seine "Volkslieder" auf. Und wie viel Andere -- man denke z. B.
an den Maler Müller und Schubart -- verlassen den Klopstock'schen Kothurn,
die Klopstock'sche Seraphik! --

Bürger fiel später hier und da wieder in den alten burlesken Ton zurück;
man kennt die Weiber von Weinsberg, Frau Schnips, Gedichte voll obscöner
und roher Ausdrücke.

Auch in der echten, reinen Ballade konnte er sich nicht immer frei halten
von Unflath; der Zug seines Gemüths, der ihn überhaupt befähigte, sicher
und fest den von Herder geforderten populären Ton zu treffen (und nicht,
wie Gleim, bloß zu affectiren), artete bei ihm gern, es war die Folge einer
gewissen Unbändigkeit und Wüstheit der Natur, in's Plebejische aus.

Es ^se bekannt, wie an dieser Stelle ihn später tief einschneidend und
verwundert Schillers Kritik in der Jenaer Literatur-Zeitung 1791 traf. Der
Kritiker, welcher seinerseits durch rastlose Arbeit an sich selbst von rohen und
ungebärdigen Anfängen zu reiner Kunstidealität sich geläutert hatte, machte


Von den Göttingern dichtete Balladen vorzüglich Fritz Stolberg'


In der Väter Halle ruhte
Ritter Rudolf's Hcldmarm;
Rudolf, den die Schlacht erfreute,
Rudolf, welchen Frankreich scheute
Und der Sarazenen Schwarm.

Aber er ist ohne Söhne; seine Erbin ist „Agnes mit den goldnen Locken";
es liebt sie „Albrecht mit der offnen Stirne"; und er wird wieder geliebt:


Aber Horst, der hundert Krieger
Unterhielt im eignen Sold,
Rühmte seines Stammes Ahnen
Prangte mit erfochtuen Fahnen,
Und der nater war ihm hold.

Ein Zweikampf kann den Streit allein entscheiden; die Jungfrau folgt
demselben mit ängstlichem Blicke,


— Sah den edlen Albrecht sinken,
Sank wie Albrecht und erblich. —

Auch Lieder sinden sich bei den Göttingern nach Herders Anregung und
Bürgers Vorgang ein. Hölty: „Der Schnee zerrinnt"; „Die Luft ist blau,
das Thal ist grün"; „Mir träumt', ich wär' ein Vögelein"; „Ueb' immer
Treu' und Redlichkeit". Miller: „Was frag' ich viel nach Geld und Gut."
Fr. Stolberg: „Sohn, da hast du meinen Speer". Voß: „Seht den Himmel
wie heiter"; „Willkommen im Grünen, der Himmel ist blau." Der von Voß
seit 1776 weiter geführte Musenalmanach brachte denn auch die allbekannten,
unendlich oft gesungenen „Lieder" von Claudius: „Bekränzt mit Laub den
lieben vollen Becher"; „Der Mond ist ausgegangen"; letzteres nahm auch
Herder in seine „Volkslieder" auf. Und wie viel Andere — man denke z. B.
an den Maler Müller und Schubart — verlassen den Klopstock'schen Kothurn,
die Klopstock'sche Seraphik! —

Bürger fiel später hier und da wieder in den alten burlesken Ton zurück;
man kennt die Weiber von Weinsberg, Frau Schnips, Gedichte voll obscöner
und roher Ausdrücke.

Auch in der echten, reinen Ballade konnte er sich nicht immer frei halten
von Unflath; der Zug seines Gemüths, der ihn überhaupt befähigte, sicher
und fest den von Herder geforderten populären Ton zu treffen (und nicht,
wie Gleim, bloß zu affectiren), artete bei ihm gern, es war die Folge einer
gewissen Unbändigkeit und Wüstheit der Natur, in's Plebejische aus.

Es ^se bekannt, wie an dieser Stelle ihn später tief einschneidend und
verwundert Schillers Kritik in der Jenaer Literatur-Zeitung 1791 traf. Der
Kritiker, welcher seinerseits durch rastlose Arbeit an sich selbst von rohen und
ungebärdigen Anfängen zu reiner Kunstidealität sich geläutert hatte, machte


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[0031] Von den Göttingern dichtete Balladen vorzüglich Fritz Stolberg' In der Väter Halle ruhte Ritter Rudolf's Hcldmarm; Rudolf, den die Schlacht erfreute, Rudolf, welchen Frankreich scheute Und der Sarazenen Schwarm. Aber er ist ohne Söhne; seine Erbin ist „Agnes mit den goldnen Locken"; es liebt sie „Albrecht mit der offnen Stirne"; und er wird wieder geliebt: Aber Horst, der hundert Krieger Unterhielt im eignen Sold, Rühmte seines Stammes Ahnen Prangte mit erfochtuen Fahnen, Und der nater war ihm hold. Ein Zweikampf kann den Streit allein entscheiden; die Jungfrau folgt demselben mit ängstlichem Blicke, — Sah den edlen Albrecht sinken, Sank wie Albrecht und erblich. — Auch Lieder sinden sich bei den Göttingern nach Herders Anregung und Bürgers Vorgang ein. Hölty: „Der Schnee zerrinnt"; „Die Luft ist blau, das Thal ist grün"; „Mir träumt', ich wär' ein Vögelein"; „Ueb' immer Treu' und Redlichkeit". Miller: „Was frag' ich viel nach Geld und Gut." Fr. Stolberg: „Sohn, da hast du meinen Speer". Voß: „Seht den Himmel wie heiter"; „Willkommen im Grünen, der Himmel ist blau." Der von Voß seit 1776 weiter geführte Musenalmanach brachte denn auch die allbekannten, unendlich oft gesungenen „Lieder" von Claudius: „Bekränzt mit Laub den lieben vollen Becher"; „Der Mond ist ausgegangen"; letzteres nahm auch Herder in seine „Volkslieder" auf. Und wie viel Andere — man denke z. B. an den Maler Müller und Schubart — verlassen den Klopstock'schen Kothurn, die Klopstock'sche Seraphik! — Bürger fiel später hier und da wieder in den alten burlesken Ton zurück; man kennt die Weiber von Weinsberg, Frau Schnips, Gedichte voll obscöner und roher Ausdrücke. Auch in der echten, reinen Ballade konnte er sich nicht immer frei halten von Unflath; der Zug seines Gemüths, der ihn überhaupt befähigte, sicher und fest den von Herder geforderten populären Ton zu treffen (und nicht, wie Gleim, bloß zu affectiren), artete bei ihm gern, es war die Folge einer gewissen Unbändigkeit und Wüstheit der Natur, in's Plebejische aus. Es ^se bekannt, wie an dieser Stelle ihn später tief einschneidend und verwundert Schillers Kritik in der Jenaer Literatur-Zeitung 1791 traf. Der Kritiker, welcher seinerseits durch rastlose Arbeit an sich selbst von rohen und ungebärdigen Anfängen zu reiner Kunstidealität sich geläutert hatte, machte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/31>, abgerufen am 10.02.2025.