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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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könne, wie sie Friedrich eingeerntet hatte. Für Ranke hat sich ohne Zweifel
herausgestellt, daß Kaunitz noch in den letzten Monaten der Maria Theresia
diesen Curs eingeschlagen und die russische Allianz zu erlangen gestrebt: Jo¬
seph verfolgte mit Eifer diesen Weg. Die russisch-östreichische Verbindung,
zunächst zur Lösung der orientalischen Frage, mußte aber Zerwürfnisse mit
Preußen herbeiführen; und man kann nicht sagen, daß es Joseph darum zu
thun gewesen wäre, diese Consequenzen seines Systemes zu vermeiden.

Jedermann weiß, auf welchem Punkte Joseph hatte weiterkommen wollen,
durch welche Action er noch den Lebensabend Friedrichs beunruhigt. Ihm
galt es den Erwerb Bayerns für Oestreich durchzusetzen. Wir folgen Ranke
nicht in das Detail der diplomatischen Arbeiten in München; wir erzählen
ihm nicht nach, wie Friedrich in einer sehr umsichtigen und großartig berech¬
neten Operation seinen Widerstand gegen die bayerische Annexion erhoben und
geltend gemacht hat. Es ist der Anlaß zur letzten großen That Friedrichs
für Deutschland, zum Abschluß des Fürst end und es. -- Ueber den Fürsten¬
bund ist nun in den letzten zwei Jahrzehnten viel geschrieben und geforscht
worden: die Motive Friedrichs, den Hergang im Einzelnen, den Antheil ver¬
schiedener Persönlichkeiten an diesem Projecte hatte man festzustellen; und
noch die weitere Frage hatte man ein großes Interesse anzuregen, die nach
den letzten Absichten Friedrichs, nach dem eigentlichen idealen Ziele seiner
Politik. Das ist selbstverständlich, daß Ranke alle diese Arbeiten und Er¬
örterungen gekannt und verwerthet hat; manches neue Actenstück hat er außer¬
dem noch zu benutzen das Glück gehabt und in seiner feinen, vorsichtigen, ob¬
jectiven Weise zieht er aus Allem, was vorliegt, seinen allseitig erwogenen
Schluß. Friedrichs Absicht war, die deutschen Reichsfürsten zum Schutze ihrer
Autonomie, zur Vertheidigung der bisherigen Reichsverfassung in einem Bunde
zu vereinigen: das bayerische Project war der letzte Anstoß, mit diesem Bunde
nicht länger zu zögern. Friedrich kam mit seinen aus der allgemeinen Lage
geschöpften Erwägungen dem Wunsche einzelner Reichsfürsten entgegen, welche
schon mit dem Prinzen von Preußen über dergleichen Vorhaben sich in
Beziehung gesetzt. "Womit sich König Friedrich von Anfang seiner Negie¬
rung an getragen, aber ohne es durchzuführen, die großen Interessen des
deutsehen Reiches mit dem Bestand und Wachsthum seines Staates zu ver¬
einigen, das wurde jetzt möglich und dringend für beide Theile." Mit Han¬
nover und Sachsen verständigte sich Friedrich; dann schlössen sich von den
kleineren Fürsten eine ganze Anzahl an. Und wenn auch der Gedanke damals
schon vorübergehend aufgetaucht ist: "der Gedanke, das deutsche Reich sowohl
von Oestreich als von Preußen zu sondern", zwischen der reichsständischen
Opposition gegen Oestreich und dem preußischen Staate eine Vereinigung nicht
zu Stande kommen zu lassen (Frankreich gebührt das Verdienst, darauf hin-


könne, wie sie Friedrich eingeerntet hatte. Für Ranke hat sich ohne Zweifel
herausgestellt, daß Kaunitz noch in den letzten Monaten der Maria Theresia
diesen Curs eingeschlagen und die russische Allianz zu erlangen gestrebt: Jo¬
seph verfolgte mit Eifer diesen Weg. Die russisch-östreichische Verbindung,
zunächst zur Lösung der orientalischen Frage, mußte aber Zerwürfnisse mit
Preußen herbeiführen; und man kann nicht sagen, daß es Joseph darum zu
thun gewesen wäre, diese Consequenzen seines Systemes zu vermeiden.

Jedermann weiß, auf welchem Punkte Joseph hatte weiterkommen wollen,
durch welche Action er noch den Lebensabend Friedrichs beunruhigt. Ihm
galt es den Erwerb Bayerns für Oestreich durchzusetzen. Wir folgen Ranke
nicht in das Detail der diplomatischen Arbeiten in München; wir erzählen
ihm nicht nach, wie Friedrich in einer sehr umsichtigen und großartig berech¬
neten Operation seinen Widerstand gegen die bayerische Annexion erhoben und
geltend gemacht hat. Es ist der Anlaß zur letzten großen That Friedrichs
für Deutschland, zum Abschluß des Fürst end und es. — Ueber den Fürsten¬
bund ist nun in den letzten zwei Jahrzehnten viel geschrieben und geforscht
worden: die Motive Friedrichs, den Hergang im Einzelnen, den Antheil ver¬
schiedener Persönlichkeiten an diesem Projecte hatte man festzustellen; und
noch die weitere Frage hatte man ein großes Interesse anzuregen, die nach
den letzten Absichten Friedrichs, nach dem eigentlichen idealen Ziele seiner
Politik. Das ist selbstverständlich, daß Ranke alle diese Arbeiten und Er¬
örterungen gekannt und verwerthet hat; manches neue Actenstück hat er außer¬
dem noch zu benutzen das Glück gehabt und in seiner feinen, vorsichtigen, ob¬
jectiven Weise zieht er aus Allem, was vorliegt, seinen allseitig erwogenen
Schluß. Friedrichs Absicht war, die deutschen Reichsfürsten zum Schutze ihrer
Autonomie, zur Vertheidigung der bisherigen Reichsverfassung in einem Bunde
zu vereinigen: das bayerische Project war der letzte Anstoß, mit diesem Bunde
nicht länger zu zögern. Friedrich kam mit seinen aus der allgemeinen Lage
geschöpften Erwägungen dem Wunsche einzelner Reichsfürsten entgegen, welche
schon mit dem Prinzen von Preußen über dergleichen Vorhaben sich in
Beziehung gesetzt. „Womit sich König Friedrich von Anfang seiner Negie¬
rung an getragen, aber ohne es durchzuführen, die großen Interessen des
deutsehen Reiches mit dem Bestand und Wachsthum seines Staates zu ver¬
einigen, das wurde jetzt möglich und dringend für beide Theile." Mit Han¬
nover und Sachsen verständigte sich Friedrich; dann schlössen sich von den
kleineren Fürsten eine ganze Anzahl an. Und wenn auch der Gedanke damals
schon vorübergehend aufgetaucht ist: „der Gedanke, das deutsche Reich sowohl
von Oestreich als von Preußen zu sondern", zwischen der reichsständischen
Opposition gegen Oestreich und dem preußischen Staate eine Vereinigung nicht
zu Stande kommen zu lassen (Frankreich gebührt das Verdienst, darauf hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/228>, abgerufen am 06.02.2025.