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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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durchzusetzen. Nachdem er seit 1S06 eine Zeit lang in freundlichen Bespre¬
chungen und Verhandlungen mit der rivalisirenden französischen Macht sich
bewegt hatte (wir werden sogleich das Thema derselben bezeichnen), brachte
er 1511 in ähnlich geschickter Weise, wie schon einmal 149", eine neue allge¬
meine Coalition gegen Frankreich zu Stande, um Ludwigs XII. das Gleich,
gewicht störende italienische Politik zu bestreiten. Auf dem Boden Italiens
erfochten die Spanier dies Mal weniger Lorbeeren, -- es war gar nicht
Ferdinands Absicht dorthin auf entscheidende Schläge oder schnelle Resultate
gerichtet -- das Gut, dessen Besitz ihn reizte, lag vielmehr an der spanisch¬
französischen Grenze, es war das oft begehrte Navarra. Gestützt auf eine
Päpstliche Bulle wider des Franzosenkönigs Helfer, gleichsam als Vollstrecker
eines himmlischen Urtheilsspruches, in mitten dieses die Franzosen vollauf be¬
schäftigenden Krieges ließ er in Navarra seine Truppen einbrechen und das
Land besetzen. Nachher hat er es behauptet und bis in die Pyrenäen die
Grenze gegen Frankreich vorgeschoben. Die Annexion des spanischen Navarra
ist eine vollendete Thatsache geblieben.

Bis zu seinem Tode hatte also Ferdinand die spanischen Geschicke noch in
seiner Hand. Und später mußte einer seiner Enkel -- außer Karl, hatte Juana
ILOZ in Spanien noch einen zweiten Sohn geboren, Ferdinand -- die beiden
Kronen von Castilien und Aragon, nebst Navarra und Gra-nada, ungetheilt
empfangen: die spanische Monarchie in ihrer einheitlichen Gestaltung mußte
ünmer mehr das vorzüglichste Resultat dieser Epoche der katholischen Könige
werden.

Weniger klar und einfach gestalteten sich die italischen Verhältnisse. Wir
sahen. Neapel war glücklich gewonnen und einstweilen bei der spanischen
Krone verblieben. Dagegen war das Herzogthum Mailand, also die Herr¬
schaft über Norditalien, noch immer ein Besitz, den alle Welt begehrte und
dessen Zukunft Ferdinand nicht gleichgültig bleiben konnte: solange die fran¬
zösischen Ansprüche auf Mailand aufrecht erhalten wurden, war auch Neapel
der spanischen Hand nicht gesichert. Mit wechselndem Glücke, aber mit hart¬
näckigem Entschlüsse strebten die Franzosen und die Habsburger sich in den
besitz Mailands zu setzen. Jtalische Patrioten und italische Prätendenten
hofften als unabhängigen italischen Staat es erhalten zu können: militärische
und diplomatische Feldzüge sind vierzig Jahre hindurch um Mailand geführt
Worden : bunteren Wechsel seiner Herrscher hat dies lombardische Land niemals
gesehen. Ferdinand von Spanien hat nun -- soweit wir wenigstens aus
seinen einzelnen Akten seinen Grundgedanken zu verstehen im Stande sind --
von dem Augenblicke an, daß die Zukunft des habsburgisch - spanischen Ge-
sammtreicheö in Aussicht stand, seinerseits einen eigenen Gedanken verfolgt,
der als Basis eines Comprvmisses zwischen den Parteien aufgestellt zu werden


durchzusetzen. Nachdem er seit 1S06 eine Zeit lang in freundlichen Bespre¬
chungen und Verhandlungen mit der rivalisirenden französischen Macht sich
bewegt hatte (wir werden sogleich das Thema derselben bezeichnen), brachte
er 1511 in ähnlich geschickter Weise, wie schon einmal 149«, eine neue allge¬
meine Coalition gegen Frankreich zu Stande, um Ludwigs XII. das Gleich,
gewicht störende italienische Politik zu bestreiten. Auf dem Boden Italiens
erfochten die Spanier dies Mal weniger Lorbeeren, — es war gar nicht
Ferdinands Absicht dorthin auf entscheidende Schläge oder schnelle Resultate
gerichtet — das Gut, dessen Besitz ihn reizte, lag vielmehr an der spanisch¬
französischen Grenze, es war das oft begehrte Navarra. Gestützt auf eine
Päpstliche Bulle wider des Franzosenkönigs Helfer, gleichsam als Vollstrecker
eines himmlischen Urtheilsspruches, in mitten dieses die Franzosen vollauf be¬
schäftigenden Krieges ließ er in Navarra seine Truppen einbrechen und das
Land besetzen. Nachher hat er es behauptet und bis in die Pyrenäen die
Grenze gegen Frankreich vorgeschoben. Die Annexion des spanischen Navarra
ist eine vollendete Thatsache geblieben.

Bis zu seinem Tode hatte also Ferdinand die spanischen Geschicke noch in
seiner Hand. Und später mußte einer seiner Enkel — außer Karl, hatte Juana
ILOZ in Spanien noch einen zweiten Sohn geboren, Ferdinand — die beiden
Kronen von Castilien und Aragon, nebst Navarra und Gra-nada, ungetheilt
empfangen: die spanische Monarchie in ihrer einheitlichen Gestaltung mußte
ünmer mehr das vorzüglichste Resultat dieser Epoche der katholischen Könige
werden.

Weniger klar und einfach gestalteten sich die italischen Verhältnisse. Wir
sahen. Neapel war glücklich gewonnen und einstweilen bei der spanischen
Krone verblieben. Dagegen war das Herzogthum Mailand, also die Herr¬
schaft über Norditalien, noch immer ein Besitz, den alle Welt begehrte und
dessen Zukunft Ferdinand nicht gleichgültig bleiben konnte: solange die fran¬
zösischen Ansprüche auf Mailand aufrecht erhalten wurden, war auch Neapel
der spanischen Hand nicht gesichert. Mit wechselndem Glücke, aber mit hart¬
näckigem Entschlüsse strebten die Franzosen und die Habsburger sich in den
besitz Mailands zu setzen. Jtalische Patrioten und italische Prätendenten
hofften als unabhängigen italischen Staat es erhalten zu können: militärische
und diplomatische Feldzüge sind vierzig Jahre hindurch um Mailand geführt
Worden : bunteren Wechsel seiner Herrscher hat dies lombardische Land niemals
gesehen. Ferdinand von Spanien hat nun — soweit wir wenigstens aus
seinen einzelnen Akten seinen Grundgedanken zu verstehen im Stande sind —
von dem Augenblicke an, daß die Zukunft des habsburgisch - spanischen Ge-
sammtreicheö in Aussicht stand, seinerseits einen eigenen Gedanken verfolgt,
der als Basis eines Comprvmisses zwischen den Parteien aufgestellt zu werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/179>, abgerufen am 05.02.2025.