Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.von Schritten für eine Herstellung allgemeiner Toleranz ging er dabei aus. Es ist ein Glanzstück Ranke'scher Geschichtskunst, dieses Capitel "Ver¬ Die auswärtige Politik Joseph's wird dann von Ranke in ihrer ganzen von Schritten für eine Herstellung allgemeiner Toleranz ging er dabei aus. Es ist ein Glanzstück Ranke'scher Geschichtskunst, dieses Capitel „Ver¬ Die auswärtige Politik Joseph's wird dann von Ranke in ihrer ganzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192528"/> <p xml:id="ID_862" prev="#ID_861"> von Schritten für eine Herstellung allgemeiner Toleranz ging er dabei aus.<lb/> Maria Theresia schon hatte keine eigentliche Verfolgung oder Bedrückung der<lb/> Protestanten mehr gewollt, Joseph wollte Toleranz. „Das scheint," urtheilt<lb/> Ranke, „ein geringer Unterschied zu sein, aber in dieser Differenz will doch<lb/> die Verschiedenheit der Principien zu Tage." Joseph's Absicht war über¬<lb/> haupt, den Staat von dem geistlichen Begriff abzulösen. Und sobald er die<lb/> Regierung angetreten, ging er mit einer Reihe von Maßregeln vor, in Be¬<lb/> freiung der Protestanten von den bisherigen Einschränkungen, in Ueberwachung<lb/> der katholischen Kirche durch die landesherrliche Oberaufsicht. Gegen die<lb/> Klöster, gegen die Uebergriffe der Geistlichen in das bürgerliche Leben ging<lb/> er scharf vor — in einen Conflict mit dem Papstthum ist er dadurch gerathen.</p><lb/> <p xml:id="ID_863"> Es ist ein Glanzstück Ranke'scher Geschichtskunst, dieses Capitel „Ver¬<lb/> hältniß zum Papstthum." Wir enthalten uns eines jeden Auszuges aus<lb/> demselben: unsere Leser mögen das Buch selbst in die Hand nehmen! Jedes<lb/> Wort, jeder Strich ist auf's sorgfältigste berechnet: abkürzen hieße hier die<lb/> Seele des Kunstwerkes vernichten! Nur das berühren wir wenigstens mit<lb/> einem Worte: während des Aufenthaltes des Papstes in Wien 1782, in den<lb/> mündlichen Verhandlungen nimmt man fast bei jedem Punkte der Forderung<lb/> des Papstes gegenüber eine gewisse Annäherung des Kaisers, aber eine sehr<lb/> entschiedene Zurückweisung von Seiten des Fürsten Kaunitz wahr. Und daß<lb/> Kaunitz auch in der kirchlichen Frage der energischere, consequentere, princi¬<lb/> piellere Staatsmann, gewesen als der Kaiser selbst, das ist eins der über¬<lb/> raschendsten Resultate, das Ranke gewonnen und erwiesen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_864" next="#ID_865"> Die auswärtige Politik Joseph's wird dann von Ranke in ihrer ganzen<lb/> Bedeutung gewürdigt. Seine Eingriffe in das Stillleben des deutschen Reiches,<lb/> seine Versuche, die Stellung des Kaiserthums über und zu den Landesfürsten<lb/> wieder zu steigern und zu heben, werden kurz und bündig vorgetragen; und<lb/> diejenige Richtung, die eigentlich charakteristisch für ihn geworden, die Allianz<lb/> mit Rußland, wird eingehend erörtert und motivirt. Merkwürdig genug,<lb/> wie oft sich in der Zeit von 1740 bis 1790 die Haltung der Großmächte zu<lb/> einander verändert. Anfangs hatte Oestreich vornehmlich auf England sich<lb/> gestützt, dann an Frankreich sich angeschlossen, an dasselbe Frankreich, das<lb/> während der östreichisch-englischen Allianz die Siege Preußens über Oestreich<lb/> unterstützt hatte. Nach dem siebenjährigen Kriege hatte Friedrich der Große<lb/> verstanden, durch freundliche Konnexionen mit Nußland seine Geschäfte zu<lb/> machen: für Oestreich war nun die 17S6 so begehrte Verbindung mit Frank¬<lb/> reich werthlos geworden, nun galt es wiederum Friedrich seinen Alliirten zu<lb/> rauben und, da sich Rußland für Friedrich 1763 — 1778 von Vortheil er¬<lb/> wiesen, ähnlich wie einst Frankreich in den Jahren 1740 — 1746, jetzt zu<lb/> sehen, ob auch Oestreich ähnliche Vortheile aus der russischen Allianz ziehen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0227]
von Schritten für eine Herstellung allgemeiner Toleranz ging er dabei aus.
Maria Theresia schon hatte keine eigentliche Verfolgung oder Bedrückung der
Protestanten mehr gewollt, Joseph wollte Toleranz. „Das scheint," urtheilt
Ranke, „ein geringer Unterschied zu sein, aber in dieser Differenz will doch
die Verschiedenheit der Principien zu Tage." Joseph's Absicht war über¬
haupt, den Staat von dem geistlichen Begriff abzulösen. Und sobald er die
Regierung angetreten, ging er mit einer Reihe von Maßregeln vor, in Be¬
freiung der Protestanten von den bisherigen Einschränkungen, in Ueberwachung
der katholischen Kirche durch die landesherrliche Oberaufsicht. Gegen die
Klöster, gegen die Uebergriffe der Geistlichen in das bürgerliche Leben ging
er scharf vor — in einen Conflict mit dem Papstthum ist er dadurch gerathen.
Es ist ein Glanzstück Ranke'scher Geschichtskunst, dieses Capitel „Ver¬
hältniß zum Papstthum." Wir enthalten uns eines jeden Auszuges aus
demselben: unsere Leser mögen das Buch selbst in die Hand nehmen! Jedes
Wort, jeder Strich ist auf's sorgfältigste berechnet: abkürzen hieße hier die
Seele des Kunstwerkes vernichten! Nur das berühren wir wenigstens mit
einem Worte: während des Aufenthaltes des Papstes in Wien 1782, in den
mündlichen Verhandlungen nimmt man fast bei jedem Punkte der Forderung
des Papstes gegenüber eine gewisse Annäherung des Kaisers, aber eine sehr
entschiedene Zurückweisung von Seiten des Fürsten Kaunitz wahr. Und daß
Kaunitz auch in der kirchlichen Frage der energischere, consequentere, princi¬
piellere Staatsmann, gewesen als der Kaiser selbst, das ist eins der über¬
raschendsten Resultate, das Ranke gewonnen und erwiesen hat.
Die auswärtige Politik Joseph's wird dann von Ranke in ihrer ganzen
Bedeutung gewürdigt. Seine Eingriffe in das Stillleben des deutschen Reiches,
seine Versuche, die Stellung des Kaiserthums über und zu den Landesfürsten
wieder zu steigern und zu heben, werden kurz und bündig vorgetragen; und
diejenige Richtung, die eigentlich charakteristisch für ihn geworden, die Allianz
mit Rußland, wird eingehend erörtert und motivirt. Merkwürdig genug,
wie oft sich in der Zeit von 1740 bis 1790 die Haltung der Großmächte zu
einander verändert. Anfangs hatte Oestreich vornehmlich auf England sich
gestützt, dann an Frankreich sich angeschlossen, an dasselbe Frankreich, das
während der östreichisch-englischen Allianz die Siege Preußens über Oestreich
unterstützt hatte. Nach dem siebenjährigen Kriege hatte Friedrich der Große
verstanden, durch freundliche Konnexionen mit Nußland seine Geschäfte zu
machen: für Oestreich war nun die 17S6 so begehrte Verbindung mit Frank¬
reich werthlos geworden, nun galt es wiederum Friedrich seinen Alliirten zu
rauben und, da sich Rußland für Friedrich 1763 — 1778 von Vortheil er¬
wiesen, ähnlich wie einst Frankreich in den Jahren 1740 — 1746, jetzt zu
sehen, ob auch Oestreich ähnliche Vortheile aus der russischen Allianz ziehen
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