Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gewiesen zu haben); -- so fand solche Idee eines mittleren Deutschland doch kei¬
nen Anklang und die deutsch-preußische Absicht des Fürstenbundes trat in's
Leben ein. "Am meisten innere Verwandtschaft hat, wenn ich nicht irre/'
-- so resumirt Ranke seine Darlegung -- "die Vereinbarung von 1785 mit
dem Verständniß, welches Kurfürst Moritz von Sachsen im Jahre 1552 durch
den Passauer Vertrag mit den katholischen und geistlichen Fürsten traf. Wie
in jener Zeit Karl V- unter Mitwirkung des deutschen Hauses Oestreich von
dem Reiche ausgeschlossen wurde, so vereinigten sich jetzt die Stände gegen
das deutsche Oestreich, wie es unter Joseph II. auftrat."

Ergreifend ist das Lebensende Friedrichs von Ranke hingemalt: seine
ganze Meisterschaft bietet er auf, einen tiefen Eindruck im Leser zu erzielen,
und in der That nicht leicht wird ohne Bewegung des Geistes Jemand diesen
Abschnitt zu lesen im Stande sein.

Gehen wir weiter zu den Anfängen der Regierung Friedrich Wilhelm II.,
so können wir uns zunächst eines gewissen Gefühles der Ueberraschung nicht
erwehren. Weit milder ist Ranke's Urtheil über diesen König ausgefallen,
als wir erwartet oder als die Geschichtsschreibung bisher glaubte verantwor¬
ten zu dürfen. "An Geist und Energie fehlte es dem neuen Fürsten nicht;
aber die Verbindung schwärmerischer Anwandlungen mit sinnlichen Gelüsten
kündigte nicht viel Gutes an." Von diesen vier Prädicaten, die dem Könige
ertheilt werden, möchten wir jedenfalls eins, "Energie", gestrichen haben;
Geist, schwärmerische Anwandlungen und sinnliche Gelüste wollen wir bei
ihm nicht in Abrede stellen. Eine gewisse Theilnahme an den Interessen des
preußischen Staates, eine gewisse Bereitwilligkeit auf die Forderungen der Zeit
einzugehen, eine gewisse geistige Empfänglichkeit bewies der neue König sofort
nach der Thronbesteigung; aber was ihm fehlte war der Ernst, die Ausdauer
in seiner Berufsarbeit: weder Energie, noch Conseguenz hielt bei ihm vor,
und -- wir wollen auch nach dieser sanfteren Schilderung Ranke's den harten
Ausdruck nicht scheuen -- das Traurigste war, daß die Cardinaltugend der
Hohenzollern, das königliche Pflichtgefühl ihm so gut wie vollständig ab¬
ging. Wir halten es weder für Sache historischer Gerechtigkeit, über die etwas
bessere erste Zeit dieser Regierung stillschweigend hinwegzusehen, noch auch sie
besonders stark zu betonen oder das Folgende gewissermaßen durch sie zu ver¬
schönern: nein, die ersten Monate einer neuen Negierung sehen sich oft leicht
und rosig an, ohne daß die eigentliche Natur des ganzen Verlaufes diesem
ersten Hoffnungsschimmer entspricht. Erst die Fortsetzung des Ranke'schen
Werkes wird zeigen, in welche Verbindung und Beziehung Ranke das Vorspiel
zu der Hauptsache gedacht haben will.

Die Jahre 1786 -- 1788, in denen in Frankreich sich die Wolken der
Revolution zusammenballen, gewinnen auch für Deutschland bei Ranke ein


gewiesen zu haben); — so fand solche Idee eines mittleren Deutschland doch kei¬
nen Anklang und die deutsch-preußische Absicht des Fürstenbundes trat in's
Leben ein. „Am meisten innere Verwandtschaft hat, wenn ich nicht irre/'
— so resumirt Ranke seine Darlegung — „die Vereinbarung von 1785 mit
dem Verständniß, welches Kurfürst Moritz von Sachsen im Jahre 1552 durch
den Passauer Vertrag mit den katholischen und geistlichen Fürsten traf. Wie
in jener Zeit Karl V- unter Mitwirkung des deutschen Hauses Oestreich von
dem Reiche ausgeschlossen wurde, so vereinigten sich jetzt die Stände gegen
das deutsche Oestreich, wie es unter Joseph II. auftrat."

Ergreifend ist das Lebensende Friedrichs von Ranke hingemalt: seine
ganze Meisterschaft bietet er auf, einen tiefen Eindruck im Leser zu erzielen,
und in der That nicht leicht wird ohne Bewegung des Geistes Jemand diesen
Abschnitt zu lesen im Stande sein.

Gehen wir weiter zu den Anfängen der Regierung Friedrich Wilhelm II.,
so können wir uns zunächst eines gewissen Gefühles der Ueberraschung nicht
erwehren. Weit milder ist Ranke's Urtheil über diesen König ausgefallen,
als wir erwartet oder als die Geschichtsschreibung bisher glaubte verantwor¬
ten zu dürfen. „An Geist und Energie fehlte es dem neuen Fürsten nicht;
aber die Verbindung schwärmerischer Anwandlungen mit sinnlichen Gelüsten
kündigte nicht viel Gutes an." Von diesen vier Prädicaten, die dem Könige
ertheilt werden, möchten wir jedenfalls eins, „Energie", gestrichen haben;
Geist, schwärmerische Anwandlungen und sinnliche Gelüste wollen wir bei
ihm nicht in Abrede stellen. Eine gewisse Theilnahme an den Interessen des
preußischen Staates, eine gewisse Bereitwilligkeit auf die Forderungen der Zeit
einzugehen, eine gewisse geistige Empfänglichkeit bewies der neue König sofort
nach der Thronbesteigung; aber was ihm fehlte war der Ernst, die Ausdauer
in seiner Berufsarbeit: weder Energie, noch Conseguenz hielt bei ihm vor,
und — wir wollen auch nach dieser sanfteren Schilderung Ranke's den harten
Ausdruck nicht scheuen — das Traurigste war, daß die Cardinaltugend der
Hohenzollern, das königliche Pflichtgefühl ihm so gut wie vollständig ab¬
ging. Wir halten es weder für Sache historischer Gerechtigkeit, über die etwas
bessere erste Zeit dieser Regierung stillschweigend hinwegzusehen, noch auch sie
besonders stark zu betonen oder das Folgende gewissermaßen durch sie zu ver¬
schönern: nein, die ersten Monate einer neuen Negierung sehen sich oft leicht
und rosig an, ohne daß die eigentliche Natur des ganzen Verlaufes diesem
ersten Hoffnungsschimmer entspricht. Erst die Fortsetzung des Ranke'schen
Werkes wird zeigen, in welche Verbindung und Beziehung Ranke das Vorspiel
zu der Hauptsache gedacht haben will.

Die Jahre 1786 — 1788, in denen in Frankreich sich die Wolken der
Revolution zusammenballen, gewinnen auch für Deutschland bei Ranke ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192530"/>
          <p xml:id="ID_867" prev="#ID_866"> gewiesen zu haben); &#x2014; so fand solche Idee eines mittleren Deutschland doch kei¬<lb/>
nen Anklang und die deutsch-preußische Absicht des Fürstenbundes trat in's<lb/>
Leben ein. &#x201E;Am meisten innere Verwandtschaft hat, wenn ich nicht irre/'<lb/>
&#x2014; so resumirt Ranke seine Darlegung &#x2014; &#x201E;die Vereinbarung von 1785 mit<lb/>
dem Verständniß, welches Kurfürst Moritz von Sachsen im Jahre 1552 durch<lb/>
den Passauer Vertrag mit den katholischen und geistlichen Fürsten traf. Wie<lb/>
in jener Zeit Karl V- unter Mitwirkung des deutschen Hauses Oestreich von<lb/>
dem Reiche ausgeschlossen wurde, so vereinigten sich jetzt die Stände gegen<lb/>
das deutsche Oestreich, wie es unter Joseph II. auftrat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_868"> Ergreifend ist das Lebensende Friedrichs von Ranke hingemalt: seine<lb/>
ganze Meisterschaft bietet er auf, einen tiefen Eindruck im Leser zu erzielen,<lb/>
und in der That nicht leicht wird ohne Bewegung des Geistes Jemand diesen<lb/>
Abschnitt zu lesen im Stande sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_869"> Gehen wir weiter zu den Anfängen der Regierung Friedrich Wilhelm II.,<lb/>
so können wir uns zunächst eines gewissen Gefühles der Ueberraschung nicht<lb/>
erwehren. Weit milder ist Ranke's Urtheil über diesen König ausgefallen,<lb/>
als wir erwartet oder als die Geschichtsschreibung bisher glaubte verantwor¬<lb/>
ten zu dürfen. &#x201E;An Geist und Energie fehlte es dem neuen Fürsten nicht;<lb/>
aber die Verbindung schwärmerischer Anwandlungen mit sinnlichen Gelüsten<lb/>
kündigte nicht viel Gutes an." Von diesen vier Prädicaten, die dem Könige<lb/>
ertheilt werden, möchten wir jedenfalls eins, &#x201E;Energie", gestrichen haben;<lb/>
Geist, schwärmerische Anwandlungen und sinnliche Gelüste wollen wir bei<lb/>
ihm nicht in Abrede stellen. Eine gewisse Theilnahme an den Interessen des<lb/>
preußischen Staates, eine gewisse Bereitwilligkeit auf die Forderungen der Zeit<lb/>
einzugehen, eine gewisse geistige Empfänglichkeit bewies der neue König sofort<lb/>
nach der Thronbesteigung; aber was ihm fehlte war der Ernst, die Ausdauer<lb/>
in seiner Berufsarbeit: weder Energie, noch Conseguenz hielt bei ihm vor,<lb/>
und &#x2014; wir wollen auch nach dieser sanfteren Schilderung Ranke's den harten<lb/>
Ausdruck nicht scheuen &#x2014; das Traurigste war, daß die Cardinaltugend der<lb/>
Hohenzollern, das königliche Pflichtgefühl ihm so gut wie vollständig ab¬<lb/>
ging. Wir halten es weder für Sache historischer Gerechtigkeit, über die etwas<lb/>
bessere erste Zeit dieser Regierung stillschweigend hinwegzusehen, noch auch sie<lb/>
besonders stark zu betonen oder das Folgende gewissermaßen durch sie zu ver¬<lb/>
schönern: nein, die ersten Monate einer neuen Negierung sehen sich oft leicht<lb/>
und rosig an, ohne daß die eigentliche Natur des ganzen Verlaufes diesem<lb/>
ersten Hoffnungsschimmer entspricht. Erst die Fortsetzung des Ranke'schen<lb/>
Werkes wird zeigen, in welche Verbindung und Beziehung Ranke das Vorspiel<lb/>
zu der Hauptsache gedacht haben will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_870" next="#ID_871"> Die Jahre 1786 &#x2014; 1788, in denen in Frankreich sich die Wolken der<lb/>
Revolution zusammenballen, gewinnen auch für Deutschland bei Ranke ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0229] gewiesen zu haben); — so fand solche Idee eines mittleren Deutschland doch kei¬ nen Anklang und die deutsch-preußische Absicht des Fürstenbundes trat in's Leben ein. „Am meisten innere Verwandtschaft hat, wenn ich nicht irre/' — so resumirt Ranke seine Darlegung — „die Vereinbarung von 1785 mit dem Verständniß, welches Kurfürst Moritz von Sachsen im Jahre 1552 durch den Passauer Vertrag mit den katholischen und geistlichen Fürsten traf. Wie in jener Zeit Karl V- unter Mitwirkung des deutschen Hauses Oestreich von dem Reiche ausgeschlossen wurde, so vereinigten sich jetzt die Stände gegen das deutsche Oestreich, wie es unter Joseph II. auftrat." Ergreifend ist das Lebensende Friedrichs von Ranke hingemalt: seine ganze Meisterschaft bietet er auf, einen tiefen Eindruck im Leser zu erzielen, und in der That nicht leicht wird ohne Bewegung des Geistes Jemand diesen Abschnitt zu lesen im Stande sein. Gehen wir weiter zu den Anfängen der Regierung Friedrich Wilhelm II., so können wir uns zunächst eines gewissen Gefühles der Ueberraschung nicht erwehren. Weit milder ist Ranke's Urtheil über diesen König ausgefallen, als wir erwartet oder als die Geschichtsschreibung bisher glaubte verantwor¬ ten zu dürfen. „An Geist und Energie fehlte es dem neuen Fürsten nicht; aber die Verbindung schwärmerischer Anwandlungen mit sinnlichen Gelüsten kündigte nicht viel Gutes an." Von diesen vier Prädicaten, die dem Könige ertheilt werden, möchten wir jedenfalls eins, „Energie", gestrichen haben; Geist, schwärmerische Anwandlungen und sinnliche Gelüste wollen wir bei ihm nicht in Abrede stellen. Eine gewisse Theilnahme an den Interessen des preußischen Staates, eine gewisse Bereitwilligkeit auf die Forderungen der Zeit einzugehen, eine gewisse geistige Empfänglichkeit bewies der neue König sofort nach der Thronbesteigung; aber was ihm fehlte war der Ernst, die Ausdauer in seiner Berufsarbeit: weder Energie, noch Conseguenz hielt bei ihm vor, und — wir wollen auch nach dieser sanfteren Schilderung Ranke's den harten Ausdruck nicht scheuen — das Traurigste war, daß die Cardinaltugend der Hohenzollern, das königliche Pflichtgefühl ihm so gut wie vollständig ab¬ ging. Wir halten es weder für Sache historischer Gerechtigkeit, über die etwas bessere erste Zeit dieser Regierung stillschweigend hinwegzusehen, noch auch sie besonders stark zu betonen oder das Folgende gewissermaßen durch sie zu ver¬ schönern: nein, die ersten Monate einer neuen Negierung sehen sich oft leicht und rosig an, ohne daß die eigentliche Natur des ganzen Verlaufes diesem ersten Hoffnungsschimmer entspricht. Erst die Fortsetzung des Ranke'schen Werkes wird zeigen, in welche Verbindung und Beziehung Ranke das Vorspiel zu der Hauptsache gedacht haben will. Die Jahre 1786 — 1788, in denen in Frankreich sich die Wolken der Revolution zusammenballen, gewinnen auch für Deutschland bei Ranke ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/229>, abgerufen am 05.02.2025.