Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.vorher angekündigten Einfall in Frankreich unterließ er, diplomatische Mittel Noch vor dem Abschlüsse eines Waffenstillstandes der kriegführenden Par¬ Da geschah es nun, daß der Gedanke einer freundschaftlichen Lösung Europa mußte dies seltsame Schauspiel geschehen lassen. Zwei der größe- vorher angekündigten Einfall in Frankreich unterließ er, diplomatische Mittel Noch vor dem Abschlüsse eines Waffenstillstandes der kriegführenden Par¬ Da geschah es nun, daß der Gedanke einer freundschaftlichen Lösung Europa mußte dies seltsame Schauspiel geschehen lassen. Zwei der größe- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192475"/> <p xml:id="ID_678" prev="#ID_677"> vorher angekündigten Einfall in Frankreich unterließ er, diplomatische Mittel<lb/> dagegen bot er auf's neue auf, sich mit König Karl über ein Kompromiß zu<lb/> verständigen, das für Spanien reellen Gewinn sichere. Seine Politik zu ver¬<lb/> stehen, seine Action nicht in allzu lügnerischen Sinn zu deuten, müssen wir<lb/> uns stets seines Verhältnisses zu Neapel selbst erinnern. Niemals hatte er<lb/> die Spaltung des aragonischer Besitzes, die 14S8 eingetreten, als eine defini¬<lb/> tive angesehen, niemals die Herrschaftsrechte der Krone Aragon über Sicilien<lb/> und Neapel rückhaltlos aufgegeben: den Rückfall dieser Provinzen an Aragon,<lb/> auf welchem Wege auch immer, hatte er stets im Auge behalten: jene Für¬<lb/> sten, die Bastarde des Hauses, hatte er doch nur vorläufig als factische Herren<lb/> dort geduldet — das Haupt der Familie, dem die oberste Entscheidung und<lb/> oberste Herrschaft in allen Theilen des Gesammtbesitzes gebühre, war und<lb/> blieb er. Fassen wir diesen Gedanken auf, so erscheint vielleicht Ferdinand's<lb/> Verhalten in etwas milderem Lichte. Wir entschuldigen und entlasten seine<lb/> Politik nicht von dem Vorwurfe schroffsten Parteiwechsels und rücksichtsloser<lb/> Beraubung der Vettern, aber wir verstehen doch nun besser, welche politi¬<lb/> schen Motive seiner doppelseitigen Action zu Grunde gelegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_679"> Noch vor dem Abschlüsse eines Waffenstillstandes der kriegführenden Par¬<lb/> teien hatte 1497 Ferdinand die Idee angeregt, daß zwischen den beiden Prä¬<lb/> tendenten, Spanien und Frankreich, vielleicht Neapel gütlich getheilt werden<lb/> könnte. Man unterhandelte darüber lebhaft: doch ehe man dies Compromiß<lb/> gefunden, starb Karl VIII. im April 1498. Eine Aenderung der französischen<lb/> Politik hatte dies nicht zur Folge; auch der Nachfolger Ludwig XII. hielt<lb/> an den italienischen Eroberungsgedanken fest, und auch auf Mailand als<lb/> Nachkomme einer Visconti erhob er Ansprüche. Neue Störungen in Italien<lb/> waren vorauszusehen. Kaiser Maximilian wollte die Hoheit des deutschen<lb/> Reiches mit neuer Kraft in Italien geltend machen. Der Papst und die Bor-<lb/> gia's strebten nach unabhängigem fürstlichem Besitze; auf Neapel hatten auch<lb/> sie ihr Auge geworfen: von allen Seiten war alles in Italien unsicher und<lb/> schwankend.</p><lb/> <p xml:id="ID_680"> Da geschah es nun, daß der Gedanke einer freundschaftlichen Lösung<lb/> aller dieser Wirren, wie ihn 1497 Ferdinand angeregt hatte, bei Ludwig XII-<lb/> Wurzel faßte und bestimmtere Gestalt annahm. Nach und nach einigten sich<lb/> Ludwig und Ferdinand; und wie sie im November 1300 einig geworden,<lb/> schritten sie ohne Scheu oder Scham zu rascher That. Neapel wurde im<lb/> Jahre 1301 besetzt, der schwache König Federigo vertrieben. Spaniens Schutz,<lb/> den er anrief, enthüllte sich als Einverständnis) mit dem Angreifer. Die<lb/> Beute wurde getheilt. Ludwig und Ferdinand fügten ein jeder seiner Krone<lb/> ein Stück des Königreiches Neapel hinzu.</p><lb/> <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> Europa mußte dies seltsame Schauspiel geschehen lassen. Zwei der größe-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0174]
vorher angekündigten Einfall in Frankreich unterließ er, diplomatische Mittel
dagegen bot er auf's neue auf, sich mit König Karl über ein Kompromiß zu
verständigen, das für Spanien reellen Gewinn sichere. Seine Politik zu ver¬
stehen, seine Action nicht in allzu lügnerischen Sinn zu deuten, müssen wir
uns stets seines Verhältnisses zu Neapel selbst erinnern. Niemals hatte er
die Spaltung des aragonischer Besitzes, die 14S8 eingetreten, als eine defini¬
tive angesehen, niemals die Herrschaftsrechte der Krone Aragon über Sicilien
und Neapel rückhaltlos aufgegeben: den Rückfall dieser Provinzen an Aragon,
auf welchem Wege auch immer, hatte er stets im Auge behalten: jene Für¬
sten, die Bastarde des Hauses, hatte er doch nur vorläufig als factische Herren
dort geduldet — das Haupt der Familie, dem die oberste Entscheidung und
oberste Herrschaft in allen Theilen des Gesammtbesitzes gebühre, war und
blieb er. Fassen wir diesen Gedanken auf, so erscheint vielleicht Ferdinand's
Verhalten in etwas milderem Lichte. Wir entschuldigen und entlasten seine
Politik nicht von dem Vorwurfe schroffsten Parteiwechsels und rücksichtsloser
Beraubung der Vettern, aber wir verstehen doch nun besser, welche politi¬
schen Motive seiner doppelseitigen Action zu Grunde gelegen.
Noch vor dem Abschlüsse eines Waffenstillstandes der kriegführenden Par¬
teien hatte 1497 Ferdinand die Idee angeregt, daß zwischen den beiden Prä¬
tendenten, Spanien und Frankreich, vielleicht Neapel gütlich getheilt werden
könnte. Man unterhandelte darüber lebhaft: doch ehe man dies Compromiß
gefunden, starb Karl VIII. im April 1498. Eine Aenderung der französischen
Politik hatte dies nicht zur Folge; auch der Nachfolger Ludwig XII. hielt
an den italienischen Eroberungsgedanken fest, und auch auf Mailand als
Nachkomme einer Visconti erhob er Ansprüche. Neue Störungen in Italien
waren vorauszusehen. Kaiser Maximilian wollte die Hoheit des deutschen
Reiches mit neuer Kraft in Italien geltend machen. Der Papst und die Bor-
gia's strebten nach unabhängigem fürstlichem Besitze; auf Neapel hatten auch
sie ihr Auge geworfen: von allen Seiten war alles in Italien unsicher und
schwankend.
Da geschah es nun, daß der Gedanke einer freundschaftlichen Lösung
aller dieser Wirren, wie ihn 1497 Ferdinand angeregt hatte, bei Ludwig XII-
Wurzel faßte und bestimmtere Gestalt annahm. Nach und nach einigten sich
Ludwig und Ferdinand; und wie sie im November 1300 einig geworden,
schritten sie ohne Scheu oder Scham zu rascher That. Neapel wurde im
Jahre 1301 besetzt, der schwache König Federigo vertrieben. Spaniens Schutz,
den er anrief, enthüllte sich als Einverständnis) mit dem Angreifer. Die
Beute wurde getheilt. Ludwig und Ferdinand fügten ein jeder seiner Krone
ein Stück des Königreiches Neapel hinzu.
Europa mußte dies seltsame Schauspiel geschehen lassen. Zwei der größe-
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