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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Der eigentliche Zweck der napoleonischen Politik aber, welcher das Buch
des Herrn Benedetti inspirirt hat, dürfte in der Abwendung der moralischen
Niederlage zu suchen sein, welche die Enthüllung der napoleonischen Anschläge
gegen Belgien dem Kaiser gebracht. Die Familie Bonaparte schmeichelt sich
mit dem Gedanken einer früheren oder späteren Rückkehr auf den Thron
Frankreichs. Das ist äußerst natürlich. Die bonapartische Politik rechnet
einstweilen weder in Petersburg noch in Wien noch in Rom d. i. in dem
Rom des Königs von Italien, darauf, Sympathien für ihre Wiederherstellung
zu finden. Sie rechnet und verrechnet sich vielleicht einstweilen nur noch mit
Sympathien, die sie in England glaubt finden zu können. Sie meint viel¬
leicht, der wiedergefundene Aneinanderschluß der continentalen Ostmächte be¬
dinge von selbst eine Wiederanlehnung Englands an Frankreich, wie in den
Zeiten Louis Philipps, und England wisse, daß England auf den Thron
Frankreichs sich keinen bessern Alliirten wünschen könne, als Napoleon III.'
oder seinen Nachfolger. Hat nicht Napoleon III. an Englands Seite im
Wesentlichen für Englands Interesse den Krimkrieg geführt?

Nichts aber hat die englischen Sympathien für Napoleon III. so stark
und so dauernd erkältet, als die Enthüllung seiner Anschläge auf Belgien.
Diese Enthüllung muß um jeden Preis ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Dies
ist eins der nächsten Gebote der napoleonischen Action. Der Herr und der
Diener treffen in ihrem Interesse hier lebhaft zusammen. Für den diploma¬
tischen Ruf des Grafen Benedetti war es ein tödtlicher Schlag, daß die Art
und Weise an den Tag gekommen, mit welcher er die Theilnahme an den
französischen Anschlägen auf Belgien hatte dem Fürsten Bismarck aufdringen
wollen. Der Herr und der Diener, so scheint es, haben gemeinschaftlich die
Actenstücke redigirt, deren Kundmachung den Herren befreien soll von dem
Verdacht abenteuerlichen Ehrgeizes, den Diener von dem Vorwurf täppischer
Ungeschicktheit.

Die Actenstücke konnten es freilich nicht allein thun, es mußte eine Fabel
hinzukommen. Als Fabeldichter indeß haben Herr und Diener kein bemer¬
kenswerthes Geschick gezeigt und die Gemeinsamkeit ihrer Autorschaft hat
nicht wie bei mancher französischen Fabel das Genie der Erfindung befruchtet.
Gleich nach der Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 versicherte
Herr Benedetti: der Belgien betreffende Vertragsentwurf sei ihm auf dem
Zimmer des Fürsten Bismarck von dem Letzteren in die Feder dictirt worden.
Etwas Besseres ist Herrn Benedetti auch heute noch nicht eingefallen. Ueber
den Werth des Einfalls aber hat das Gelächter der Welt gerichtet.

Der Einfall des Herrn Benedetti besagt, daß Fürst Bismarck dem fran¬
zösischen Botschafter ein Vertragsconeept dictirt hat, um es in den preußi¬
schen Archiven aufzubewahren. Seit wann lassen sich die Botschafter zu solchen


Der eigentliche Zweck der napoleonischen Politik aber, welcher das Buch
des Herrn Benedetti inspirirt hat, dürfte in der Abwendung der moralischen
Niederlage zu suchen sein, welche die Enthüllung der napoleonischen Anschläge
gegen Belgien dem Kaiser gebracht. Die Familie Bonaparte schmeichelt sich
mit dem Gedanken einer früheren oder späteren Rückkehr auf den Thron
Frankreichs. Das ist äußerst natürlich. Die bonapartische Politik rechnet
einstweilen weder in Petersburg noch in Wien noch in Rom d. i. in dem
Rom des Königs von Italien, darauf, Sympathien für ihre Wiederherstellung
zu finden. Sie rechnet und verrechnet sich vielleicht einstweilen nur noch mit
Sympathien, die sie in England glaubt finden zu können. Sie meint viel¬
leicht, der wiedergefundene Aneinanderschluß der continentalen Ostmächte be¬
dinge von selbst eine Wiederanlehnung Englands an Frankreich, wie in den
Zeiten Louis Philipps, und England wisse, daß England auf den Thron
Frankreichs sich keinen bessern Alliirten wünschen könne, als Napoleon III.'
oder seinen Nachfolger. Hat nicht Napoleon III. an Englands Seite im
Wesentlichen für Englands Interesse den Krimkrieg geführt?

Nichts aber hat die englischen Sympathien für Napoleon III. so stark
und so dauernd erkältet, als die Enthüllung seiner Anschläge auf Belgien.
Diese Enthüllung muß um jeden Preis ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Dies
ist eins der nächsten Gebote der napoleonischen Action. Der Herr und der
Diener treffen in ihrem Interesse hier lebhaft zusammen. Für den diploma¬
tischen Ruf des Grafen Benedetti war es ein tödtlicher Schlag, daß die Art
und Weise an den Tag gekommen, mit welcher er die Theilnahme an den
französischen Anschlägen auf Belgien hatte dem Fürsten Bismarck aufdringen
wollen. Der Herr und der Diener, so scheint es, haben gemeinschaftlich die
Actenstücke redigirt, deren Kundmachung den Herren befreien soll von dem
Verdacht abenteuerlichen Ehrgeizes, den Diener von dem Vorwurf täppischer
Ungeschicktheit.

Die Actenstücke konnten es freilich nicht allein thun, es mußte eine Fabel
hinzukommen. Als Fabeldichter indeß haben Herr und Diener kein bemer¬
kenswerthes Geschick gezeigt und die Gemeinsamkeit ihrer Autorschaft hat
nicht wie bei mancher französischen Fabel das Genie der Erfindung befruchtet.
Gleich nach der Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 versicherte
Herr Benedetti: der Belgien betreffende Vertragsentwurf sei ihm auf dem
Zimmer des Fürsten Bismarck von dem Letzteren in die Feder dictirt worden.
Etwas Besseres ist Herrn Benedetti auch heute noch nicht eingefallen. Ueber
den Werth des Einfalls aber hat das Gelächter der Welt gerichtet.

Der Einfall des Herrn Benedetti besagt, daß Fürst Bismarck dem fran¬
zösischen Botschafter ein Vertragsconeept dictirt hat, um es in den preußi¬
schen Archiven aufzubewahren. Seit wann lassen sich die Botschafter zu solchen


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[0199] Der eigentliche Zweck der napoleonischen Politik aber, welcher das Buch des Herrn Benedetti inspirirt hat, dürfte in der Abwendung der moralischen Niederlage zu suchen sein, welche die Enthüllung der napoleonischen Anschläge gegen Belgien dem Kaiser gebracht. Die Familie Bonaparte schmeichelt sich mit dem Gedanken einer früheren oder späteren Rückkehr auf den Thron Frankreichs. Das ist äußerst natürlich. Die bonapartische Politik rechnet einstweilen weder in Petersburg noch in Wien noch in Rom d. i. in dem Rom des Königs von Italien, darauf, Sympathien für ihre Wiederherstellung zu finden. Sie rechnet und verrechnet sich vielleicht einstweilen nur noch mit Sympathien, die sie in England glaubt finden zu können. Sie meint viel¬ leicht, der wiedergefundene Aneinanderschluß der continentalen Ostmächte be¬ dinge von selbst eine Wiederanlehnung Englands an Frankreich, wie in den Zeiten Louis Philipps, und England wisse, daß England auf den Thron Frankreichs sich keinen bessern Alliirten wünschen könne, als Napoleon III.' oder seinen Nachfolger. Hat nicht Napoleon III. an Englands Seite im Wesentlichen für Englands Interesse den Krimkrieg geführt? Nichts aber hat die englischen Sympathien für Napoleon III. so stark und so dauernd erkältet, als die Enthüllung seiner Anschläge auf Belgien. Diese Enthüllung muß um jeden Preis ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Dies ist eins der nächsten Gebote der napoleonischen Action. Der Herr und der Diener treffen in ihrem Interesse hier lebhaft zusammen. Für den diploma¬ tischen Ruf des Grafen Benedetti war es ein tödtlicher Schlag, daß die Art und Weise an den Tag gekommen, mit welcher er die Theilnahme an den französischen Anschlägen auf Belgien hatte dem Fürsten Bismarck aufdringen wollen. Der Herr und der Diener, so scheint es, haben gemeinschaftlich die Actenstücke redigirt, deren Kundmachung den Herren befreien soll von dem Verdacht abenteuerlichen Ehrgeizes, den Diener von dem Vorwurf täppischer Ungeschicktheit. Die Actenstücke konnten es freilich nicht allein thun, es mußte eine Fabel hinzukommen. Als Fabeldichter indeß haben Herr und Diener kein bemer¬ kenswerthes Geschick gezeigt und die Gemeinsamkeit ihrer Autorschaft hat nicht wie bei mancher französischen Fabel das Genie der Erfindung befruchtet. Gleich nach der Note des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870 versicherte Herr Benedetti: der Belgien betreffende Vertragsentwurf sei ihm auf dem Zimmer des Fürsten Bismarck von dem Letzteren in die Feder dictirt worden. Etwas Besseres ist Herrn Benedetti auch heute noch nicht eingefallen. Ueber den Werth des Einfalls aber hat das Gelächter der Welt gerichtet. Der Einfall des Herrn Benedetti besagt, daß Fürst Bismarck dem fran¬ zösischen Botschafter ein Vertragsconeept dictirt hat, um es in den preußi¬ schen Archiven aufzubewahren. Seit wann lassen sich die Botschafter zu solchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/199>, abgerufen am 05.02.2025.