Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Außerhalb der Stadt zu spazieren -- "Fahrendes oder sonst weitläufiges Sehr oft schreiben unsere fürstlichen Studenten nach Hause an den "Hoch- Um so weniger aber ist Hofmeister Christian von Küssow von dem Außerhalb der Stadt zu spazieren — „Fahrendes oder sonst weitläufiges Sehr oft schreiben unsere fürstlichen Studenten nach Hause an den „Hoch- Um so weniger aber ist Hofmeister Christian von Küssow von dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192322"/> <p xml:id="ID_68"> Außerhalb der Stadt zu spazieren — „Fahrendes oder sonst weitläufiges<lb/> Gehendes", ist I. F. G. verboten. Auf den Gängen in die Kirche oder in<lb/> die Universität begleiten sie stets die Diener und Edelknaben und „warten<lb/> fleißig und züchtig auf."</p><lb/> <p xml:id="ID_69"> Sehr oft schreiben unsere fürstlichen Studenten nach Hause an den „Hoch-<lb/> geborner Fürsten, freundlichen lieben Herrn Bruder Herzog Johann Friedrich"<lb/> oder an die Mutter, — besonders auch, was sie von der Politik und Kriegs¬<lb/> ereignissen erfahren. Das neue heitere Studentenleben nimmt sie aber so in<lb/> Anspruch, daß sie sich fast regelmäßig am Ende ihrer kurzen flüchtigen Briefe<lb/> entschuldigen: „sie hätten gern mehr geschrieben, aber keine Weile" gehabt<lb/> und wohl gar schließen: „Lido! cito! eitissimk! Ew. Liebden freundlich lieber<lb/> Herr Bruder." — Diese Briefe werden oft mit wundersamer Gelegenheit be¬<lb/> fördert: bald einem durchreisenden Apotheker, bald einem Magister mitgegeben. —</p><lb/> <p xml:id="ID_70" next="#ID_71"> Um so weniger aber ist Hofmeister Christian von Küssow von dem<lb/> Aufenthalte in Wittenberg erbaut — schon von der ersten Stunde an. Er<lb/> ist ja nur mit Widerwillen von Hause fortgegangen, von Weib und Kind<lb/> und seinem Landgute. Schon zwei Tage nach seiner Ankunft in Wittenberg<lb/> schreibt er einen Klagebrief an den Kanzler von Eickstedt nach Wolgast und<lb/> bittet flehentlich, seiner Stellung enthoben zu werden. „Ich bitte, Ihr wollet<lb/> mein Weib und arme Haushaltung, die mir gar zu Grunde gehen wird,<lb/> lassen befohlen sein und helfen, daß ich bald möge erlöset werden. Denn<lb/> sollte ich länger hier liegen, das Meine versäumen und verzehren, müßte ich<lb/> auf meine alten Tage an den Bettelstab gerathen!" Auch über die Wohnung<lb/> und den Wirth hat Küssow fortwährend zu klagen. „Wie meine gu. Herren<lb/> hier ankommen, ist nichts im Hause gewesen — ohn' Spinden, Bänke, Tische,<lb/> habe mehr denn 2S Thaler dem Tischler geben müssen. Fenster und Oefen<lb/> sind zerbrochen; müssen in. gu. Herren alles gegen den Winter machen lassen;<lb/> der Wirth, Dr. Martinus, kehret sich nirgends an. Beschwerlich ist auch,<lb/> daß über I. F. G. sieben Stuben von allerlei Studenten bewohnt werden:<lb/> Franzosen, Pollacken, Schwaben und Franken, welche ihren Ein- und Aus¬<lb/> gang vor den Stuben in. gu. Herren haben, zu Zeiten allerlei Tumult er¬<lb/> heben, Tags und Nachts ein- und auslaufen — der Eine pfeifet, der Andre<lb/> singet. Wie es denn leicht zu ermessen, wie es bei solchen jungen Leuten<lb/> zugeht. Nun habe ich mit dem jungen Martins Luthero, so unten im Hause<lb/> wohnet, geredet, daß es in. gu. H. nicht gelegen sein würde, Solches zu<lb/> dulden, I. F. G. hätten auch nicht anders gemeinet, dieweil sie ja eine statt¬<lb/> liche Miethe geben, sie würden das Haus alleine inne haben; — ich hätte<lb/> ernstlichen Befehl, das Haus zur rechten Zeit auf- und zuschließen zu lassen<lb/> und wäre nicht Gebrauch in fürstlichen Wohnungen. Tag und Nacht auf-<lb/> und einzulaufen. Man wüßte auch, wie junge, zu Zeiten trunkene und un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Außerhalb der Stadt zu spazieren — „Fahrendes oder sonst weitläufiges
Gehendes", ist I. F. G. verboten. Auf den Gängen in die Kirche oder in
die Universität begleiten sie stets die Diener und Edelknaben und „warten
fleißig und züchtig auf."
Sehr oft schreiben unsere fürstlichen Studenten nach Hause an den „Hoch-
geborner Fürsten, freundlichen lieben Herrn Bruder Herzog Johann Friedrich"
oder an die Mutter, — besonders auch, was sie von der Politik und Kriegs¬
ereignissen erfahren. Das neue heitere Studentenleben nimmt sie aber so in
Anspruch, daß sie sich fast regelmäßig am Ende ihrer kurzen flüchtigen Briefe
entschuldigen: „sie hätten gern mehr geschrieben, aber keine Weile" gehabt
und wohl gar schließen: „Lido! cito! eitissimk! Ew. Liebden freundlich lieber
Herr Bruder." — Diese Briefe werden oft mit wundersamer Gelegenheit be¬
fördert: bald einem durchreisenden Apotheker, bald einem Magister mitgegeben. —
Um so weniger aber ist Hofmeister Christian von Küssow von dem
Aufenthalte in Wittenberg erbaut — schon von der ersten Stunde an. Er
ist ja nur mit Widerwillen von Hause fortgegangen, von Weib und Kind
und seinem Landgute. Schon zwei Tage nach seiner Ankunft in Wittenberg
schreibt er einen Klagebrief an den Kanzler von Eickstedt nach Wolgast und
bittet flehentlich, seiner Stellung enthoben zu werden. „Ich bitte, Ihr wollet
mein Weib und arme Haushaltung, die mir gar zu Grunde gehen wird,
lassen befohlen sein und helfen, daß ich bald möge erlöset werden. Denn
sollte ich länger hier liegen, das Meine versäumen und verzehren, müßte ich
auf meine alten Tage an den Bettelstab gerathen!" Auch über die Wohnung
und den Wirth hat Küssow fortwährend zu klagen. „Wie meine gu. Herren
hier ankommen, ist nichts im Hause gewesen — ohn' Spinden, Bänke, Tische,
habe mehr denn 2S Thaler dem Tischler geben müssen. Fenster und Oefen
sind zerbrochen; müssen in. gu. Herren alles gegen den Winter machen lassen;
der Wirth, Dr. Martinus, kehret sich nirgends an. Beschwerlich ist auch,
daß über I. F. G. sieben Stuben von allerlei Studenten bewohnt werden:
Franzosen, Pollacken, Schwaben und Franken, welche ihren Ein- und Aus¬
gang vor den Stuben in. gu. Herren haben, zu Zeiten allerlei Tumult er¬
heben, Tags und Nachts ein- und auslaufen — der Eine pfeifet, der Andre
singet. Wie es denn leicht zu ermessen, wie es bei solchen jungen Leuten
zugeht. Nun habe ich mit dem jungen Martins Luthero, so unten im Hause
wohnet, geredet, daß es in. gu. H. nicht gelegen sein würde, Solches zu
dulden, I. F. G. hätten auch nicht anders gemeinet, dieweil sie ja eine statt¬
liche Miethe geben, sie würden das Haus alleine inne haben; — ich hätte
ernstlichen Befehl, das Haus zur rechten Zeit auf- und zuschließen zu lassen
und wäre nicht Gebrauch in fürstlichen Wohnungen. Tag und Nacht auf-
und einzulaufen. Man wüßte auch, wie junge, zu Zeiten trunkene und un-
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