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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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versucht, den Sinn seines Schwiegersohnes sich zu gewinnen und ihn für die
spanischen Gesichtspunkte zu formen? Wir wissen es nicht, aber als Ver¬
muthung dürfen wir es aussprechen und für wahrscheinlich halten. Jeden¬
falls hat Philipp sich nicht als Werkzeug Ferdinand's wollen behandeln lassen
und hat nachher offene Feindschaft nicht gescheut.

Nicht bis zum Ende sollte die so segensreiche und erfolggekrönte Regie¬
rung der katholischen Könige als gemeinsame fortdauern: schon 1504 starb
Königin Jsabella, zwölf Jahre vor ihrem Gatten, auf's heftigste von ihrer
Nation betrauert.

Eine eigenthümliche Verwicklung in Spaniens Zuständen rief ihr Tod
hervor. Die Krone von Castilien war nun erledigt, Ferdinand von Aragon
-- wir erinnern an die frühere Bemerkung, daß er nur als Rathgeber der
Frau in Castilien gewirkt, daß formell die Selbstständigkeit der Kronen hatte
beibehalten werden müssen -- Ferdinand hatte nun in Castilien nichts mehr
zu befehlen. König von Castilien war jetzt Juana, das heißt, das Habsbur¬
gische Regiment, die Habsburgische Politik mußte in die inneren Zustände der
Halbinsel eingreifen. Juana selbst litt an geistiger Störung, und war per¬
sönlich zur Führung der Geschäfte unfähig.

Wenn daher die factische Negierung Philipp's die Folge sein mußte, so
hatte Königin Jsabella, dieser Wendung vorzubeugen, angeordnet: bei Ver¬
hinderung ihrer Tochter solle Ferdinand die Regentschaft übernehmen; und
die caflilischen Cortes hatten diese Anordnung ratificirt. Aber Philipp erhob
Einsprache. Hin und her wurde verhandelt und gestritten -- zuletzt mußte
Ferdinand sich fügen: im Sommer 1506 räumte er das Feld, ging nach Ara¬
gon und Neapel, zunächst ganz aus dem Wege zu sein. Seine Hoffnung
war, daß die unsinnige Wirthschaft der niederländischen Umgebung Philipp's
Unruhen in Castilien erzeugen würde, durch die seine Rückberufung ermög¬
licht werden könnte. Ehe dies zur That gereift, plötzlich im September 1306
starb Philipp, zum großen Glücke für Ferdinand und Spanien. Die Habs¬
burgische Episode war einstweilen ausgespielt und seit Juli 1507 hatte die
Zügel in Castilien wie in Aragon wieder Ferdinand gemeinschaftlich in der
Hand, dort als Vormund seiner kranken Tochter und seines unmündigen
Enkels, hier aus eigenem Rechte wie früher. In den alten Bahnen ging die
Entwicklung jetzt ungestört wieder vorwärts.

Und noch einen großen bleibenden Erfolg für Spaniens Zukunft haben
die Annalen seiner Geschichte verzeichnet. Die seit seinem Regierungsantritt
so consequent gewünschte Abrundung nach Norden fand er Gelegenheit noch



") Gegen die neuerdings vorgetragene Hypothese des Gegentheiles verweise ich auf meine
Abhandlung in den Preußischen Jahrbüchern, März 1870 (XXV. 2t>0 Sö.)

versucht, den Sinn seines Schwiegersohnes sich zu gewinnen und ihn für die
spanischen Gesichtspunkte zu formen? Wir wissen es nicht, aber als Ver¬
muthung dürfen wir es aussprechen und für wahrscheinlich halten. Jeden¬
falls hat Philipp sich nicht als Werkzeug Ferdinand's wollen behandeln lassen
und hat nachher offene Feindschaft nicht gescheut.

Nicht bis zum Ende sollte die so segensreiche und erfolggekrönte Regie¬
rung der katholischen Könige als gemeinsame fortdauern: schon 1504 starb
Königin Jsabella, zwölf Jahre vor ihrem Gatten, auf's heftigste von ihrer
Nation betrauert.

Eine eigenthümliche Verwicklung in Spaniens Zuständen rief ihr Tod
hervor. Die Krone von Castilien war nun erledigt, Ferdinand von Aragon
— wir erinnern an die frühere Bemerkung, daß er nur als Rathgeber der
Frau in Castilien gewirkt, daß formell die Selbstständigkeit der Kronen hatte
beibehalten werden müssen — Ferdinand hatte nun in Castilien nichts mehr
zu befehlen. König von Castilien war jetzt Juana, das heißt, das Habsbur¬
gische Regiment, die Habsburgische Politik mußte in die inneren Zustände der
Halbinsel eingreifen. Juana selbst litt an geistiger Störung, und war per¬
sönlich zur Führung der Geschäfte unfähig.

Wenn daher die factische Negierung Philipp's die Folge sein mußte, so
hatte Königin Jsabella, dieser Wendung vorzubeugen, angeordnet: bei Ver¬
hinderung ihrer Tochter solle Ferdinand die Regentschaft übernehmen; und
die caflilischen Cortes hatten diese Anordnung ratificirt. Aber Philipp erhob
Einsprache. Hin und her wurde verhandelt und gestritten — zuletzt mußte
Ferdinand sich fügen: im Sommer 1506 räumte er das Feld, ging nach Ara¬
gon und Neapel, zunächst ganz aus dem Wege zu sein. Seine Hoffnung
war, daß die unsinnige Wirthschaft der niederländischen Umgebung Philipp's
Unruhen in Castilien erzeugen würde, durch die seine Rückberufung ermög¬
licht werden könnte. Ehe dies zur That gereift, plötzlich im September 1306
starb Philipp, zum großen Glücke für Ferdinand und Spanien. Die Habs¬
burgische Episode war einstweilen ausgespielt und seit Juli 1507 hatte die
Zügel in Castilien wie in Aragon wieder Ferdinand gemeinschaftlich in der
Hand, dort als Vormund seiner kranken Tochter und seines unmündigen
Enkels, hier aus eigenem Rechte wie früher. In den alten Bahnen ging die
Entwicklung jetzt ungestört wieder vorwärts.

Und noch einen großen bleibenden Erfolg für Spaniens Zukunft haben
die Annalen seiner Geschichte verzeichnet. Die seit seinem Regierungsantritt
so consequent gewünschte Abrundung nach Norden fand er Gelegenheit noch



") Gegen die neuerdings vorgetragene Hypothese des Gegentheiles verweise ich auf meine
Abhandlung in den Preußischen Jahrbüchern, März 1870 (XXV. 2t>0 Sö.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/178>, abgerufen am 05.02.2025.