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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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seine eigenen Ansichten gellend gemacht, in den inneren Verhältnissen gelang
ihm erst nach dem Tode der Mutter, seinen Charakter zu zeigen.

Die Persönlichkeit und die Negierung Joseph's II. hat in letzter Zeit
mehrfache Beleuchtung erfahren. Eine sehr eingehende Würdigung lieferte
die ausgezeichnete Skizze, welche der verstorbene Kenner Deutschlands im 18.
Jahrhundert, Professor Perthes in Bonn, hinterlassen hatte.*) Die beiden
Regierungen Maria Theresia's und ihres ältesten Sohnes, in ihren gemein¬
samen, aber auch in ihren entgegengesetzten Tendenzen waren klar, übersicht¬
lich, objectiv von Perthes dargelegt: was die östreichischen Forscher von Ein¬
zelheiten geleistet, war zu einem Gesammtbilde schon so umsichtig zusammen¬
gefügt worden, daß Ranke für seine Zwecke das Fundament gelegt und den
Boden geebnet finden konnte. Die Veröffentlichungen Brunner's, trotz
ihrer karrikirten Auffassung dem Inhalte nach äußerst dankenswerth, weit
mehr aber noch die nicht genug zu preisender Bücher, mit denen seit einigen
Jahren aus den Schätzen des seiner Obhut anvertrauten Wiener Archives
Alfred von Arneth uns beschenkt: diese neu eröffneten Quellen haben
manche Züge des Bildes noch besser gezeigt und klarer ins Licht gerückt. Und
trotz alle dem ist es Ranke noch geglückt, nicht unwichtige Beiträge neu aus-
zugraben, durch seine Archivstudien auf Einzelnes noch helleres Licht zu wer¬
fen ! Von dem größten Interesse sind die Enthüllungen aus dem politischen
Verkehr zwischen dem Souverän und dem leitenden Minister: Joseph und
Kaunitz in ihren gegenseitigen Beziehungen treten in ein bisher ganz unge¬
ahntes Verhältniß. Es ergiebt sich, daß in allen und jeden Fragen der bei
weitem energischere, principiellere, consequentere Politiker Kaunitz ist und nicht
der seines aufgeklärten Despotismus wegen so berufene Kaiser. Die Meister¬
schaft von Kaunitz, des selbstbewußten Gründers der östreichischen Stellung
in den europäischen Fragen, des verantwortlichen Advokaten einer bourbonisch-
habsburgischen Allianz hat auch dem Kaiser Joseph imponirt, ihn beeinflußt,
seine Action geleitet: Kaunitz war der Lehrer, mit dem Ansehen langer Ge¬
schäftserfahrung umgeben, Joseph war der strebsame, lernbegierige, aber auch
folgsame Schüler. Dieses Bild entrollen uns die von Ranke dargelegten und
erörterten Ereignisse.

Im allgemeinen Interesse werden aus der Negierung Joseph's eine her¬
vorragende Stelle immer die geistlichen Angelegenheiten einnehmen. Auch
Ranke hat ihnen scharfe Aufmerksamkeit geschenkt. Und grade in unserer
Zeit mag eine Erinnerung daran besonders willkommen heißen. Joseph zeigte
sich von dem antikirchlichen Züge jener Periode durchaus durchdrungen; und



Politische Zustande und Personen in den deutschen Ländern des Hauses Oesterreich
von Carl VI. bis Mettemich. Aus dem Nachlasse des Verfassers herausgegeben. l8K9.

seine eigenen Ansichten gellend gemacht, in den inneren Verhältnissen gelang
ihm erst nach dem Tode der Mutter, seinen Charakter zu zeigen.

Die Persönlichkeit und die Negierung Joseph's II. hat in letzter Zeit
mehrfache Beleuchtung erfahren. Eine sehr eingehende Würdigung lieferte
die ausgezeichnete Skizze, welche der verstorbene Kenner Deutschlands im 18.
Jahrhundert, Professor Perthes in Bonn, hinterlassen hatte.*) Die beiden
Regierungen Maria Theresia's und ihres ältesten Sohnes, in ihren gemein¬
samen, aber auch in ihren entgegengesetzten Tendenzen waren klar, übersicht¬
lich, objectiv von Perthes dargelegt: was die östreichischen Forscher von Ein¬
zelheiten geleistet, war zu einem Gesammtbilde schon so umsichtig zusammen¬
gefügt worden, daß Ranke für seine Zwecke das Fundament gelegt und den
Boden geebnet finden konnte. Die Veröffentlichungen Brunner's, trotz
ihrer karrikirten Auffassung dem Inhalte nach äußerst dankenswerth, weit
mehr aber noch die nicht genug zu preisender Bücher, mit denen seit einigen
Jahren aus den Schätzen des seiner Obhut anvertrauten Wiener Archives
Alfred von Arneth uns beschenkt: diese neu eröffneten Quellen haben
manche Züge des Bildes noch besser gezeigt und klarer ins Licht gerückt. Und
trotz alle dem ist es Ranke noch geglückt, nicht unwichtige Beiträge neu aus-
zugraben, durch seine Archivstudien auf Einzelnes noch helleres Licht zu wer¬
fen ! Von dem größten Interesse sind die Enthüllungen aus dem politischen
Verkehr zwischen dem Souverän und dem leitenden Minister: Joseph und
Kaunitz in ihren gegenseitigen Beziehungen treten in ein bisher ganz unge¬
ahntes Verhältniß. Es ergiebt sich, daß in allen und jeden Fragen der bei
weitem energischere, principiellere, consequentere Politiker Kaunitz ist und nicht
der seines aufgeklärten Despotismus wegen so berufene Kaiser. Die Meister¬
schaft von Kaunitz, des selbstbewußten Gründers der östreichischen Stellung
in den europäischen Fragen, des verantwortlichen Advokaten einer bourbonisch-
habsburgischen Allianz hat auch dem Kaiser Joseph imponirt, ihn beeinflußt,
seine Action geleitet: Kaunitz war der Lehrer, mit dem Ansehen langer Ge¬
schäftserfahrung umgeben, Joseph war der strebsame, lernbegierige, aber auch
folgsame Schüler. Dieses Bild entrollen uns die von Ranke dargelegten und
erörterten Ereignisse.

Im allgemeinen Interesse werden aus der Negierung Joseph's eine her¬
vorragende Stelle immer die geistlichen Angelegenheiten einnehmen. Auch
Ranke hat ihnen scharfe Aufmerksamkeit geschenkt. Und grade in unserer
Zeit mag eine Erinnerung daran besonders willkommen heißen. Joseph zeigte
sich von dem antikirchlichen Züge jener Periode durchaus durchdrungen; und



Politische Zustande und Personen in den deutschen Ländern des Hauses Oesterreich
von Carl VI. bis Mettemich. Aus dem Nachlasse des Verfassers herausgegeben. l8K9.
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[0226] seine eigenen Ansichten gellend gemacht, in den inneren Verhältnissen gelang ihm erst nach dem Tode der Mutter, seinen Charakter zu zeigen. Die Persönlichkeit und die Negierung Joseph's II. hat in letzter Zeit mehrfache Beleuchtung erfahren. Eine sehr eingehende Würdigung lieferte die ausgezeichnete Skizze, welche der verstorbene Kenner Deutschlands im 18. Jahrhundert, Professor Perthes in Bonn, hinterlassen hatte.*) Die beiden Regierungen Maria Theresia's und ihres ältesten Sohnes, in ihren gemein¬ samen, aber auch in ihren entgegengesetzten Tendenzen waren klar, übersicht¬ lich, objectiv von Perthes dargelegt: was die östreichischen Forscher von Ein¬ zelheiten geleistet, war zu einem Gesammtbilde schon so umsichtig zusammen¬ gefügt worden, daß Ranke für seine Zwecke das Fundament gelegt und den Boden geebnet finden konnte. Die Veröffentlichungen Brunner's, trotz ihrer karrikirten Auffassung dem Inhalte nach äußerst dankenswerth, weit mehr aber noch die nicht genug zu preisender Bücher, mit denen seit einigen Jahren aus den Schätzen des seiner Obhut anvertrauten Wiener Archives Alfred von Arneth uns beschenkt: diese neu eröffneten Quellen haben manche Züge des Bildes noch besser gezeigt und klarer ins Licht gerückt. Und trotz alle dem ist es Ranke noch geglückt, nicht unwichtige Beiträge neu aus- zugraben, durch seine Archivstudien auf Einzelnes noch helleres Licht zu wer¬ fen ! Von dem größten Interesse sind die Enthüllungen aus dem politischen Verkehr zwischen dem Souverän und dem leitenden Minister: Joseph und Kaunitz in ihren gegenseitigen Beziehungen treten in ein bisher ganz unge¬ ahntes Verhältniß. Es ergiebt sich, daß in allen und jeden Fragen der bei weitem energischere, principiellere, consequentere Politiker Kaunitz ist und nicht der seines aufgeklärten Despotismus wegen so berufene Kaiser. Die Meister¬ schaft von Kaunitz, des selbstbewußten Gründers der östreichischen Stellung in den europäischen Fragen, des verantwortlichen Advokaten einer bourbonisch- habsburgischen Allianz hat auch dem Kaiser Joseph imponirt, ihn beeinflußt, seine Action geleitet: Kaunitz war der Lehrer, mit dem Ansehen langer Ge¬ schäftserfahrung umgeben, Joseph war der strebsame, lernbegierige, aber auch folgsame Schüler. Dieses Bild entrollen uns die von Ranke dargelegten und erörterten Ereignisse. Im allgemeinen Interesse werden aus der Negierung Joseph's eine her¬ vorragende Stelle immer die geistlichen Angelegenheiten einnehmen. Auch Ranke hat ihnen scharfe Aufmerksamkeit geschenkt. Und grade in unserer Zeit mag eine Erinnerung daran besonders willkommen heißen. Joseph zeigte sich von dem antikirchlichen Züge jener Periode durchaus durchdrungen; und Politische Zustande und Personen in den deutschen Ländern des Hauses Oesterreich von Carl VI. bis Mettemich. Aus dem Nachlasse des Verfassers herausgegeben. l8K9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/226>, abgerufen am 06.02.2025.