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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Phrenäische Reich herbeizuführen --- den Tod seiner Kinder und Enkel zu
hindern, war er nicht Meister.

Damals, an der Schwelle des neuen Jahrhunderts, waren schon ganz
neue Combinationen in der politischen Welt aufgetaucht. Der große Um¬
schwung in der Gesammtlage Europa's hatte'sich damals schon angedeutet:
die großen politischen Ereignisse des sechszehnten Jahrhunderts haben gleich
in die ersten Anfänge ihre Schatten hineinfallen lassen. Bisher hatte über
Europa die französische Herrschaft als drohende Wolke sich gezeigt, -- jetzt
trat der ungeheuere Koloß der habsburgischen Weltmonarchie aus dem Reiche
der Träume und Phantasien in die Wirklichkeit unheilschwanger hinein. Bis¬
her hatten dem Habsburgischen Projectenmacher, Kaiser Maximilian I., die
Mittel gefehlt, seine ungeheuerlichen Eroberungs- und Herrschaftsgelüste zu
verwirklichen; bisher hatte gerade der Gegensatz zwischen seinen Plänen und
seinen Machtmitteln den römischen Kaiser in etwas zweifelhafter, grotesker
Beleuchtung gezeigt: das war nun doch ganz anders. Wenn wirklich zu dem
Besitze der Niederlande und der östreichischen Herzogthümer, zu den mit hef¬
tigem Verlangen umworbener ungarischen und böhmischen Kronen, zu allen
den Ansprüchen und Forderungen auf die Schweiz, auf Italien, auf Bur¬
gund , -- wenn wirklich zu allem diesem Habsburgischen Zukunftsmateriale die
solide, kräftige, leistungsfähige und in nationaler Kraft sich entfaltende spa¬
nische Monarchie hinzugebracht werden sollte, dann in der That schien die
Universalmonarchie in Fleisch und Blut sich darstellen zu können, und jeden¬
falls die Hegemonie in Europa an das Habsburgische Reich übergehen zu
Müssen. Und seit dem Spätsommer 1500, seit Juana die spanische Erbin
geworden, stand diese Zukunft in Aussicht.

Dies Ende hatte Ferdinand der Habsburgischen Ehe nicht vorgezeichnet
gehabt. Er hatte nicht die Vereinigung der Häuser Habsburg und Spanien
w einem Haupte, sondern allein ein politisches Bündniß der beiden gegen die
französischen Uebergriffe erstrebt: von jeder Intimität mit Max hatte er sich
weislich fern gehalten; wiederholt hatte er ihn benutzt, und wiederholt auch
die Verbindung mit ihm gelockert und durch Kompromisse mit Frankreich vor¬
wärts gearbeitet. Auch jetzt, nach 1500, schloß er sich nicht unbedingt an
d'e Wünsche der Habsburger an; und mehr wie einmal sind Ferdinand und
Max auf dem Punkte gewesen, offen mit einander zu brechen und in feind¬
lichem Zusammenstoße die dereinst zur Gemeinsamkeit bestimmten Staatswesen
f^es versuchen zu lassen.'

Gegen die Erbfolge Juanas war nichts zu machen: als eine gegebene
^röße mußte Ferdinand sie acceptiren. Im Jahre 1502 kamen Juana und
Gemahl, der Erzherzog Philipp, nach Spanien und nahmen die Erbhul-
^gnug der Cortes des Landes entgegen. Ob Ferdinand wohl in dieser Zeit


Grenzboten II. 1871. 92

Phrenäische Reich herbeizuführen —- den Tod seiner Kinder und Enkel zu
hindern, war er nicht Meister.

Damals, an der Schwelle des neuen Jahrhunderts, waren schon ganz
neue Combinationen in der politischen Welt aufgetaucht. Der große Um¬
schwung in der Gesammtlage Europa's hatte'sich damals schon angedeutet:
die großen politischen Ereignisse des sechszehnten Jahrhunderts haben gleich
in die ersten Anfänge ihre Schatten hineinfallen lassen. Bisher hatte über
Europa die französische Herrschaft als drohende Wolke sich gezeigt, — jetzt
trat der ungeheuere Koloß der habsburgischen Weltmonarchie aus dem Reiche
der Träume und Phantasien in die Wirklichkeit unheilschwanger hinein. Bis¬
her hatten dem Habsburgischen Projectenmacher, Kaiser Maximilian I., die
Mittel gefehlt, seine ungeheuerlichen Eroberungs- und Herrschaftsgelüste zu
verwirklichen; bisher hatte gerade der Gegensatz zwischen seinen Plänen und
seinen Machtmitteln den römischen Kaiser in etwas zweifelhafter, grotesker
Beleuchtung gezeigt: das war nun doch ganz anders. Wenn wirklich zu dem
Besitze der Niederlande und der östreichischen Herzogthümer, zu den mit hef¬
tigem Verlangen umworbener ungarischen und böhmischen Kronen, zu allen
den Ansprüchen und Forderungen auf die Schweiz, auf Italien, auf Bur¬
gund , — wenn wirklich zu allem diesem Habsburgischen Zukunftsmateriale die
solide, kräftige, leistungsfähige und in nationaler Kraft sich entfaltende spa¬
nische Monarchie hinzugebracht werden sollte, dann in der That schien die
Universalmonarchie in Fleisch und Blut sich darstellen zu können, und jeden¬
falls die Hegemonie in Europa an das Habsburgische Reich übergehen zu
Müssen. Und seit dem Spätsommer 1500, seit Juana die spanische Erbin
geworden, stand diese Zukunft in Aussicht.

Dies Ende hatte Ferdinand der Habsburgischen Ehe nicht vorgezeichnet
gehabt. Er hatte nicht die Vereinigung der Häuser Habsburg und Spanien
w einem Haupte, sondern allein ein politisches Bündniß der beiden gegen die
französischen Uebergriffe erstrebt: von jeder Intimität mit Max hatte er sich
weislich fern gehalten; wiederholt hatte er ihn benutzt, und wiederholt auch
die Verbindung mit ihm gelockert und durch Kompromisse mit Frankreich vor¬
wärts gearbeitet. Auch jetzt, nach 1500, schloß er sich nicht unbedingt an
d'e Wünsche der Habsburger an; und mehr wie einmal sind Ferdinand und
Max auf dem Punkte gewesen, offen mit einander zu brechen und in feind¬
lichem Zusammenstoße die dereinst zur Gemeinsamkeit bestimmten Staatswesen
f^es versuchen zu lassen.'

Gegen die Erbfolge Juanas war nichts zu machen: als eine gegebene
^röße mußte Ferdinand sie acceptiren. Im Jahre 1502 kamen Juana und
Gemahl, der Erzherzog Philipp, nach Spanien und nahmen die Erbhul-
^gnug der Cortes des Landes entgegen. Ob Ferdinand wohl in dieser Zeit


Grenzboten II. 1871. 92
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[0177] Phrenäische Reich herbeizuführen —- den Tod seiner Kinder und Enkel zu hindern, war er nicht Meister. Damals, an der Schwelle des neuen Jahrhunderts, waren schon ganz neue Combinationen in der politischen Welt aufgetaucht. Der große Um¬ schwung in der Gesammtlage Europa's hatte'sich damals schon angedeutet: die großen politischen Ereignisse des sechszehnten Jahrhunderts haben gleich in die ersten Anfänge ihre Schatten hineinfallen lassen. Bisher hatte über Europa die französische Herrschaft als drohende Wolke sich gezeigt, — jetzt trat der ungeheuere Koloß der habsburgischen Weltmonarchie aus dem Reiche der Träume und Phantasien in die Wirklichkeit unheilschwanger hinein. Bis¬ her hatten dem Habsburgischen Projectenmacher, Kaiser Maximilian I., die Mittel gefehlt, seine ungeheuerlichen Eroberungs- und Herrschaftsgelüste zu verwirklichen; bisher hatte gerade der Gegensatz zwischen seinen Plänen und seinen Machtmitteln den römischen Kaiser in etwas zweifelhafter, grotesker Beleuchtung gezeigt: das war nun doch ganz anders. Wenn wirklich zu dem Besitze der Niederlande und der östreichischen Herzogthümer, zu den mit hef¬ tigem Verlangen umworbener ungarischen und böhmischen Kronen, zu allen den Ansprüchen und Forderungen auf die Schweiz, auf Italien, auf Bur¬ gund , — wenn wirklich zu allem diesem Habsburgischen Zukunftsmateriale die solide, kräftige, leistungsfähige und in nationaler Kraft sich entfaltende spa¬ nische Monarchie hinzugebracht werden sollte, dann in der That schien die Universalmonarchie in Fleisch und Blut sich darstellen zu können, und jeden¬ falls die Hegemonie in Europa an das Habsburgische Reich übergehen zu Müssen. Und seit dem Spätsommer 1500, seit Juana die spanische Erbin geworden, stand diese Zukunft in Aussicht. Dies Ende hatte Ferdinand der Habsburgischen Ehe nicht vorgezeichnet gehabt. Er hatte nicht die Vereinigung der Häuser Habsburg und Spanien w einem Haupte, sondern allein ein politisches Bündniß der beiden gegen die französischen Uebergriffe erstrebt: von jeder Intimität mit Max hatte er sich weislich fern gehalten; wiederholt hatte er ihn benutzt, und wiederholt auch die Verbindung mit ihm gelockert und durch Kompromisse mit Frankreich vor¬ wärts gearbeitet. Auch jetzt, nach 1500, schloß er sich nicht unbedingt an d'e Wünsche der Habsburger an; und mehr wie einmal sind Ferdinand und Max auf dem Punkte gewesen, offen mit einander zu brechen und in feind¬ lichem Zusammenstoße die dereinst zur Gemeinsamkeit bestimmten Staatswesen f^es versuchen zu lassen.' Gegen die Erbfolge Juanas war nichts zu machen: als eine gegebene ^röße mußte Ferdinand sie acceptiren. Im Jahre 1502 kamen Juana und Gemahl, der Erzherzog Philipp, nach Spanien und nahmen die Erbhul- ^gnug der Cortes des Landes entgegen. Ob Ferdinand wohl in dieser Zeit Grenzboten II. 1871. 92

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/177>, abgerufen am 05.02.2025.