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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Diensten herbei? Seit wann ist das Papier der französischen Botschaft das
Conceptpapier des auswärtigen Amtes in Preußen? Wenn Herr Benedetti
wirklich jemals nach dem Dictat des Fürsten Bismarck geschrieben, so hätte
er es doch nur thun können, um den allfälligen Inhalt seiner, der franzö¬
sischen Regierung zu Gesicht zu bringen.

Noch größer womöglich ist die innere UnWahrscheinlichkeit der Benedetti'-
schen Fabel. Fürst Bismarck soll der napoleonischen Negierung den bewaff¬
neten Beistand Preußens zur Eroberung Belgiens aufgedrungen haben! Wer
möchte glauben, von allen neuerlichen Enthüllungen abgesehen, daß Napoleon III.
so etwas zurückgewiesen hätte, und wer möchte sich nur einen Augenblick
überreden, daß Fürst Bismarck ein solches Anerbieten gemacht? Zu welchem
Zweck, muß man doch fragen. Hat Fürst Bismarck nicht gezeigt, daß er die
Zwecke der deutschen Politik ohne Frankreich und gegen Frankreich zu erreichen
verstand? Waren diese Zwecke im August 1866, in welche Zeit Herr Bene¬
detti die Entstehung des fraglichen Vertragsentwurfes, jedenfalls ganz richtig
versetzt, nicht schon im Wesentlichen erreicht? Hatte Fürst Bismarck die Bünd-
nißverträge mit Süddeutschland nicht bereits abgeschlossen? Wäre es möglich,
daß er Belgien den Franzosen hätte ausliefern wollen, geschweige denn seine
starke Hand zu dieser Erwerbung leihen, um seinerseits nichts zu gewinnen,
als die Erlaubniß, Süddeutschland unter den erschwerenden Bedingungen des
Vertragsentwurfs an sich heranziehen zu dürfen, das er so zu sagen schon in
der Tasche hatte?

Betrachten wir nun, welche Mittel Herr Benedetti in feiner neuesten
Schrift anwendet, um allen diesen UnWahrscheinlichkeiten zu begegnen. Er
behandelt den Gegenstand in einem Capitel, welches die Ueberschrift führt:
"Die verschiedenen Vertragsentwürfe, welche den Gegenstand vertraulicher Unter¬
handlungen in Berlin gebildet haben." Auffällig ist zunächst, daß Herr Bene¬
detti den in der Circular-Depesche des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870
wiedergegebenen Vertragsentwurf ganz mit Stillschweigen übergeht, welcher
im Jahre 1866 französischerseits zu der Zeit geplant wurde, als dem drohen¬
den Krieg zwischen Preußen und Oestreich durch eine europäische Konferenz
vorgebeugt werden sollte. In diesem Entwurf verlangte Frankreich das Gebiet
zwischen Rhein und Mosel gegen Zusicherung seines bewaffneten Beistandes
für Preußens Vergrößerung in Deutschland. Indessen mag Herr Benedetti
zu dieser Uebergehung die besten Gründe gehabt haben. Ihm liegt weit mehr,
wie es scheint, an der Entkräftung des Verdachtes französischer Anschläge
gegen Belgien. Zu diesem Zweck schafft der ehemalige Botschafter einen weit¬
läufigen Apparat herbei zur Begründung seiner Versicherung, die Pläne ge¬
gen Belgien kämen allein auf Rechnung des Fürsten Bismarck. Herr Bene¬
detti theilt zu diesem Zweck Berichte mit, die er im Juli 1866 aus dem


Diensten herbei? Seit wann ist das Papier der französischen Botschaft das
Conceptpapier des auswärtigen Amtes in Preußen? Wenn Herr Benedetti
wirklich jemals nach dem Dictat des Fürsten Bismarck geschrieben, so hätte
er es doch nur thun können, um den allfälligen Inhalt seiner, der franzö¬
sischen Regierung zu Gesicht zu bringen.

Noch größer womöglich ist die innere UnWahrscheinlichkeit der Benedetti'-
schen Fabel. Fürst Bismarck soll der napoleonischen Negierung den bewaff¬
neten Beistand Preußens zur Eroberung Belgiens aufgedrungen haben! Wer
möchte glauben, von allen neuerlichen Enthüllungen abgesehen, daß Napoleon III.
so etwas zurückgewiesen hätte, und wer möchte sich nur einen Augenblick
überreden, daß Fürst Bismarck ein solches Anerbieten gemacht? Zu welchem
Zweck, muß man doch fragen. Hat Fürst Bismarck nicht gezeigt, daß er die
Zwecke der deutschen Politik ohne Frankreich und gegen Frankreich zu erreichen
verstand? Waren diese Zwecke im August 1866, in welche Zeit Herr Bene¬
detti die Entstehung des fraglichen Vertragsentwurfes, jedenfalls ganz richtig
versetzt, nicht schon im Wesentlichen erreicht? Hatte Fürst Bismarck die Bünd-
nißverträge mit Süddeutschland nicht bereits abgeschlossen? Wäre es möglich,
daß er Belgien den Franzosen hätte ausliefern wollen, geschweige denn seine
starke Hand zu dieser Erwerbung leihen, um seinerseits nichts zu gewinnen,
als die Erlaubniß, Süddeutschland unter den erschwerenden Bedingungen des
Vertragsentwurfs an sich heranziehen zu dürfen, das er so zu sagen schon in
der Tasche hatte?

Betrachten wir nun, welche Mittel Herr Benedetti in feiner neuesten
Schrift anwendet, um allen diesen UnWahrscheinlichkeiten zu begegnen. Er
behandelt den Gegenstand in einem Capitel, welches die Ueberschrift führt:
„Die verschiedenen Vertragsentwürfe, welche den Gegenstand vertraulicher Unter¬
handlungen in Berlin gebildet haben." Auffällig ist zunächst, daß Herr Bene¬
detti den in der Circular-Depesche des deutschen Kanzlers vom 29. Juli 1870
wiedergegebenen Vertragsentwurf ganz mit Stillschweigen übergeht, welcher
im Jahre 1866 französischerseits zu der Zeit geplant wurde, als dem drohen¬
den Krieg zwischen Preußen und Oestreich durch eine europäische Konferenz
vorgebeugt werden sollte. In diesem Entwurf verlangte Frankreich das Gebiet
zwischen Rhein und Mosel gegen Zusicherung seines bewaffneten Beistandes
für Preußens Vergrößerung in Deutschland. Indessen mag Herr Benedetti
zu dieser Uebergehung die besten Gründe gehabt haben. Ihm liegt weit mehr,
wie es scheint, an der Entkräftung des Verdachtes französischer Anschläge
gegen Belgien. Zu diesem Zweck schafft der ehemalige Botschafter einen weit¬
läufigen Apparat herbei zur Begründung seiner Versicherung, die Pläne ge¬
gen Belgien kämen allein auf Rechnung des Fürsten Bismarck. Herr Bene¬
detti theilt zu diesem Zweck Berichte mit, die er im Juli 1866 aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/200>, abgerufen am 05.02.2025.