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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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bestimmt Johann Friedrich nach weidlicher Ueberlegung mit seinen Räthen --
2 Dublonen.

Ihr trefflicher Bormund, Fürst Wolfgang von Anhalt, besucht seine jun¬
gen Freunde und ladet sie zu sich nach Koswig ein. Um sie abholen zu
lassen, sendet er sogar zwei Schiffe nach Wittenberg. Es vergeht wohl kaum
eine Woche, wo "der gute Alte" nicht eine Keule, Buch und Blatt von einem
selbsterlegten wilden Schwein oder gar einen ganzen Hirsch, lebendige Neun¬
augen und fette Elblachse in die Küche seiner Mündel schickt. Auch die Edel¬
leute Hans von Thumm und Marschall Töfer sorgen fleißig für Wildprett
und Geflügel. Ochsen und getrocknete Fische, holländische Käse, Butter und
Lichte liefert die Heimath "zur Nothdurft!" Gar häufig sind nun Dr. Ca-
merarius und Dr. Peucer, der auch zugleich Arzt der jungen Fürsten ist,
und andere Professoren und viele Studenten bei I. F. G. zu Gast und helfen
all diese guten Braten von Herzen gern verzehren und leeren gar manchen
Becher edlen Weines und Zerbster Bieres auf die Gesundheit ihrer jungen
Wirthe. Dafür werden diese oft von ihren Gästen zu Doctorpromotionen
und zu -- Gevattern gebeten. Als Pathengeschenk dürfen sie -- je nach der
Gelegenheit und der Würde ihrer Gevattern -- einen, höchstens sechs Thaler
verehren.

Trotz der Neuheit und den Lockungen des lustigen academischen Lebens
vergessen unsere Studenten doch das Studiren und die Instruction nicht,
welche sie aus der Heimath mitnahmen. Sie stehn morgens um 6 Uhr auf
und legen sich abends um 9 Uhr mit dem Hofmeister schlafen. Gleich nach
dem Aufstehn lesen sie ein Capitel in Kramers Historien und in der Bibel,
worauf die Lectionen beginnen. "Suppendes und Drinkendes entschlagen sie
sich morgens gänzlich." Auf der Universität selbst hören sie täglich nur eine
öffentliche Lection, "da es ihrem fürstlichen Stande nicht wohl ansteht, oft
und viel des Tags in's Kollegium zu gehn." Zu Hause aber lesen sie fleißig
mit dem Magister Cäsar und Terenz und üben das Leu-omoon äomiui 1>1,i-
liM Lominczj, das Sleidanum und andere Historien, um neben dem Latei¬
nischen auch Historien zu lernen, Dialectiea und Moralphilosophie. Mitt¬
wochs und Sonnabends erfinden und componiren sie Argmnenta, "daß I. F G.
selbst etwas dichten und machen können!" Herzog Ernst Ludwig hört beim
Hofmeister und Magister täglich Civil-Recht und übt sich nach dem Essen
eine Stunde auf der Laute, welches "Exercitium I. F. G. künftig allerlei
Melancholie vertreiben kann."

Morgens um 10 und abends um 3 Uhr wird gegessen. Es giebt täglich
"ordinäre sechs Schüsseln und darüber nicht!" Nur wenn besonders ansehn¬
liche Leute zu Gast sind, weiß der Hofmeister "die Drinken nach Gelegenheit
zu reguliren!" Die Edelknaben warten bei Tisch auf.


bestimmt Johann Friedrich nach weidlicher Ueberlegung mit seinen Räthen —
2 Dublonen.

Ihr trefflicher Bormund, Fürst Wolfgang von Anhalt, besucht seine jun¬
gen Freunde und ladet sie zu sich nach Koswig ein. Um sie abholen zu
lassen, sendet er sogar zwei Schiffe nach Wittenberg. Es vergeht wohl kaum
eine Woche, wo „der gute Alte" nicht eine Keule, Buch und Blatt von einem
selbsterlegten wilden Schwein oder gar einen ganzen Hirsch, lebendige Neun¬
augen und fette Elblachse in die Küche seiner Mündel schickt. Auch die Edel¬
leute Hans von Thumm und Marschall Töfer sorgen fleißig für Wildprett
und Geflügel. Ochsen und getrocknete Fische, holländische Käse, Butter und
Lichte liefert die Heimath „zur Nothdurft!" Gar häufig sind nun Dr. Ca-
merarius und Dr. Peucer, der auch zugleich Arzt der jungen Fürsten ist,
und andere Professoren und viele Studenten bei I. F. G. zu Gast und helfen
all diese guten Braten von Herzen gern verzehren und leeren gar manchen
Becher edlen Weines und Zerbster Bieres auf die Gesundheit ihrer jungen
Wirthe. Dafür werden diese oft von ihren Gästen zu Doctorpromotionen
und zu — Gevattern gebeten. Als Pathengeschenk dürfen sie — je nach der
Gelegenheit und der Würde ihrer Gevattern — einen, höchstens sechs Thaler
verehren.

Trotz der Neuheit und den Lockungen des lustigen academischen Lebens
vergessen unsere Studenten doch das Studiren und die Instruction nicht,
welche sie aus der Heimath mitnahmen. Sie stehn morgens um 6 Uhr auf
und legen sich abends um 9 Uhr mit dem Hofmeister schlafen. Gleich nach
dem Aufstehn lesen sie ein Capitel in Kramers Historien und in der Bibel,
worauf die Lectionen beginnen. „Suppendes und Drinkendes entschlagen sie
sich morgens gänzlich." Auf der Universität selbst hören sie täglich nur eine
öffentliche Lection, „da es ihrem fürstlichen Stande nicht wohl ansteht, oft
und viel des Tags in's Kollegium zu gehn." Zu Hause aber lesen sie fleißig
mit dem Magister Cäsar und Terenz und üben das Leu-omoon äomiui 1>1,i-
liM Lominczj, das Sleidanum und andere Historien, um neben dem Latei¬
nischen auch Historien zu lernen, Dialectiea und Moralphilosophie. Mitt¬
wochs und Sonnabends erfinden und componiren sie Argmnenta, „daß I. F G.
selbst etwas dichten und machen können!" Herzog Ernst Ludwig hört beim
Hofmeister und Magister täglich Civil-Recht und übt sich nach dem Essen
eine Stunde auf der Laute, welches „Exercitium I. F. G. künftig allerlei
Melancholie vertreiben kann."

Morgens um 10 und abends um 3 Uhr wird gegessen. Es giebt täglich
„ordinäre sechs Schüsseln und darüber nicht!" Nur wenn besonders ansehn¬
liche Leute zu Gast sind, weiß der Hofmeister „die Drinken nach Gelegenheit
zu reguliren!" Die Edelknaben warten bei Tisch auf.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/21>, abgerufen am 05.02.2025.